European Services Forum

    • Keine Statusinformation
Version vom 26. Oktober 2016, 18:51 Uhr von E. Martin (Diskussion | Beiträge) (Seit 2012: Lobbying für das geplante Freihandelsabkommen TTIP)
European Services Forum (ESF)
158px-ESF-Logo.png
Rechtsform Nicht profitorientiert - Kein rechtlicher Status
Tätigkeitsbereich Lobbytätigkeit zur Liberalisierung des internationalen Handels mit Dienstleistungen
Gründungsdatum 1998
Hauptsitz Brüssel
Lobbybüro
Lobbybüro EU Avenue de Cortenbergh, 168, 1000 Brussels
Webadresse www.esf.be

Das European Services Forum (ESF) ist eine einflussreiche Lobbyorganisation bedeutender europäischer Dienstleister und ihrer Verbände mit besten Kontakten zu den EU-Instutionen. Es arbeitet eng mit Businesseurope zusammen.


Lobbystrategien und Einfluss

Zentraler Punkt der ESF-Tätigkeit ist die Liberalisierung – in der Realität auch Privatisierung – öffentlicher Dienstleistungen wie Bildung und Wasser. Sie nimmt auf bilaterale Verhandlungen der EU Einfluss, aber auch auf die Tätigkeiten der Welthandelsorganisation (WTO).[1]

Beziehungen zur EU-Kommission

Laut ihrer Webseite wird das ESF von der EU-Kommission und den EU-Regierungen als die Stimme der europäischen Dienstleistungsindustrie anerkannt. Es durfte als Teil der offiziellen Delegation der EU-Kommission an den WTO-Treffen in Seattle, Doha, Cancun und Hong Kong teilnehmen. Als "business NGO" hat die ESF bei der EU-Kommission einen Beobachterstatus ("observer status") und wird den von den EU-HandelskommissarInnen direkt gebrieft . Es gibt regelmäßige Treffen der ExpertInnen der Wirtschaftsministerien der EU-Mitgliedstaaten mit den ESF-Mitgliedern im sogenannten 133er-Auschuss (benannt nach Artikel 133 Abs. 3 EG - Vertrag). Nach Art. 133 führt die EU-Kommission Verhandlungen über eine gemeinsame Handelspolitik "im Benehmen" mit diesem Ausschuss. Nach Einschätzung des ESF werden im 133er-Ausschuss die eigentlichen Entscheidungen getroffen. Die Beziehung zwischen EU-Kommission und dem ESF ist in vielen Bereichen so eng, dass in dem Zusammenhang auch von „reverse lobbying“ also umgekehrtem Lobbyismus gesprochen wird: Oft begann das Forum erst mit seiner Interessenvertretung gegenüber der EU-Kommission, nachdem diese es dazu aufgefordert hatte.

EU-Gruppen

Das ESF gehört 3 Expertengruppen der EU-Kommission an. Unter anderem ist es in der Beratergruppe zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) vertreten. [2]

Seitenwechsel

  • seit der Gründung des ESF im Jahr 1999 ist Pascal Kerneis der Managing Director. Zuvor arbeitete er als juristischer Sachverständiger für die EU-Kommission und als Lobbyist für den Europäischen Bankenverband (European Banking Federation). Dort war er in Verhandlungen der WTO zu finanziellen Dienstleistungen im Rahmen von GATS (General Agreement on Trade in Services) involviert. [3]
  • Sir Thomas Harris ist seit 2013 der Vorsitzende des ESF. Am Anfang seiner Karriere war er im diplomatischen Dienst Großbritanniens tätig und als Staatsmann für die britischen Werbeprogramme für den Handel mit den USA verantwortlich, bevor er Vizepräsident der Standard Chartered Bank wurde. Er sitzt im Vorstand der TheCityUK und in zwei Beiräten des British American Business.[4]

