Karenzzeit

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Unter Karenzzeit (auch Abkühlphase; englisch 'cooling off period') versteht man eine Sperrfrist, die nach dem Ausscheiden aus einem Amt einen Wechsel in bestimmte neue Positionen einzuhalten ist, um die Auswirkungen von Interessenkonflikten zwischen neuer und alter Stelle zu begrenzen. Karenzzeiten in der Politik unterbinden den unmittelbaren Wechsel von Politikern oder Spitzenbeamten in Lobbytätigkeiten und regulieren so das Problem der Seitenwechsel (auch ‚Drehtür-Effekt‘).

In verschiedenen Staaten wurden bereits Karenzzeit-Reglungen für Politiker auf nationaler Ebene eingeführt. Für Deutschland hat das Bundeskabinett am 4. Februar 2015 eine Karenzzeitregelung verabschiedet, die nun vom Bundestag beschlossen werden soll. Einige deutsche Bundesländer kennen schon verbindliche Karenzzeiten, zudem gibt es sie für bestimmte öffentliche Berufsgruppen. So gelten für Beamte[1], Mitglieder der Bundeswehr[2] und Richtern[3] ihrem Amt bzw. Dienst Karenzzeiten, bei Nichteinhaltung droht der Verlust der Versorgungsbezüge.

Mögliche Einführung in Deutschland

Am 4. Februar 2015 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen. Die Regelung muss noch im Bundestag verabschiedet werden. In Kraft treten wird die Neuregelung daher frühestens im Sommer 2015. Eine aktuelle Einschätzung zu dem Entwurf findet sich im LobbyControl-Blog.

Der jetzt aktuelle Vorschlag basiert auch Eckpunkten, auf die sich die Große Koalition im Oktober 2014 geeinigt hat. Demnach müssen Minister und Staatssekretäre unmittelbar anzeigen, wenn sie eine Erwerbstätigkeit in der Privatwirtschaft aufnehmen wollen. Ein Gremium von anerkannten Persönlichkeiten soll daraufhin den Wechsel auf mögliche Interessenskonflikte untersuchen. Wenn solch ein Konflikt der Interessen festgestellt wird, könnte die Bundesregierung auf Vorschlag des Gremiums eine Karenzzeit von bis zu 18 Monaten verhängen. [4]

Bereits im Sommer 2014 hatte sich Bundeskanzlerin Merkel für die Einführung einer verbindlichen Karenzzeit mit dieser Ausgestaltung ausgesprochen.[5] Dabei hatte sich die Union im Wahlkampf noch gegen die Einführung ausgesprochen, diese Haltung jedoch in den Koalitionsgesprächen mit der SPD aufgegeben. In den Koalitionsvertrag wurde eine äußerst vage Formulierung aufgenommen: „Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an.“ [6]

Forderung LobbyControl

LobbyControl tritt für eine verbindliche Karenzzeit auf bundesstaatlicher Ebene ein, geltend für KanzlerIn, MinisterInnen, StaatsministerInnen, parlamentarische und beamtete StaatssekretäreInnen sowie AbteilungsleiterInnen. Die Forderungen beinhalten fünf Eckpunkte, die über die bisherigen Entwürfe in der Politik hinausgehen: [7]

  1. Innerhalb der Karenzzeit sind Lobbytätigkeiten generell und unabhängig vom vorherigen politischen Tätigkeitsbereich des Seitenwechslers untersagt.
  2. Die Karenzzeit muss länger als zwölf Monate gelten. LobbyControl fordert drei Jahre.
  3. Verhandlungen über mögliche Folgebeschäftigungen noch während der Amtszeit müssen untersagt sein.
  4. Die Karenzzeit muss auf gesetzlicher Grundlage verankert werden, damit die Regelung auch umfassend durchgesetzt werden kann.
  5. Das Bundeskabinett darf nicht diejenige Instanz sein, die im Einzelfall entscheidet, ob die Aufnahme einer Tätigkeit nach Ausscheiden aus der Regierung auf Grund von Interessenkonflikten oder Lobbytätigkeiten untersagt werden muss. Notwendig ist ein von der Regierung unabhängiges Gremium mit eigenen Untersuchungsbefugnissen und angemessener personeller Ausstattung.

Daher kann nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung den Einfluss finanzstarker Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Nach drei Jahren dürfte das Insiderwissen zumindest in Teilen veraltet, Kontakte abgekühlt und frühere Kollegen nicht mehr in den alten Positionen beschäftigt sein.

Parteipositionen im Wahlkampf 2013

Vor der Bundestagswahl 2013 hatte LobbyControl die fünf Bundestags-Parteien gefragt, wie sie Lobbyismus transparent machen und kontrollieren wollen.[8] Zum Thema Karenzzeiten vertraten sie folgende Standpunkte:

CDU/CSU

Im Wahlkampf hatten sich CDU und CSU gehen eine Einführung einer gesetzlichen Karenzzeit ausgespochen. Diese Position haben sie während der Koalitionsverhandlung aber nicht beibehalten und sich auf einen Kompromis eingelassen.

