Nebeneinkünfte von Abgeordneten

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Bundestagsabgeordnete können unbegrenzt Nebentätigkeiten aufnehmen und Nebeneinkünfte erzielen. Das wirft immer wieder die Frage nach möglichen Interessenkonflikten und der Unabhängigkeit der Abgeordneten auf. Tatsächlich haben 193 der 620 Bundestagsabgeordneten neben ihren Diäten zusätzliche Einkünfte, 126 geben einen Nebenverdienst in der Höchststufe 3 an, also über 7.000 Euro (Stand: Okt 2012).[1]

Seit dem 5. Juli 2007 können die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten in groben Stufen auf der Webseite des Bundestags eingesehen werden. Auslöser der 2005 verabschiedeten Transparenzregeln waren mehrere Skandale, die 2004 und 2005 publik wurden: Abgeordnete hatten hohe Summen von bekannten Wirtschaftsunternehmen wie RWE, Siemens oder VW erhalten – und konnten dafür weder glaubhaft Gegenleistungen nachweisen noch die jeweiligen Summen in ihrer Höhe rechtfertigen.

Die aktuellen Regeln sind allerdings lückenhaft und müssen nachgebessert werden. Die Stufenregelung endet z.B. bereits bei 7.000 Euro – ob ein Abgeordneter in einem Nebenjob 7.001 Euro oder 100.000 Euro verdient, ist nicht erkennbar.


Die Problematik von Nebeneinkünften

Artikel 38 des Grundgesetzes legt fest, dass die Abgeordneten „Vertreter des ganzen Volkes“, „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“ und „nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Dies ist nicht so aufzufassen, dass Bundestagsabgeordnete einem objektiv bestimmbaren Gemeinwohl ihre eigene Meinung unterzuordnen hätten. Im Gegenteil sollen in der Anschauung des Grundgesetzes Entscheidungen im Sinne eines umfassenden Gemeinwohls gerade dadurch zustande kommen, dass im Bundestag verschiedene Meinungen und Interessen repräsentiert und in Einklang gebracht werden müssen.

Abgeordnete müssen also nicht neutral sein, und ein Eintreten für bestimmte Einzelinteressen ist durchaus legitim. Finanzielle Abhängigkeiten können allerdings das unabhängige Mandat und seine freie Ausübung gefährden. Wie die Richtergruppe Broß in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2007 betont, zielt das Nicht-Gebundensein an Aufträge und Weisungen auch auf die Unabhängigkeit von Interessengruppen, die mit finanziellen oder anderen Anreizen Sonderinteressen durchzusetzen versuchen. Nur unabhängig von solchen (zahlenden) Interessengruppen können Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes“ sein. Auch eine Berufstätigkeit bietet „vielfältige Möglichkeiten, politischen Einfluss durch ein Bundestagsmandat für die außerhalb des Mandats ausgeübte Berufstätigkeit gewinnbringend zu nutzen, und gerade von dieser Möglichkeit gehen besondere Gefahren für die Unabhängigkeit der Mandatsausübung“ aus.[2]

Mit den Transparenzregelungen sollen daher berufliche und sonstige Verpflichtungen der Abgeordneten neben dem Mandat sowie Einkünfte, die daraus erzielt werden, sichtbar gemacht werden. Wählerinnen und Wähler sollen sich ein Urteil über mögliche Interessenverflechtungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten bilden können.


Beispiele


Die bestehenden Regeln

In der letzten Sitzung des Bundestags vor seiner Auflösung 2005 beschloss die rot-grüne Mehrheit gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP neue Regeln für Nebentätigkeiten von Abgeordneten. Sie wurden im Abgeordnetengesetz und in den Verhaltensregeln für Abgeordnete festgeschrieben und besagten im Wesentlichen:

  • Im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten steht die Wahrnehmung seines Mandates, Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art bleiben neben dem Mandat aber zulässig.
  • Nebentätigkeiten müssen dem Bundestagspräsidium angezeigt und mit den Einkünften ab 1.000 Euro in pauschalierter Form veröffentlicht werden. Diese Veröffentlichung erfolgt in drei Stufen: Stufe 1 = 1.000–3.500 Euro, Stufe 2 = 3.501–7.000 Euro, Stufe 3 = über 7.000 Euro. Alle Angaben werden im Amtlichen Handbuch und auf den Internetseiten des Deutschen Bundestages veröffentlicht.
  • Bei Verstößen kann das Bundestagspräsidium Geldstrafen (Ordnungsgelder) verhängen.
  • Abgeordnete dürfen außer Spenden keine Zuweisungen ohne entsprechende Gegenleistungen entgegennehmen.

Eine genauere Darstellung auf der Webseite des Bundestages und in: Nina Katzemich/ Ulrich Müller: Nebentätigkeiten der Bundestagsabgeordneten: Transparenz ungenügend. 2009. LobbyControl-Studie zur Umsetzung der neuen Transparenzregeln (pdf).


Defizite und Nachbesserungsbedarf

  • Die Angaben zu den Nebeneinkünften sind zu grob: Die drei Stufen sind ab 7.000 Euro monatlich/jährlich nach oben offen. Insbesondere bei jährlichen oder einmaligen Einkünften bleiben die genauen Nebeneinkünfte im Dunkeln.
  • Für Anwälte und Unternehmensberater schaffen die Regeln in ihrer jetzigen Form und Umsetzung kaum Transparenz. Dabei sind gerade in diesen beiden Berufen Interessenkonflikte mit der Tätigkeit als Abgeordnete/r möglich.
  • Die Regeln wurden in den Ausführungsbestimmungen durch die Bundestagsverwaltung unter Bundestagspräsident Norbert Lammert verwässert. Gerade bei Anwälten schöpft Lammert den vorhandenen Spielraum, zumindest Branchenangaben der einzelnen Kunden zu verlangen, nicht aus.
  • Die Bundestagsverwaltung verweigert jegliche Auskunft darüber, ob und wie sie die Angaben der Abgeordneten – zumindest stichprobenhaft – prüft. Nach Einschätzung von LobbyControl zeigen die fehlenden Angaben zahlreicher Abgeordneter, dass offensichtlich keinerlei Kontrollen stattfinden. Bei einer Untersuchung 2009 hat LobbyControl in den Angaben der Abgeordneten häufig Lücken gefunden. Zahlreiche Abgeordnete gaben Positionen in Präsidien, Kuratorien oder Beiräten von Interessengruppen nicht an.
  • Bekannt gewordene Verstöße gegen die Veröffentlichungspflichten ziehen kaum Sanktionen nach sich.


Aktuelle politische Debatte

Seit längerer Zeit wird immer wieder über eine Reform der Transparenzregeln diskutiert. Dabei sind es nach Einschätzung von LobbyControl vor allem Union und FDP, die sich gegen striktere Regeln wehren. Im April 2011 schlug die Rechtstellungskommission des Bundestages eine Neuregelung vor, die Nebeneinkünfte von Abgeordneten über 10.000 Euro pro Jahr besser sichtbar macht. Dieser Verbesserung stand aber eine skandalöse neue Transparenzlücke gegenüber: Einkünfte unter 10.000 Euro sollten überhaupt nicht mehr bekannt gegeben werden, auch wenn sie in der Summe aus verschiedenen Aufträgen erhebliche Beträge ausmachen und durchaus eine finanzielle Abhängigkeit von einer bestimmten Branche bedeuten könnten.[4] Diese Regelung wurde nach Protesten von LobbyControl, Transparency International, Campact und Mehr Demokratie zurückgezogen. Die Politiker sprachen damals von einem Formulierungsfehler oder Missverständnis, das man korrigieren wolle.[5]

Im Juni 2012 waren die Transparenzregeln für Nebeneinkünfte erneut Thema im Bundestag. Eine Entscheidung fiel allerdings nicht, das Thema wurde vertagt. Nach Angaben aus Oppositionskreisen sperrte sich vor allem die FDP gegen strengere Vorschriften.[6]