Fallstudien und Kritik

2014: Haltung zum TISA-Abkommen

Die im ESF zusammengeschlossenen großen international agierenden Konzerne, wie Deutsche Post, Deutsche Telekom oder Siemens, stehen hinter dem derzeit verhandelten Dienstleistungsabkommen TISA. Ihr Interesse besteht darin, möglichst viele Handelsbeschränkungen zu minimieren oder zu beseitigen, mit dem Ziel weitere Märkte erschließen und Wachstum erzielen zu können.[5]

Seit 2012: Lobbying für das geplante Freihandelsabkommen TTIP

Die enge Beziehung zwischen dem Forum und der Generaldirektion Handel der EU-Kommission spiegelt sich insbesondere in zwei Inhalten von TTIP wieder:

  • Die Liberalisierung von Dienstleistungen: Das könnte zur Privatisierung und Verteuerung essentieller Bereiche der Gesundheitsversorgung führen. Auch werden dadurch weitere Deregulierungen des Finanzsektors ermöglicht, welche zur Instabilität des Wirtschaftssystem führen. Sowohl Lohnsenkungen als auch einer Verringerung von Arbeitnehmerrechten wird der Weg bereitet.
  • Der Investitionsschutz: Konzerne sollen Staaten vor privaten Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen können, wenn diese unliebsame Entscheidungen fällen. Das ESF trat aggressiv für eine Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) ein.

Zwischen 2012 und 2014, der Vorbereitungsphase und dem Beginn der TTIP-Verhandlungen, fanden zahlreiche Treffen des ESF mit der EU-Generaldirektion Handel statt. Dazu gehörten 19 Lobby-Kontakte und 11 Treffen hinter verschlossenen Türen. Damit hatte das European Services Forum gemeinsam mit der Arbeitgeber-Lobby, Businesseurope, die meisten Kontakte mit der GD Handel. ESF traf sich auch mit dem Direktor für Dienstleistungen und Investitionen, Rupert Schlegelmilch. Das Forum erklärte später, dass „das Treffen von Rupert nachgefragt worden sei“. Er habe sich Impulse aus der Dienstleistungsbranche geben lassen wollen. Die Ansprache mit Vornamen zeugt erneut von der engen und informellen Beziehung des ESF zu den EU-Verhandlungsführern.[6]

Zu den typischen Veranstaltungsformaten des ESF gehören die vierteljährlichen „Policy Committee Meetings“, bei welchen immer auch die Generaldirektion Handel vertreten ist. Alle sechs Monate sitzen dort auch hohe Beamte der EU-Mitgliedsstaaten mit am Tisch, die das ESF über den neusten Stand von verschiedenen Wirtschaftsverhandlungen aufklären. Normalerweise enden die Gesprächsrunden mit einem Cocktailempfang.[7]

Auch zu dem einflussreichen Ausschuss für Handelspolitik (Trade Policy Committee, TPC), welcher die Kommission bei der Aushandlung von Handelsabkommen mit Drittländern oder in internationalen Organisationen berät, pflegt das ESF engen und informellen Kontakt. Im März 2016 rief der Lobbyist Pascal Kerneis den Ausschuss dazu auf sich noch intensiver TTIP zu widmen.[8] Auch der Vorsitzende des ESF, Sir Thomas Harris plädierte an EU-Handelskommissarin Malmström für ein ambitioniertes TTIP, welches andere Abkommen wie TISA, GPA, oder TPP in ihrer Reichweichte übertreffen sollte.[9] Malmström versicherte der Dienstleistungslobby daraufhin, dass die Kommission das Streben nach einem ehrgeizigen Dienstleistungsabkommen und einer weiteren Liberalisierung des Sektors mit den Unternehmensvertretern teile.[10] Im Juni 2016 formte das ESF gemeinsam mit anderen Verbänden und Konzernen die Transatlantic Financial Regulatory Coherence Coalition. Zusammen mit TheCityUK, der US-Handelskammer, dem Trans-Atlantic Business Council und vielen anderen, tritt das Forum dort für eine regulatorische Kooperation zwischen der EU und den USA ein. Dabei fokussiert sich die Koalition insbesondere auf die Regulierungszusammenarbeit im Finanzsektor. Denn eben diese Branche wurde vonseiten der US-Regierung nach der Finanzkrise im Jahr 2008 verstärkt reguliert. Eine regulatorische Kooperation würde die amerikanischen Standards demnach vermutlich senken. Die US-Regierung verweigerte sich deshalb bis dato diese bezogen auf den Finanzsektor einzuführen.[11] [12]

