Keine Kategorien vergeben

Lobbyismus an Schulen

    • Keine Statusinformation
Version vom 26. Juni 2014, 14:28 Uhr von Felix (Diskussion | Beiträge) (neu angelegt)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Lobbyismus an Schulen bezeichnet die Aktivitäten außerschulischer Akteure an Schulen, deren Ziel indirekt die Politik bzw. das politische Klima ist. Lobbyismus an Schulen gehört zum Bereich der erweiterten Lobbyarbeit (eng. deep lobbying). LobbyControl hat zu dem Thema im letzten Jahr ein Diskussionspapier veröffentlicht.

Unterschied zwischen Lobbyarbeit und Werbung

In der öffentlichen Diskussion um Meinungsmache an Schulen wird zwischen Lobbyismus und Werbung häufig kaum differenziert. Um beides erkennen zu können ist eine genaue Unterscheidung jedoch wichtig.

Lobbyismus an Schulen

Aktivitäten außerschulischer Aktuer an Schulen können dann als Lobbyismus bezeichnet werden, wenn politische Ansichten vermittelt werden sollen und indirekt die Politik bzw. das politische Klima Ziel der Aktivitäten ist. Dabei kann es sowohl um eine inhaltliche Einflussnahme als auch um die Verbesserung des eigenen Images gehen. Außerdem kann über Schulaktivitäten versucht werden, Lobby-Kontakte zu Entscheidungsträgern aufzubauen.[1]

Meinungsmache an Schulen kann in diesen Fällen als Teil einer erweiterten Lobbyarbeit gesehen werden. Im Englischen wird diese langfristige Beeinflussung von Einstellungen, Stimmungen oder Diskursen in der Gesellschaft auch als deep lobbying bezeichnet.

Werbung an Schulen

Werbung an Schulen lässt sich in zwei Kategorien unterteilen. Zum einen werden Produkte und Marken beworben, die Kinder als Zielgruppe haben. Zum anderen soll durch Werbung eine Markenbindung erreicht werden. D.h. Kinder und Jugendliche sollen schon früh als zukünftige Kunden angesprochen und beeinflusst werden.

Spezialisierte Agenturen für Kinder- und Jugendmarketing wie cobra youth communications beschreiben dies so: „Je früher ein Konsument an eine Marke oder ein Produkt herangeführt wird, umso geringer ist die Wechselbereitschaft auf andere Marken zu einem späteren Zeitpunkt. Wer also frühzeitig in spezielle Kommunikationsmaßnahmen für Kinder investiert, profitiert später von besonders loyalen Kunden.“[2]

Werbung ist an Schulen in den meisten Bundesländern verboten. Die entsprechenden Gesetze lassen jedoch viel Spielraum zu. In NRW heißt es beispielsweise im Schulgesetz: „Werbung, die nicht schulischen Zwecken dient, [ist] in der Schule grundsätzlich unzulässig.“ Sponsoring ist erlaubt, wenn „die Werbewirkung deutlich hinter den schulischen Nutzen zurücktritt.“ Die Entscheidung, ob Werbung schulischen Zwecken dient und ob sie dabei deutlich hinter den schulischen Nutzen zurücktritt, bleibt dabei der Schulleitung überlassen.

Wie und wo Einfluss genommen wird

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die Unterrichtsinhalte an Schulen zu beeinflussen. Dafür werden kostenlose Lehrmaterialien erstellt, dauerhafte Kooperationen mit Schulen eingegangen oder Schulwettbewerbe veranstaltet. Der Weg in die Schulen wird oft professionell organisiert. Spezialisierte Agenturen bieten dies als Dienstleistung an. Die Hoffnung der Lobbyisten: Die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen wirkt ein Leben lang.

Einseitiger Lehr- und Lernmaterialien bereitstellen

Die meist kostenlosen Lehr- und Lernmaterialien sind schnell herzustellen und leicht zu verbreiten. Die Anzahl dieser Materialien ist mittlerweile nicht mehr zu überblicken. LehrerInnen reden in diesem Zuammenhang davon, „überschüttet“[3] zu werden. Da viele Schulbücher veraltet sind, eignen sich die Materialien gut, die politische Botschaft mit aktuellen Themen zu verknüpfen und so in die Schule zu tragen.

