Karenzzeit

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Unter Karenzzeit (auch Abkühlphase; englisch 'cooling off period') versteht man eine Sperrfrist, die nach dem Ausscheiden aus einem Amt bei einem Wechsel in bestimmte neue Positionen einzuhalten ist, um die Auswirkungen von Interessenskonflikten zwischen neuer und alter Stelle zu begrenzen. Karenzzeiten in der Politik unterbinden den unmittelbaren Wechsel von Politiker*innen oder Spitzenbeamt*innen in Lobbytätigkeiten und regulieren so das Problem der Seitenwechsel (auch ‚Drehtür-Effekt‘).

In verschiedenen Staaten wurden bereits Karenzzeit-Regelungen für Politiker*innen auf nationaler Ebene eingeführt. Für Deutschland hat das Bundeskabinett am 04.02.2015 eine Karenzzeitregelung verabschiedet.[1] Am 02.07.2015 wurde schließlich das Karenzzeit-Gesetz, welches für die Kanzlerin, Minister*innen sowie Parlamentarische Staatssekretär*innen gilt, vom Bundestag beschlossen.[2] Einige deutsche Bundesländer kennen schon verbindliche Karenzzeiten. Zudem gibt es sie für bestimmte öffentliche Berufsgruppen. So gelten für Beamte[3], Mitglieder der Bundeswehr[4] und Richter*innen[5] nach ihrer Amtszeit bzw. ihrem Dienst Karenzzeiten. Bei Nichteinhaltung droht der Verlust der Versorgungsbezüge.

Einführung in Deutschland

Nach langem Drängen erklärten CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vom Herbst 2013 die Absicht zu einer Karenzzeit-Regelung. Am 02.07.2015 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Einführung einer Karenzzeit.[6] Eine Einschätzung zu dem Gesetz findet sich im LobbyControl-Blog. LobbyControl hat im Rahmen der Anhörung eine Stellungnahme abgegeben. [7]

Die jetzige Regelung basiert auf Eckpunkten, auf die sich die Große Koalition im Oktober 2014 geeinigt hat. Demnach müssen Minister*innen und Staatssekretär*innen unmittelbar anzeigen, wenn sie eine Erwerbstätigkeit in der Privatwirtschaft aufnehmen wollen. Ein Gremium von anerkannten Persönlichkeiten soll daraufhin den Wechsel auf mögliche Interessenskonflikte untersuchen. Wenn solch ein Konflikt der Interessen festgestellt wird, könnte die Bundesregierung auf Vorschlag des Gremiums eine Karenzzeit von bis zu 18 Monaten verhängen. [8] Mit der Besetzung des Gremiums ließ sich die Bundesregierung über ein Jahr Zeit, was heftig kritisiert wurde.[9] Ende Juli 2016 wurde dann bekannt, dass folgende Personen in das Gremium berufen werden sollen:[10]

Anfang März 2022 wurden Theo Waigel und Michael Gerhardt durch die folgenden zwei neuen Karenzwächter ersetzt:[11]

(Krista Sager bleibt weiterhin Karenzwächterin)

Bereits im Sommer 2014 hatte sich Bundeskanzlerin Merkel für die Einführung einer verbindlichen Karenzzeit mit dieser Ausgestaltung ausgesprochen.[12] Dabei hatte sich die Union im Wahlkampf noch gegen die Einführung ausgesprochen, diese Haltung jedoch in den Koalitionsgesprächen mit der SPD aufgegeben. In den Koalitionsvertrag wurde eine äußerst vage Formulierung aufgenommen: „Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an.“[13]

Forderung LobbyControl: Nachbesserungen am Karenzzeit-Gesetz

Mit dem 2015 beschlossenen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf.

Zu großer Interpretationsspielraum

Das im Juli 2015 verabschiedete Karenzzeit-Gesetz sieht nur ein 12- bzw. 18-monatiges Verbot für Minister*innen und Staatssekretär*innen vor. Das eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränkte Verbot verkennt das Ausmaß der Problematik. Denn es geht nicht nur um Beeinflussung durch lukrative Jobangebote während der Amtszeit. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegierte Zugang zu Entscheidungsträger*innen und Insiderwissen, über die frisch ausgeschiedene Minister*innen oder Staatssekretär*innen auch in Bereichen verfügen, in denen sie nicht unmittelbar tätig waren. LobbyControl bemängelt daher, dass das Gesetz zu großen Interpretationsspielraum bei der Frage zulässt, ob Seitenwechsel in Lobbyjobs ohne inhaltliche Überschneidungen auch von der Karenzzeit erfasst werden. Der Wechsel in Lobbytätigkeiten sollte explizit untersagt werden.

Nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung kann die Verfestigung und Vertiefung der privilegierten Position von ökonomisch potenten Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Frühestens nach 3 Jahren dürften die aus fachlichen und geschäftlichen Gründen entwickelten persönlichen Kontakte ausreichend abgeschwächt sein, weil Manager und Amtsträger*innen sich in dieser Zeit anderen und neuen Personen zuwenden müssen.

Keine wirksamen Sanktionen

Lobbycontrol fordert außerdem, dass das Karenzzeit-Gesetz um wirksame Sanktionen ergänzt wird. Auch fehlt die Regel, dass neue Tätigkeiten erst nach einer Entscheidung über eine Karenzzeit begonnen werden dürfen.[14].