Investitionsschutz: Einer der umstrittensten Inhalte von TTIP sind sie Bestimmungen zum Investorenschutz. Der Mechanismus der Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) wurde von der Kommission geringfügig und medienwirksam in das Investment Court System (ICS) umgeändert. Inhaltlich geht es dennoch um dasselbe: Die Bestimmung soll Konzernen erlauben die EU und EU-Mitgliedsstaaten vor privaten Schiedsgerichten auf Entschädigung zu verklagen, sollte diese regulatorische Änderungen im Dienstleistungssektor vornehmen, welche die Profite der Unternehmen schmälern könnten. In der Vergangenheit waren bereits Regulierungen zu Höchstpreisen auf Wasser Grund für Klagen vor privaten Schiedsgerichten. Das ESF argumentiert, dass starke Bestimmungen zum Investitionsschutz in der EU ausländische Direktinvestitionen anziehen würden. Laut der Dienstleistungslobby führt deshalb der Investitionsschutz zur Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Wachstum.[13] Dabei gibt es in der EU und den EU-Mitgliedsstaaten bereits funktionierende Rechtssysteme, die die Notwendigkeit von privaten Schiedsgerichten in Frage stellen.[14]

Organisationsstruktur, Personal und Verbindungen

Organisationsstruktur und Personal

  • Vorsitzender (Chairman)

Thomas Harris: siehe Seitenwechsel

  • European Services Leader Group

Diese setzt sich aus führenden Repräsentanten (GEOs oder Board members) der EFS-Mitglieder zusammen.

  • Policy Committee

Dieses besteht aus Vertretern der EFS-Mitglieder und persönlichen Mitarbeitern von Mitgliedern der European Service Leader Group.

  • Vorsitzender des "Policy Committee"

Tilmann Kupfer: Lobbyist für British Telecom in Brüssel, Mitglied des Board der Kangaroo Group und ehemaliger "Public Affairs Consultant" bei Hill+Knowlton].

  • Managing Director

Pascal Kerneis: Mitglied der TTIP Advisory Group, siehe Seitenwechsel

Mitglieder

Die Mitglieder des ESF sind hier abrufbar. Zu ihnen gehören 22 europäische Großunternehmen und 30 einflussreiche Unternehmensverbände mit Aktivitäten im Dienstleistungsbereich (von Finanzen über IT bis zu Logistik) wie HSBC, IBM und Microsoft. Die deutschen Mitglieder sind: der Bundesverband der Freien Berufe (BFB), die Deutsche Bank, die Deutsche Post DHL Group sowie die Deutsche Telekom. Außerdem sponsert das ESF gemeinsam mit Businesseurope die European Services Platform (ESP).

Verbindungen

  • Das ESF arbeitet eng mit Businesseurope, der einflussreichen Arbeitgeber-Lobby zusammen; nach eigener Angabe sowohl bei alltäglichen Projekten, als auch bei sozialen, fiskalen oder juristischen Angelegenheiten.
  • Mitglied in der Global Services Coalition, einem internationalen Zusammenschluss von Dienstleistungsunternehmen und -verbänden. Aktuell drängt dieser auf den Abschluss des Dienstleistungsabkommens TiSA hin und versucht darin Liberalisierungen, die über die Reichweite von GATS hinausgehen zu verwirklichen.[15]
  • Regelmäßiger Kontakt zu Denkfabriken, wie ECIPE, CEPS, EIAS und EU-Asia Center.[16]

Finanzen

Laut EU-Transparenzregister liegen die geschätzten Kosten der direkten Lobbyarbeit bei den EU-Organen im Geschäftsjahr 2015 zwischen 200.000 und 300.000 Euro. Das Forums wird von den Mitgliedern durch jährliche Beiträge finanziert.[17]