Steinbrück-Debatte führt zu Fortschritten - Lücken bleiben

Erst Steinbrücks Kanzlerkandidatur brachte Bewegung in die Sache. Union und FDP kamen unter Druck, weil sie von Steinbrück Transparenz einforderten, aber selbst jahrelang eine Neuregelung blockiert hatten. Angesichts des steigenden öffentlichen Drucks beschloss die Rechtsstellungskommission im Bundestag im Oktober mit schwarz-gelber Mehrheit eine verbesserte Regelung: Nebeneinkünfte sollen in 10 Stufen bis 250.000 Euro offengelegt werden. Bisher gab es nur 3 Stufen: die dritte Stufe galt für alle Einkünfte über 7.000 Euro. Die Oppositionsparteien hatten sich unserer Forderung nach einer Offenlegung auf „Euro und Cent“ angeschlossen, wurden aber überstimmt. Dennoch sind die erweiterten Stufen ein wichtiger Meilenstein.[7]

Zu den Schwächen der neuen Regelung gehört, dass es keine Lösung für Vorträge gibt, die über Redneragenturen gebucht werden. Dazu gibt es immerhin einen Prüfauftrag an die Bundestagsverwaltung, welche Regelung dafür möglich wäre. Auch die Transparenzlücke bei Anwälten und Unternehmensberatern mit Bundestagsmandat ist nicht geschlossen. Weiterhin gibt es keine Regel, die direkte Lobbytätigkeiten von Abgeordneten für Dritte verbietet. Wann die neue Regelung im Plenum des Bundestags endgültig verabschiedet wird, ist noch offen. Wenn es nach den Parteien geht, wird die Neuregelung aber erst nach der Bundestagwahl in Kraft treten.[8]

Die 10 Stufenregelung

Am 14.03.13 wurde beschlossen, dass die neue Regelung für die Bundestagsabgeordneten nach der Bundestagswahl 2013 in Kraft tritt. Nebeneinkünfte unter 1.000€ werden weiterhin nicht zu veröffentlichen sein, Einkünfte ab 1.000€ sind in folgende Stufen einzuteilen:[9]

Stufe Nebeneinkünfte
1 1000-3.500 €
2 bis 7.000 €
3 bis 15.000 €
4 bis 30.000 €
5 bis 50.000 €
6 bis 75.000 €
7 bis 100.000 €
8 bis 150.000 €
9 bis 250.000 €
10 über 250.000 €


Weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Abgeordnete verdienten mindestens 22,5 Mio. nebenher – jetzt alle Einkünfte offenlegen!, Abgeordnetenwatch-Blog vom 4.10.2012, abgerufen am 8.10.2012
  2. pressemitteilungen/bvg07-073.html Bundesverfassungsgericht: Klage der Abgeordneten gegen Offenlegung von Einkünften erfolglos, PM 73/2007 vom 04.07.2007, abgerufen am 8.10.2012
  3. Biografie von Michael Glos, Bundestagswebseite, abgerufen am 8.10.2012
  4. Drastische Transparenzlücken bei Neuregelung von Nebeneinkünften, LobbyControl-Blog vom 15.04.2011, abgerufen am 08.10.2012
  5. Unser Erfolg: Verschleierung von Nebeneinkünften vorerst vom Tisch!, LobbyControl-Blog vom 12.05.2011 mit Zitaten und Quellen, abgerufen am 08.10.2012
  6. FDP blockiert Transparenz bei Nebeneinkünften, Focus Online vom 14.06.2012, abgerufen am 08.10.2012
  7. Nebeneinkünfte: Fortschritt mit Lücken, LobbyControl-Blog vom 25.10.2012, abgerufen am 16.01.2013
  8. Transparente Nebeneinkünfte erst nach der Wahl? – So nicht!, LobbyControl-Blog vom 23.11.2012, abgerufen am 16.01.2013
  9. Abgeordnete müssen Extra-Einnahmen detaillierter aufschlüsseln, Süddeutsche Zeitung vom 15.03.2013, abgerufen am 15.03.2013

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