Deutsches Atomforum

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Deutsches Atomforum e.V.
Rechtsform Eingetragener Verein (gemeinnützig)
Tätigkeitsbereich Atomforschung, Öffentlichkeitsarbeit
Gründungsdatum 26. Mai 1959
Hauptsitz Robert-Koch-Platz 4 10115 Berlin
Telefon: 030 498555-0
Lobbybüro
Lobbybüro EU FORATOM
Rue Belliard 65
Brüssel 1040, Belgien Telefon: (+32) 2502 45 95
Webadresse kernenergie.de

Das Deutsche Atomforum e.V. ist ein Lobbyverband von Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Organisationen und Einzelpersonen, die sich für die friedliche Nutzung von Kernenergie einsetzen.

Kurzdarstellung und Geschichte

Am 26. Mai 1959 wurde das Deutsche Atomforum gegründet. Kurz zuvor war das Atomgesetz der Bundesrepublik beschlossen worden, dass die Rechtsgrundlage für den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken schaffte. Präsident des Forums war bis in die siebziger Jahre Karl Winnacker, der während des zweiten Weltkrieges leitende Positionen bei der umstrittenen IG Farben und der Hoechst AG innehatte. Winnacker fasste die Bedeutung des Forums rückblicked so zusammen: „Hauptaufgabe des Deutschen Atomforums war die Förderung der Kernenergie im Bewusstsein der Öffentlichkeit. (…) Ohne sie wäre die gesamte Arbeit für die Kernenergie, besonders auch die Beschaffung der staatlichen Mittel, gar nicht möglich gewesen.“[1] Zu Beginn zählten Vertreter von öffentlichen Behörden zu den Mitgliedern des Forums, was zur Verschmelzung von Atomwirtschaft, öffentlichen Behörden und Politikern führte. Ende der sechziger Jahre kam der Durchbruch für die Kernenergie in Deutschland. Kurze Zeit später wuchs auch der Widerstand gegen die Atomkraft stark. Das Atomforum versuchte dem entgegenzuwirken, indem es Publikationen und Broschüren veröffentlichte und Veranstaltungen abhielt, welche die Atomkraft anpriesen und Sicherheitsrisiken verharmlosten. Ein Jahr nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl wurde die INFORUM Verlags- und Verwaltungsgesellschaft als eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Atomforums gegründet. INFORUM übernahm die Organisation der Veranstaltungen und Publikationen, da nach dem Tschernobyl-Unglück die Werbung für Atomkraft wieder umso wichtiger für die Atomlobby wurde. In den folgenden Jahren konnte sich die Kernenergie in Deutschland bis zum rot-grünen Beschluss aus der Atomkraft auszusteigen im Jahr 2002 etablieren. Ein schneller Ausstieg passierte jedoch nicht, da das Atomforum mit allen möglichen Mitteln versuchte den Ausstieg hinauszuzögern.[2] Unter veränderter Regierungskonstellation erreichte die Atomlobby schließlich den Ausstieg aus dem Ausstieg und die Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre. Die Ereignisse in Japan im Jahr 2011 trugen dazu bei, dass nun der stufenweise Ausstieg aus der Atomkraft bis 2020 vollzogen werden soll.[3]

Organisationsstruktur und Personal

Zwischen 100 und 200 Mitgliedern zählt das Forum. Unter ihnen befinden sich hauptsächlich Unternehmen aus der Energiewirtschaft. Das höchste Organ ist die Mitgliedsversammlung, die einmal im Jahr stattfindet. Das Präsidium wird vom Verwaltungsrat gewählt und hat zur Aufgabe die Arbeitsrichtlinien festzulegen.[4] Im April 2010 löste Ralf Güldner, stellvertretender Geschäftsführer bei E.on Kernkraft und Präsident des europäischen Atomforums FORATOM, Walter Hohlefelder als Präsident ab. Güldner gilt als „offener Verfechter der Kernenergie.“[5] Das Deutsche Atomforum ist ein eingetragener Verein und besitzt laut §52 der Abgabenordnung das Prädikat gemeinnützig.