Kurzdarstellung und Geschichte

Es war die Idee der EU-Kommission eine europaweite Interessenvertretung für den Dienstleistungssektor zu schaffen. Den Grund dafür lieferten die Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) zum General Agreement on Trade in Services (GATS). Bei der konstituierenden Sitzung des European Services Forum im Januar 1999 bekannte der damalige EU-Handelskommissar Leon Brittan, dass er künftig auf das Input und die Unterstützung des ESF zähle. Zusätzlich unterstrich er, dass er sich die Prioritäten der Dienstleistungslobby zur Verfolgung einer weiteren Liberalisierung des Handels zu Herzen nehmen würde.[18] Der damalige Verhandlungsführer der EU-Generaldirektion Handel bemerkte, dass „für die Kommission der Beitrag des ESF absolut entscheidend ist. Die Verhandlungspositionen die wir einnahmen, glichen wir zuvor mit dem ESF ab, sodass wir sicherstellen konnten, dass es seinen Bedürfnissen entsprach.“[19]


Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

https://www.lobbycontrol.de/newsletter-lobbypedia/https://twitter.com/lobbycontrolhttps://www.facebook.com/lobbycontrolhttps://www.instagram.com/lobbycontrolVernetzen

Einzelnachweise

  1. LobbyPlanet: Das EU-Viertel Brüssel. LobbyControl und Corporate Europe Observatory (Hg.). Köln und Brüssel 2012, Seite 29
  2. Register der Expertengruppen der EU-Kommission, abgerufen am 26.09.2016
  3. Biografie von Pascal Kerneis, abgerufen 26.09.2016
  4. Biografie von Sir Thomas Harris, abgerufen 26.09.2016
  5. Geheime Verhandlungen über TISA-Abkommen - Unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagesschau.de vom 19.06.2014, abgerufen am 20.06.2014
  6. CEO, Dataset for info-graphics on TTIP lobbying, for period Jan 2012 to Feb 2014, abgerufen am 26.09.2016
  7. ESF-Broschüre 2014, abgerufen am 26.09.2016
  8. ESF, Email to Trade Policy Committee Members from Pascal Kerneis, Subject: Fw: European Services industries Call for an ambitious TTIP, 18.03.2016, liegt CEO vor
  9. ESF, Letter to Commissioner Malmström from Sir Thomas Harris, Subject: Call for an ambitious TTIP, 16.03.2016, liegt CEO vor
  10. Commissioner Malmström, Letter to Sir Thomas Harris 20.04.2016 abgerufen am 26.09.2016
  11. [ http://www.transatlanticbusiness.org/wp-content/uploads/2016/06/Transatlantic-Coalition-on-financial-services-7-June.pdf ESF et al, Transatlantic Financial Regulatory Coherence Coalition: Financial Regulation in the TTIP, Juni 2016], abgerufen am 26.09.2016
  12. Politico Pro: Trans-Atlantic firms up ante on push for TTIP financial cooperation, Victoria Guida, 7.06.2016
  13. Leaked document from 8 October 2015, Dokument liegt CEO vor
  14. [http://corporateeurope.org/international- trade/2014/07/ttip-debunking-business-propaganda-over-investor-rights TTIP: debunking the business propaganda over investor rights], CEO, Juli 2014, abgerufen am 27.09.2016
  15. Global Services Coalition call on the TiSA negotiators to intensify efforts toward a high ambition agreement July 2016, abgerufen am 26.09.2016
  16. EU-Transparenzregister, abgerufen am 26.09.2016
  17. EU-Transparenzegister, abgerufen am 20.09.2016
  18. Sir Leon Brittan, Speech at the ESF launching session, 26 January 1999, abgerufen am 26.09.2016
  19. Lietaert, Matthieu (2009): New strategy, new partnership. EU Commission and the City of London in trade in services policy, paper prepared for the PSA annual conference, 7-9 April, Manchester, S.15, Übersetzung des Verfassers

Anhänge

Diskussionen