Schwache Vorschriften im Beamtenrecht

Die 2015 für Minister*innen sowie Parlamentarische Staatssekretär*innen eingeführte Karenzzeitregelung auf gesetzlicher Grundlage war ein wichtiger Schritt, um Interessenkonflikte beim Wechsel aus dem Amt in Tätigkeiten bei Verbänden und Unternehmen zu regulieren. Für politische Beamte fehlt eine entsprechende Regelung jedoch. Zwar sieht § 105 Bundesbeamtengesetz die Möglichkeit vor, die Aufnahme neuer Tätigkeiten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst zu untersagen. Doch zeigt die Praxis, dass die Regelung nur in seltenen Fällen angewandt wird. Insbesondere auf der Ebene der beamteten Staatssekretär*innen sowie Abteilungsleiter*innen finden nach wie vor viele Wechsel statt, die einen Interessenkonflikt nahelegen. Ob und wie die jeweils zuständige Dienststelle Wechsel tatsächlich prüft und nach welchen Kriterien kann nicht nachvollzogen werden, da darüber keine Informationen veröffentlicht werden und die Ministerien auch auf Nachfrage keine Angaben machen. Das durch die Änderung des Ministergesetzes neu eingeführte Gremium sollte auch hier zur tätig werden und eine öffentliche Empfehlung abgeben. Zugleich sollte ein Kriterienkatalog veröffentlicht werden, an Hand dessen Wechsel geprüft werden können.


Länderebene

Auch auf Länderebene gibt es inzwischen Karenzzeit-Regelungen. Zur Übersicht: [[1]].

Beispiel Nordrhein-Westfalen: die Regelung wurde im März 2016 beschlossen. Ausscheidende Minister*innen, die einen neuen Job annehmen, müssen dies in den ersten 12 Monaten nach ihrer Ministertätigkeit melden. Eine vom Kabinett berufene Kommission prüft dann, ob der neue Job eines Ex-Ministers oder einer Ex-Ministerin das „öffentliche Interesse“ beeinträchtigen kann. In solchen Fällen kann die Landesregierung die neue Beschäftigung in den 12 Monaten ganz oder teilweise untersagen. Die Entscheidung der Landesregierung muss mit der Empfehlung des Gremiums veröffentlicht werden.[15] Die Regelung orientiert sich an der Karenzzeit der Bundesregierung, begrenzt diese aber auf max. 12 Monate.

Zudem gilt für ehemalige Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in NRW nach dem Korruptionsbekämpfungsgesetz eine fünfjährige Anzeigepflicht für neue Beschäftigungen, die mit der früheren dienstlichen Arbeit in Zusammenhang stehen. Wie bereits bei den Landesbeamten kann die Beschäftigung untersagt werden, wenn „wenn zu besorgen ist, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden“. [16]

Karenzzeiten in anderen Ländern

In anderen Staaten gibt es bereits verpflichtende Karenzzeit-Regelungen auf bundesstaatlicher Ebene. Dabei sind die Regulierungen ganz unterschiedlich konzipiert:

Auch in der Europäischen Union wurden auf verschiedenen Ebenen eine Karenzzeit eingeführt. Hier finden Sie eine Übersicht über alle angebotenen Lobbypedia-Artikel zum Thema Karenzzeit.


Weiterführende Informationen

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

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Einzelnachweise

  1. Karenzzeitregelung Gesetzentwurf, bmi.bund.de vom 05.02.2015, abgerufen am 28.04.2020
  2. Beschluss Karenzzeit-Gesetz, lobbycontrol.de vom 03.07.2015, abgerufen am 28.04.2020
  3. Bundesbeamtengesetz (BBG), § 105, gesetze-im-internet.de, abgerufen am 28.04.2020
  4. Soldatengesetz (SG), § 20a, abgerufen am 28.04.2020
  5. Deutsches Richtergesetz (DRig), § 46, gesetze-im-internet.de, abgerufen am 28.04.2020
  6. Bundestag verabschiedet Gesetz zur Einführung einer Karenzzeit, dipbt.bundestag.de, zuletzt aufgerufen am 28.04.2020
  7. Stellungnahme Lobbycontrol, lobbycontrol.de vom 10.06.2015, zuletzt aufgerufen am 28.04.2020
  8. Regierung einigt sich auf Karenzzeit faz.net vom 07.10.2014, abgerufen am 28.04.2020
  9. Karenzzeit: Sauber nur auf dem Papier, sueddeutsche.de vom 11.07.2016, zuletzt aufgerufen am 28.04.2020
  10. Neues Beratergremium: Theo Waigel berät Regierung bei Minister-Wechseln in Wirtschaft, faz.net vom 22.07.2016, zuletzt aufgerufen am 28.04.2020
  11. Neues Team prüft Seitenwechsel lobbycontrol.de, abgerufen am 19.04.2022
  12. Ein Jahr Wartezeit für Seitenwechsler, tagesschau.de vom 02.07.2014, archiviert auf archive.org, abgerufen am 28.04.2020
  13. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD CDU.de, abgerufen am 28.04.2020
  14. Karenzzeit: Unterschriftenübergabe und Anhörung im Bundestag, lobbycontrol.de vom 16.06.2015, zuletzt aufgerufen am 30.04.2020
  15. Landesministergesetz, §4a bis §4c, abgerufen am 22.2.2018
  16. Korruptionsbekämpfungsgesetz zusammen mit § 41 Beamtenstatusgesetz. Die Regeln gelten für ehemalige Beschäftigte, die aus ihrer früheren Tätigkeit Versorgungsbezüge, gesetzliche oder betriebliche Renten oder ähnliches erhalten. Im Ruhestand ist die Anzeigepflicht auf drei Jahre verkürzt. Siehe § 52 Abs. 5 Landesbeamtengesetz. Alle abgerufen am 28.04.2020

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