Der Hauptsitz des Forums ist in Berlin. Das Atomforum hat eine gemeinsame Geschäftstelle mit der Kerntechnischen Gesellschaft und der INFORUM Verlags- und Verwaltungsgesellschaft. Das Atomforum ist selbst förderndes Mitglied in der Kerntechnischen Gesellschaft und auch personell eng verbunden. Die Kerntechnische Gesellschaft hat wiederum über ihre Fachgruppe Nutzen der Kerntechnik enge Verbindungen zu vermeintlich unabhängigen Initiativen wie den Bürgern für Technik.

Auf EU-Ebene vertritt das Atomforum seine Interessen in Brüssel durch das europäische Atomforum FORATOM. Außerdem ist das Atomforum Mitglied der World Association of Nuclear Operators.

Mitglieder

Eine offizielle Mitgliederliste liegt nicht vor. Jedoch lässt sich aus §8(1) der Satzung entnehmen, dass die Zusammensetzung des Präsidium die Mitgliedschaft widerspiegelt.

Präsidium

  • Ralf Güldner, Präsident
  • Peter Fritz, Vize-Präsident
  • Ulrich Gräber, Vize-Präsident (früherer Areva)
  • Adolf Birkhofer, Atomwissenschaftler
  • Ulrich Hartmann, RWE power[6]
  • Norbert Haspel, Vertretungsberechtigter Geschäftsführer Westinghouse Electric Germany und Mitglied im Wirtschaftsverband Kernbrennstoff-Kreislauf und Kerntechnik, der Firmen vertritt, die nukleare Anlagen herstellen und warten
  • Walter Hohlefelder, ehem. Präsident, vorher im Vorstand bei E.ON
  • Gerd Jäger, Vorstandsmitglied bei RWE
  • Ulf Kutscher, Geschäftsführer NUKEM Technologies (Management von radioaktivem Abfall)
  • Joachim Ohnemus, Geschäftsführer URENCO Deutschland (Urananreicherung)
  • Astrid Petersen, Bereichsleiterin bei der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) und Vorsitzende der Kerntechnischen Gesellschaft[7]
  • Winfried Petry, Physiker
  • Bruno Thomauske wechselte 2003 vom Bundesministerium für Strahlenschutz in die Geschäftsführung von Vattenfall; musste 2007 zurücktreten wegen Vorwürfen die Atomaufsicht und die Bevölkerung nach den Reaktorstörfällen in Krümmel und Brunsbüttel zu spät und unzureichend informiert zu haben
  • Stefan vom Scheidt, Areva Deutschland[8]
  • Hannes Wimmer, GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH[9]
  • Hans-Josef Zimmer, Technik-Vorstand EnBW
  • Ernst Michael Züfle (Schatzmeister), Technik-Vorstand Vattenfall Europe

Stand:29.8.2012[10]

ehemalige Mitglieder:

  • Helmut Bläsig, arbeitete früher bei RWE und war technischer Geschäftsführer des Kernkraftwerks Gundremmingen
  • Johannes Lambertz, Vorstandsvorsitzender RWE
  • Michael Süß, Vorstandsmitglied Siemens, Geschäftsführer Bereich Energie

Geschäftsstelle

  • Christian Wößner, Geschäftsführer
  • Marika Didonaki, Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Recht
  • Maik Luckow, Bereich Presse und Politik

Stand: 29.8.2012[11]

Verbindungen

Das Atomforum ist Mitglied in folgenden Organisationen:

Finanzen

Das Forum finanziert sich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge, Zuwendungen und Erlöse aus eigenen Publikationen und Veranstaltungen.

Lobbystrategien und Einfluss

Das Ziel der Atomlobby ist durch das Deutsche Atomforum auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen sowie die öffentliche Meinung über Kernenergie positiv zu prägen. Das Atomforum repräsentiert eine überaus mächtige Lobby. So sprach Sigmar Gabriel anlässlich des 50. Jahrestag des Forums von einer „Propagandazentrale der Atomkonzerne“, die „keinen Propagandatrick und erst recht keine Kosten [scheut, um] den Deutschen die Atomkraft schmackhaft zu machen.“[12]

Alljährlich im Frühjahr veranstaltet das Atomforum die Wintertagung, bei dem Politiker, Unternehmensvertreter sowie ausgewählte Gewerkschafter und Wissenschaftler zusammenkommen um in Arbeitsgruppen über ausgewählte Themen zu diskutieren. Mitte des Jahres veranstaltet es dann die Jahrestagung in einem ähnlichen Format.