Beispielsweise im Heft Hoch im Kurs, finanziert vom Bundesverband Investment und Asset Management (BVI). Der BVI vertritt die Interessen der deutschen Investmentunternehmen in Politik und Gesellschaft. In dem Material wird die private Altersvorsorge einseitig und alternativlos dargestellt. Außerdem werden SchülerInnen aufgefordert, ihr Geld in Aktien anzulegen.[4] Dass der BVI das Material finanziert hat, wird aus dem Impressum nicht deutlich. Dort steht lediglich: „Herausgeber: Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem BVI Bundesverband Investment und Asset Management e.V.“[5]

Nach einer Studie der Universität Augsburg sind kostenlose Materialien für Unternehmen „eine häufige Alternative zu anderen Marketingstrategien und Werbemöglichkeiten“.[6] Von den untersuchten 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen waren nur vier nicht an der Produktion von Schulmaterialien beteiligt.[6]

ExpertInnen an die Schulen entsenden

Experten können den Unterricht durch ihr Fachwissen bereichern. Sind diese Experten jedoch auch Interessenvertreter von Unternehmen, besteht die Gefahr, dass sich beide Rollen vermischen und Einfluss genommen wird.

Beispielsweise bei der Initiative My Finance Coach, ein Projekt der Unternehmen Allianz, McKinsey und Grey, die 2010 gegründet wurde.[7] Sie bietet Unterrichtsmaterialien und Lehrerfortbildungen an und schickt auf Wunsch Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen als sogenannte „Finance Coachs“ in die Klasse. Im Zeitraum von Oktober 2011 bis Oktober 2012 erreichte My finance Coach nach eigenen Angaben so etwa 23.000 SchülerInnen.[7]

Die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) kritisierte, dass die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen die Rolle der LehrerInnen übernehmen, obwohl die Neutralität der ExpertInnen zu bezweifeln sei.[8] Der Soziologe Reinhold Hedtke sieht die Gefahr, dass diese Praxis den Unternehmen die Möglichkeit bietet, „ein positives Bild ihres Unternehmens sowie seiner Vertreter [...] in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler zu verankern.“[9]

Attraktiver Wettbewerbe und Workshops organisieren

Auch Schulwettbewerbe und Spiele werden für Meinungsmache an Schulen genutzt. Der unterhaltsame Ansatz soll die Inhalte für Kinder und Jugendliche attraktiv machen und ein positives Image erzeugen. Ein weiterer Vorteil liegt in der großen Reichweite solcher Projekte: Häufig wird das soziale Umfeld mit einbezogen.

So auch im Schulwettbewerb „Packs an“, den der Energiekonzern RWE 2010 zum Thema Energieeffizienz veranstaltete.[10] Eines der Ziele war es, „dass Schüler Maßnahmen entwickeln, um Menschen in ihrem Umfeld zum Energiesparen zu sensibilisieren.“[10] Eine Öffentlichkeitswirkung sollte „durch Ansprache Dritter“ erzeugt werden.[10] In diesem Fall: Lehrer, Eltern, Freunde und Verwandte der Schüler.

RWE konnte sich so als fortschrittlich darstellen und erreichen, dass das Unternehmen mit Stromsparen und damit auch mit Klimaschutz in Verbindung gebracht wird. Auf politischer Ebene versucht RWE jedoch durch seine Lobbyarbeit häufig, Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern.[11]

Gefahren für Kinder und Jugendliche

Einseitige Meinungsbildung

Wenn die Inhalte an die Ziele der Herausgeber angepasst und vereinfacht werden, ist die Gefahr groß, dass sie einseitig werden und so für eine kontroverse Auseinandersetzung nur bedingt geeignet sind. Ein Engagement außerschulischer Akteure an Schulen, das ausgeglichen und kontrovers ist, ist in der Regel nicht mit den Unternehmens-, Verbands-, oder Vereinszielen zu vereinbaren oder würde ihnen sogar widersprechen.

Eine umfassende und kontroverse Auseinandersetzung, auf deren Grundlage sich die Schülerinnen und Schüler eine eigene Meinung bilden können, wird erschwert. Schulen werden so für die Meinungsmache einzelner Interessengruppen instrumentalisiert.

Benachteiligung finanzschwacher Interessen

Ansprechendes Unterrichtsmaterial erarbeiten und kostenlos bereitstellen, MitarbeiterInnen in Schulen schicken, Wettbewerbe organisieren, Lehrerausbildung anbieten, Studien finanzieren – das alles kostet Geld und ist daher nur Akteuren mit entsprechenden finanziellen Mitteln möglich. Eine große Gefahr besteht daher darin, dass finanzschwache Interessen gegenüber finanzstarken Akteuren systematisch benachteiligt werden. Ressourcenunterschiede spielen eine zentrale Rolle in der Frage, wer wie zu Wort kommt.