SPD

Während einer Karenzzeit von 18 Monaten sollen neue Jobs von Ex-Regierungs­mitgliedern von einer Ethikkommission genehmigt werden. Vorbild ist der Kodex der EU-Kommission. Positiv ist, dass die SPD sich für eine Karenzzeit aussprach. Allerdings könnten Regierungsmitglieder auch in dieser Zeit neue Jobs annehmen, wenn die geplante Ethikkommission diese genehmigen würde. Die Wirksamkeit der Regelung hängt also davon ab, wie strikt diese Kommission die Fälle prüfen würde. Wenn die EU-Regelung übernommen würde, dürften ausscheidende Regierungsmitglieder in diesen 18 Monaten immerhin keine Lobbyarbeit betreiben, die ihren ehemaligen Zuständigkeitsbereich betrifft. Insgesamt wäre der SPD-Vorschlag eine Verbesserung des Status Quo – er bleibt aber hinter den LobbyControl-Forderungen zurück.

DIE LINKE

Während einer gesetzlichen Karenzzeit von 5 Jahren soll für MinisterInnen und StaatssekretärInnen kein Wechsel in große Unternehmen möglich sein, „für die die Zuständigkeit des betreffenden Bundesministeriums bestand“. Begrüßenswert ist auch hier, dass eine Karenzzeit für MinisterInnen und parlamentarische StaatssekretärInnen befürwortet wird. Allerdings hält LobbyControl es für nicht zielführend, die Karenzzeit auf Tätigkeiten in „großen Unternehmen“ zu begrenzen und auch nur dann anzuwenden, wenn das Unternehmen im Zuständigkeitsbereich des betreffenden Ministeriums anzusiedeln ist. Verbände oder Lobbyagenturen wären davon etwa nicht betroffen. Dort wäre Lobbyarbeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt weiterhin möglich. Auch bleibt unklar, wann genau ein Unternehmen unter die Zuständigkeit eines bestimmten Ministeriums fallen würde.

Bündnis 90/Die Grünen
Während einer Karenzzeit von 3 Jahren soll die Aufnahme neuer Tätigkeiten für MinisterInnen und StaatssekretärInnen genehmigungspflichtig werden. Bei „Interessenkollisionen“ müsste dann die Genehmigung versagt werden. Der Vorschlag der Grünen für eine Karenzzeit wäre eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo. Aber auch er bleibt hinter den LobbyControl-Forderungen zurück, da nur Lobbyarbeit „auf dem gleichen Feld“ untersagt werden würde. Zudem fällt auf, dass die jeweiligen Vorschläge im Wahlprogramm, in der Antwort auf unsere Fragen und in den Anträgen im Bundestag voneinander abweichen. Das macht die grüne Position zu einer Karenzzeit etwas unklar.

FDP

Die FDP schlug einen Verhaltenskodex vor. Danach soll innerhalb von zwei Jahren nach dem Ausscheiden eines Ministers / einer Ministerin oder Staatssekretärs / Staatssekretärin die Aufnahme einer neuen Tätigkeit untersagt werden können, wenn „eine Beeinträchti­gung dienstlicher Interessen droht“. Positiv ist, dass die FDP eine Regelung für die Seitenwechsel von MinisternInnen und StaatssekretärInnen in Erwägung zieht. Allerdings ist der Vorschlag sehr weich und seine Wirksamkeit fraglich.

Länderebene

Auf Länderebene gibt es schon Vorstöße zu einer breiteren Lobbyregulierung: Es sei beispielhaft auf die sogenannten Lobbyregister in Brandenburg und Rheinland-Pfalz verwiesen. In Nordrhein-Westfalen verpflichtet ein sogenanntes Korruptionsbekämpfungsgesetz ehemalige Regierungsmitglieder dazu, ihre Nachfolgetätigkeit anzuzeigen. Außerdem gilt für sie, analog zu den Landesbeamten, eine fünfjährige Karenzzeit, wenn die neue Tätigkeit ihren dienstlichen Pflichten entgegensteht. [9] Im August 2014 wurde ein gemeinsamer Gesetzesentwurf von SPD, CDU, Grünen und Linken zur Einführung einer zweijährigen Karenzzeit in Hamburg vorgelegt.

Karenzzeiten in anderen Ländern

In anderen Staaten gibt es bereits verpflichtende Karenzzeit-Regelungen auf bundesstaatlicher Ebene. Dabei sind die Regulierungen ganz unterschiedlich konzipiert:

Auch in der Europäischen Union wurden auf verschiedenen Ebenen eine Karenzzeit eingeführt. Hier finden Sie eine Übersicht über alle angebotenen Lobbypedia-Artikel zum Thema Karenzzeit.

Weiterführende Informationen

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

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Einzelnachweise

  1. Bundesbeamtengesetz (BBG), § 105, abgerufen am 10.12.2013
  2. Soldatengesetz (SG), § 20a, abgerufen am 10.12.2013
  3. Deutsches Richtergesetz (DRig), § 46, abgerufen am 10.12.2013
  4. Regierung einigt sich auf Karenzzeit FAZ online vom 07.10.2014, abgerufen am 08.10.2014
  5. Ein Jahr Wartezeit für Seitenwechsler www.tagesschau.de vom 02.07.2014, aberufen am 30.09.2014
  6. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD Internetauftritt der CDU, abgerufen am 30.09.2014
  7. Fünf Eckpunkte für eine wirksame Karenzzeit Pressemeldung von Lobycontrol, www.lobbycontrol.de vom 10. Juli 2014, abgerufen am 6.10.2014
  8. Wahlprüfsteine 2013 - Wie wollen die Parteien Lobbyismus kontrollieren?, LobbyControl Website, abgerufen am 22.11.2013
  9. Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in Nordrhein-Westfalen (Korruptionsbekämpfungesetz - KorruptionsG), § 19, abgerufen am 10.12.2013

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