Das Atomforum ist Mitglied der Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen. Diese bringt Wirtschaftsverbände, Unternehmen und einzelne Personen mit Abgeordneten - insbesondere Mitglieder von Bundestagsausschüssen - zusammen und ermöglicht damit die informelle Einflussnahme auf die Gesetzgebung.


Kampagnen und Kritik

Allgemeine Kritik

Die Gemeinnützigkeit des Vereins und die damit verbundenen Steuererleichterungen ist stark umstritten. Laut §3 der Satzung verfolgt das Atomforum "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. (...) Der Verein ist selbstlos tätig; er verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke."[13] Es besteht starker Grund zu zweifeln, ob der Verein das Prädikat "gemeinnützig" verdient. Laut §52 der Abgabenordnung zeichnet sich Gemeinnutz nämlich dadurch aus, dass "Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern."[14] Das Atomforum hingegen wirkt als Lobby für die Energiewirtschaftsunternehmen mit dem eigennützigen Ziel Atomkraft zu fördern ohne Rücksicht auf Risiken.

Werbekampagnen und Greenwashing

  • Kurz nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl erschienen großformatige Zeitungsanzeigen in denen der damalige Präsident der Bundesärztekammer Karsten Vilmar seine Kollegen dazu aufrief ihre Patienten darüber aufzuklären, dass in Deutschland keine gesundheitlichen Schäden durch das Reaktorunglück in Tschernobyl entstanden sind, und somit „unsinnigen Spekulationen, Unsicherheit und Hysterie“ vorzubeugen. Die zehn Millionen DM teure Kampagne bezahlte das Atomforum, gab aber vordergründig an, dass die Vereinigung deutscher Elektrizitätswerke e.V. zahlte, um so die direkte Verbindung zu verschleiern. Der Spiegel deckte damals weitere (versuchte) Einflussnahmen auf die öffentliche Meinung und die Politik auf, u.a. einflussreiche Journalisten zu Konferenzen einzuladen, den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu überreden eine ähnliche Anzeige zu schalten und die Anliegen der Atomindustrie in einem offenen Brief des BDI-Präsidenten an den Bundespräsidenten vorzutragen.[15]
  • Im Zeitraum 1997 bis 2002 ließ sich die Bundesregierung Öffentlichkeitsarbeit für das Atommüllendlager Asse vom Deutschen Atomforum finanzieren. Dadurch wurden die Kosten für Besucherführungen durch das Endlager gedeckt.[16]
  • 2007 "gewann" das Deutsche Atomforum den Worst EU Lobbying Award für die Werbekampagne „Deutschlands ungeliebte Klimaschützer“, in der Atomkraft unverblümt als Klimaschutz dargestellt wird.[17] Die Webseite Klimaschuetzer.de leitet einen noch immer auf die Seite des Atomforums weiter.
  • Eine weitere Werbekampagne startete das Deutsche Atomforum Ende 2010. Per Fotomontage wurden Windkraftanlagen zusammen mit Kernkraftwerken auf Werbeplakaten und in Zeitungsanzeigen dargestellt. Der irreführende Slogan dazu hieß „Klimaschützer unter sich“ und „Kernkraftwerk und Windenergie: CO2-Ausstoß = Null.“ Im Dezember 2010 erreichte die Betreiberin der abgebildeten Windkraftanlagen eine einstweilige Verfügung gegen die Nutzung von Bildmaterial ihrer Windräder für Werbekampagnen des Deutschen Atomforums. Die Begründung des Gerichts, das am 5. Mai 2011 die einstweilige Verfügung bestätigte, lautete folgendermaßen: „Die Werbung ist irreführend, weil sie durch ihre Gesamtgestaltung (...) den unzutreffenden Eindruck erweckt, Kernkraftwerke stünden in Zusammenhang mit Windkraftanlagen und hätten ähnliche gute Umwelteigenschaften.“[18] Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da das Atomforum Berufung eingelegt hat.


