Karenzzeit EU

Auf EU-Ebene gibt es verbindliche Karenzzeit-Regelungen für die Kommissare und Mitarbeiter von EU-Institutionen. Insbesondere die Kommission ist von der Problematik des Seitenwechsels von Politikern zu Vertretern privater Interessen stark betroffen.

Europäische Kommission

Die Europäische Kommission ist einer der drei entscheidenden Akteure im Gesetzgebungsprozess der EU, sie besitzt das Initativrecht für Gesetzesvorschläge. Die Kommission ist für Lobbyist:innen besonders interessant, hier eröffnet sich die Möglichkeit Gesetze noch in ihrer Entstehung und Ausformulierung zu beeinflussen. Der Lobbyeinfluss stellt jedoch nicht die einzige Gefährdung für die Unabhängigkeit der Arbeit der Kommission dar. Der Seitenwechsel vieler ehemaliger EU-Kommissar:innen in Lobbypositionen lässt ein besonders fragwürdiges Licht auf die Neutralität ihrer Arbeit in der Kommission fallen. Ein Überblick über die Wechsel der leitenden Mitarbeiter der Kommission ist nicht verfügbar. 39 Prozent der 92 EU-Kommissar:innen der Kommissionen von 1981 bis 2009 arbeiteten und arbeiten nach ihrem Ausscheiden als Vertreter privater Interessen; prominente Fälle waren die Wechsel von Günter Verheugen, Benita Ferrero-Waldner oder Charles McCreevy.[1]Daher hat die Kommission mittlerweile Karenzzeitregelungen für ihre ehemaligen Kommissar:innen und Beamt:innen eingeführt.

Grundsätzlich verbietet die EU-Kommission ihren ehemaligen Mitgliedern Lobbying in Angelegenheiten in thematischer Nähe zu ihrer Betätigung bei der Kommission (drei Jahre für ehemalige Präsident:innen). Darüber hinaus gilt für ehemalige EU-Kommissionsmitglieder eine Anzeigepflicht für berufliche Tätigkeiten bis zu zwei Jahre nach Ausscheiden aus dem Amt. Für ehemalige Präsident:innen beträgt diese Zeit drei Jahre. In diesem Zeitraum kann die amtierende Kommission nach Beratung durch ein unabhängiges Ethikkomitee Auflagen für die Ausübung angezeigter Tätigkeiten verhängen oder diese vollständig untersagen. Das Ethikkomitee wird von der Kommission auf Vorschlag ihres:ihrer Präsident:in für eine dreijährige Amtszeit berufen. Mitglieder können einmalig wiederberufen werden. Das Komitee soll mit Personen besetzt werden, die über Erfahrung in Führungspositionen in europäischen, nationalen oder internationalen Institutionen verfügen und in diesen Positionen „makelloses professionelles Verhalten“ an den Tag gelegt haben.[2] Mitglieder des Komitees sind:[3]

(Stand Februar 2023)

Die Anzeigepflicht schließt unbezahlte Tätigkeiten ein. Das Ethikkomitee muss nicht konsultiert werden bei angestrebten Beamtentätigkeiten, akademischen Tätigkeiten, kurzzeitigen Engagements von ein bis zwei Werktagen und ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Alle Entscheidungen der EU-Kommission und des Ethikkomitees in Karenzzeitangelegenheiten können hier abgerufen werden.


EU-Parlament

Der Korruptionsskandal um die ehemalige Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili („Katargate“) trat Anfang 2023 eine Diskussion über die Einführung strengerer Lobbyregeln im EU-Parlament los. Unter anderem wurde auch die Einführung einer Karenzzeitregelung für ehemalige Parlamentarier:innen angeregt. Dazu wurde im Februar 2023 von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ein Vorschlag vorgelegt, der eine Untersagung von Lobbytätigkeiten von sechs Monaten vorsah.[4][5]Die Vorsitzende der S&D-Fraktion Garcia kritisierte diesen als zu kurz.[6]

Europäischer Rat

Für ehemalige EU-Ratspräsident:innen gilt nach Ausscheiden aus dem Amt ein 18-monatiges Verbot Lobbytätigkeiten gegenüber EU-Institutionen auszuüben. Im gleichen Zeitraum gilt eine Anzeigepflicht aufgenommener Tätigkeiten dem:der amtierenden Ratspräsident:in gegenüber. Diese:r entscheidet frei darüber, ob der Rat zu informieren ist oder nicht. Von der Anzeigepflicht ausgenommen sind öffentliche Ämter und unbezahlte Tätigkeiten ohne EU-Bezug.[7]

EU-Beamt:innen

Verhaltensregeln für die Beschäftigten aller EU-Institutionen sind zentral in den „Staff Regulations“ geregelt. In Sachen Karenzzeit sehen sie eine Anzeigepflicht angenommener Tätigkeiten von zwei Jahren bei der letzten Institution, bei der ein:e Beamt:in beschäftigt war vor. Wenn diese Institution feststellt, dass ein Bezug der neuen Tätigkeit zur Arbeit in den letzten drei Jahren bei der EU besteht, kann sie Auflagen oder ein Verbot der neuen Tätigkeit anordnen. Für ehemalige hohe Beamte gilt ein grundsätzliches zwölfmonatiges Lobbyverbot.[8]

Weiterführende Informationen

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

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Einzelnachweise

  1. There is life after the commission, Roland Vaubel/Bernhard Klingen/David Müller, 2012, Review of International Organizations, 7, 1, Seite 60ff., abgerufen am 21.02.2023
  2. Code of Conduct for the Members of the European Commission Articles 11 and 12, eur-lex.europa.eu, abgerufen am 21.02.2023
  3. The Independent Ethical Committee, commission.europa.eu, abgerufen am 21.02.2023
  4. Group Leader endorse first steps of parliamentary reform, europarl.europa.eu, abgerufen am 21.02.2023
  5. Ehemaligen EU-Parlamentariern wird Lobbying untersagt, euractiv.de vom 08.02.2023, abgerufen am 21.02.2023
  6. Political groups spar over EU Parliament chief Metsola’s Qatargate transparency reforms, politico.eu vom 09.02.2023, abgerufen am 21.02.2023
  7. Code of Conduct for the President of the European Council, consilium.europa.eu, abgerufen am 21.02.2023
  8. EU Staff Regulations, Article 16, eur-lex.europa.eu, abgerufen am 21.02.2023

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