Förderung der Ungleichheit

Nicht jedes Thema, jede Schule und jede Region ist gleich attraktiv. Aktivitäten finden gerne dort statt, wo es für den Auftraggeber von Interesse ist und nicht dort, wo die Bedürfnisse der SchülerInnen am größten sind. Als Türöffner für die Interessen der Unternehmen dienen auch finanzielle Förderungen. Der Mineralölkonzern ExxonMobil spendete dem Gymnasium Sulingen im Rahmen ihrer Schulkooperation beispielsweise jährlich 10.000 Euro.[12]Schulen, die sich solchen Kooperationen widersetzen, drohen ins Hintertreffen zu geraten.

Fallbeispiel ExxonMobil

Der Mineralölkonzern ExxonMobil spendet dem Gymnasium Sulingen seit dem Start ihrer Schulkooperation im Juli 2007 jährlich 10.000 Euro.[13] Dafür öffnet die Schule dem Konzern die Schultür:[12] Knapp zwei Monate nach dem Start der Kooperation findet im Foyer des Gymnasiums eine Erdgasausstellung von ExxonMobil statt, "die SchülerInnen erhielten einen 40 minütigen Fachvortrag zum Thema Erdgas von einem Mitarbeiter der Firma ExxonMobil".[13]

Auf der Website des Gymnasiums sind die Folgeveranstaltungen in Kooperation mit dem Mineralölkonzern aufgelistet: „Betriebsrecherchen“ für Seminar- und Facharbeiten in den Anlagen von ExxonMobil und Vorträge zum Thema „Erdgas und Erdölförderung“ von Mitarbeitern des Unternehmens. Dazwischen sponsorte das Unternehmen Klassenfahrten in die Hamburger Philharmonie und finanziert 220 Schülerinnen und Schülern eine Reise zur Hannover Messe.[13] Über die enge Zusammenarbeit im naturwissenschaftlichen Seminarfach hinaus, organisiert ExxonMobil außerdem sogenannte Lehrerpraktika zum Thema Erdgas.[14]

In seiner Studie "Erdöl- und Erdgasgewinnung als Thema für die gymnasiale Oberstufe" dokumentiert der Wirtschaftsverband Energie - und Erdgasgewinnung e.V. (WEG) den Erfolg des Pilotprojektes „Schulkoooperation Erdöl/Erdgas“ u.A. auch die Zusammenarbeit des Gymnasiums Sulingen mit ExxonMobil seit 2007.[15] Die Ziele der Kooperation sind:

  • Verbesserung der Akzeptanz vor Ort durch die Unterstützung örtlicher Schulen
  • Verbesserung der Reputation der Branche
  • Versachlichung der Darstellungen über die Erdöl- und Erdgasproduktion in Schulen
  • Stärkung des Interesses Jugendlicher an einem Arbeitsplatz in der E&P-Industrie
  • Stärkung des Interesses Jugendlicher an technischen und naturwissenschaftlichen Themen und Studiengängen

In der Auswertung zieht der WEG ein positives Fazit: Nach eigenen Angaben bewerten „57 Prozent [der befragten Schülerinnen und Schüler] [...] das Partnerunternehmen mit 'sehr gut' und 'gut'. Für 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler hat sich die Bewertung des Partnerunternehmens verbessert.“[15]

Forderungen und Handlungsempfehlungen von LobbyControl

Zu lange hat die Politik das Problem der zunehmenden Einflussnahme an Schulen ignoriert. Dabei ist die Aufsicht des Staates über das Schulwesen sogar im Grundgesetz verankert.[16] Aufgabe der Politik muss es daher sein, einen kritischen Umgang mit externen Materialien und Angeboten zu fördern und das Thema gezielt in der Schule und im Schulumfeld zu behandeln. Aber auch SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen müssen sich mit der Einflussnahme an Schulen beschäftigen. Lobbyismus im Klassenzimmer wirksam einzubämmen, kann nur gelingen, wenn sich alle Betroffenen beteiligen.

LobbyControl setzt sich für folgende politische Forderungen ein:

  • Einrichtung einer Monitoringstelle für Unterrichtsmaterial: Diese sollte keine formale Zulassungsstelle zur Überprüfung aller Unterrichtsmaterialien sein, sondern eher ein Korrektiv, das den kritischen Umgang mit Materialien fördert und LehrerInnen mit externem Rat unterstützt.
  • Finanzierung einzelner Unterrichtsmaterialien offenlegen: LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen müssen auf den ersten Blick erkennen können, von wem das Material stammt und wessen Interessen darin vertreten werden.
  • Kooperationen kritisch prüfen: Kultusministerien und Schulen müssen offizielle Kooperationen besonders kritisch prüfen, da diese zu Abhängigkeiten und mangelnder Distanz führen können. Die Länder sollten klare Kriterien aufstellen.
  • Werbung umfassend verbieten: Werbung und als Sponsoring verdeckte Werbung muss an Schulen umfassend verboten werden. Damit das Verbot nicht zu Einschränkungen im Schulalltag führt, ist gleichzeitig eine bessere Finanzierung der Schulen notwendig (siehe nächste Forderung).
  • Finanzierung des Bildungssystems verbessern: Die Unterfinanzierung des Bildungssystems in Deutschland ist ein zentrales Einfallstor von Lobbyisten. LobbyControl fordert eine ausreichende Finanzierung der Schulen, um eine Abhängigkeit von finanzkräftigen Unternehmen zu vermeiden.
  • Ausbildung verbessern: Zukünftige Lehrer müssen bereits in der Ausbildung für die Gefahren der Einflussnahme sensibilisiert werden.

Checkliste: Lobbyismus im Schulalltag erkennen und verhindern

  • Genau anschauen, wer hinter einem Angebot steckt
  • Informationen über die Finanzierung suchen. Bei fehlenden Angaben nachfragen
  • Klarheit über die Interessen und Ziele des Anbieters verschaffen
  • Über alternative Angebote informieren
  • Für LehrerInnen: Im Zweifelsfall KollegInnen um Einschätzung bitten und die Nutzung mit der Schulleitung klären
  • Für SchülerInnen und Eltern: Bei fragwürdigen Angeboten LehrerInnen oder Schulleitung ansprechen
  • Manipulative Angebote nutzen, um Lobbyismus an Schulen zu thematisieren

Weitere Informationen

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

https://www.lobbycontrol.de/newsletter-lobbypedia/https://twitter.com/lobbycontrolhttps://www.facebook.com/lobbycontrolhttps://www.instagram.com/lobbycontrolVernetzen

Einzelnachweise

  1. Günter Vollmer, Unternehmen machen Schule. Mit Lernpartnerschaften zu wirtschaftsorientierten Bildungsregionen, Bonn 2005, S. 89
  2. Unser Profil - Kindermarketing und Kinderkommunikation, cobrayouth.de, abgerufen am 25.06.2014
  3. Zeit.Online: Lernziel Konsum Josef Kraus, Schulleiter in Bayern und Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, zitiert nach Zeit Online vom 27.03.2008. Aufgerufen am 12.03.2014
  4. Stiftung Jugend und Bildung, Bundesverband Investment und Asset Management, Hoch im Kurs, Berlin 2013, S.9.
  5. Hoch im Kurs- die Schülerbroschüre Website der Lehr- und Lernmaterialien von Hoch im Kurs. Aufgerufen am 12.03.2014
  6. 6,0 6,1 Bildungsmedien Online Abstract zum Projekt der Universität Augsburg, Forschungsprojekt mit dem Verband Bildungsmedien in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Schulpädagogik, Projektträger ist der Verband Bildungsmedien e.V. Aufgerufen am 12.03.2014
  7. 7,0 7,1 My Finance Coach- Pressemitteilungen Offizielle Website der Initiative. Aufgerufen am 12.03.2014
  8. Materialkkompass der vzbv Bewertung von My Finance Coach. Abgerufen am 12.03.2014
  9. L.Möller, R.Hedtke: Wem gehört die ökonomische Bildung? Bielefeld 2011. Aufgerufen am 12.03.2014
  10. 10,0 10,1 10,2 RWE Schulwettbewerb Website RWE, Offizielle Ergebnisse und Ziele der Schulwettbewerbe, Aufgerufen am 13.03.2014
  11. Worst Lobby Award Website LobbyControl, Aufgerufen am 13.03.2014
  12. 12,0 12,1 Erste Stunde: Lobbykunde, zeit.de vom 29.11.2013, abgerufen am 24.06.2014
  13. 13,0 13,1 13,2 Gymnasium Sulingen Website des Gymnasiums über die Koopertaion mit ExxonMobil. Aufgerufen am 12.03.2014
  14. Lehrerpraktikum bei ExxonMobil Website des Gymnasiums Sulingen über die Schulkooperation mit ExxonMobil, Aufgerufen am 13.03.2014
  15. 15,0 15,1 Dokumentation Schulkooperation Erdöl/Erdgas Wirtschaftsverband Energie- und Erdgasgewinnung e.V, Aufgerufen am 13.03.2014
  16. GG der BRD Artikel 7, Absatz 1. Aufgerufen am 12.03.2014.

Anhänge

Diskussionen