Kampagne zur Laufzeitverlängerung, 2008-2009

Die taz veröffentlichte im November 2011 interne Dokumente der Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors, die 2008 und 2009 für das Deutsche Atomforum tätig war. Diese zeigen, auf wie vielfältige Weise die Atomlobby versuchte, die öffentliche Debatte zu beeinflussen und dabei immer wieder auf die Strategie zurückgriff, vermeintlich unabhängige Instanzen für sich werben zu lassen, damit es glaubwürdiger aussieht. Ein Beispiel war der Verein Women in Nuclear, in dem Frauen für Atomkraft werben. Der Verein veröffentlicht die Herkunft seiner Gelder nicht und bestreitet selbst Teil einer Kampagne zu sein. Aber die Unterlagen von Deekeling Arndt Advisors zeigen, dass die Agentur die Rekrutierung der Mitglieder und die öffentliche Vermarktung des Vereins gezielt unterstützte, um damit die weibliche Zielgruppe anzusprechen und dort Vertrauen in die Atomenergie zu schaffen.

Ein anderes Beispiel: der konservative Historiker Arnulf Baring hielt eine Rede beim 50. Geburtstags des Deutschen Atomforums am 1. Juli 2009 bei einer Feier, an der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnahm. Er betont in der Rede, dass er nicht mit den Energiekonzernen verbunden sei und „als unparteiischer, aber leidenschaftlich engagierter Bürger“ rede. Tatsächlich hat die Agentur ihm bei der Rede zugearbeitet und er wurde für den Vortrag bezahlt. Die Agentur sorgt auch dafür, dass Barings Rede als Gastbeitrag in der FAZ abgedruckt wird – auch hier kein Hinweis darauf, dass der Text von der Atomlobby bezahlt und platziert wurde.[19]

Weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Winnacker, K. & Wirtz, K. (1988). Das unverstandene Wunder. Kernenergie in Deutschland, München: Econ Verlag
  2. Simmert, C. (2002). Die Lobby regiert das Land, Argon Verlag
  3. Eine starke Lobby - Das deutsche Atomforum und die Entwicklung der Kernenergie Deutschlandradio vom 16. März 2011. Abgerufen am 16. Juni 2011
  4. Fakten zum Deutschen Atomforum Stuttgarter Zeitung vom 12. Mai 2002. Abgerufen am 16. Juni 2011
  5. Atomforum findet neuen Cheflobbyisten Handelsblatt.de vom 15. April 2010. Abgerufen am 17. Juni 2011
  6. Dr. Ulrich Hartmann, RWE-Webseite, abgerufen am 29.8.2012
  7. KTG-Vorstand, Webseite der Kerntechnischen Gesellschaft sowie Die strahlende Atom-Frau, FTD online vom 21.5.2012, beide abgerufen am 29.8.2012
  8. Neuer Deutschland-Chef für Areva, Handelsblatt Online vom 9.11.2011, abgerufen am 29.8.2012
  9. GNS-Geschäftsführung, GNS-Webseite, abgerufen am 29.8.2012
  10. Präsidium, Webseite des Deutschen Atomforums, abgerufen am 29.8.2012
  11. Geschäftsstelle, Webseite des Deutschen Atomforums, abgerufen am 29.8.2012
  12. Pressemitteilung Gabriels zum 50-jährigen Bestehen des Atomforums Vom 1. Juli 2007. Abgerufen am 17. Juni 2011
  13. Satzung des Deutschen Atomforums e.V. Abgerufen am 17. Juni 2011
  14. §52 AO Gemeinnützige Zwecke Abgerufen am 17. Juni 2011
  15. Atomlobby - Ohne einen Pfennig Spiegel Ausgabe 29/1986, Seite 77. Abgerufen am 17. Juni 2011
  16. Atomlobby zahlt für Asse Spiegel Ausgabe 21/2009, Seite 18. Abgerufen am 17. Juni 2011
  17. Die Gewinner der Worst EU Lobbying Awards 2007 sind.. LobbyControl-Blog vom 4. Dezember 2007. Abgerufen am 17. Juni 2011
  18. Urteil Landgericht Berlin 91 O 35/11Vom 5. Mai 2011. Abgerufen am 21. Juli 2011
  19. Ausgedacht und vorgeführt, taz vom 29.10.2011., abgerufen am 29.8.2012

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