Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten in Deutschland

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Überblick

Laut einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung hat etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten in der 19. Legislaturperiode (2017 - 2021) Nebeneinkünfte von insgesamt geschätzt etwa 53 Millionen Euro erwirtschaftet. Hinzuverdient haben dabei vor allem Parlamentarier aus der Union und der FDP. Nebentätigkeiten und speziell, die erwirtschafteten Nebeneinkünfte von Abgeordneten sind regelmäßig Teil des öffentlichen und politischen Diskurses über die Unabhängigkeit von Abgeordneten.
Mehrere spektakuläre Fälle haben nach Änderungen 2005 und 2013 im Jahr 2021 zu einer neuerlichen Verschärfung der Abgeordnetenregelungen geführt.

Aktuelle Regelungen (seit 2022)

Der Deutsche Bundestag hat am 8. Oktober das Abgeordnetengesetz in Abschnitt zehn und elf des Gesetzes verändert und erweitert. Regelungen, die schon zuvor in der Geschäftsordnung des Bundestages enthalten waren, wurden mit der Neuerung in Teilen verschärft und auf gesetzliche Grundlage gehoben.

Unabhängigkeit des Mandats (§ 44a AbgG)

Für die Ausübung des Mandats darf die Parlamentarier:in keine andere als die für diese Tätigkeit vorgesehene Entlohnung erhalten (§ 44a AbgG), dh.:

  • Verbot entgeltlicher Lobbytätigkeit gegenüber dem Bundestag und der Bundesregierung durch Bundestagsabgeordnete
  • Verbot von Beratungstätigkeiten sowie von bezahlten Vorträgen, sofern sie in einem Bezug zum Mandat stehen
  • Verbot von missbräuchlichem Hinweis auf Mitgliedshaft im Bundestag in beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten
  • unzulässigerweise entgegengenommene Zuwendungen oder Vermögensvorteile oder ihr Gegenwert werden dem Bundeshaushalt zugeführt. Die Beendigung der Mitgliedschaft im Bundestag berührt diesen Anspruch nicht

Anzeigepflichten

Anzeigepflichten über berufliche und sonstige vermögensrelevante Betätigungen, § 45 Abs. 1 und 2 AbgG

Aus der Zeit vor der Mitgliedschaft im Parlament sind anzuzeigen:

  • der zuletzt ausgeübte Beruf und ein etwaiges Rückkehrrecht
  • Tätigkeiten in Gremium eines Unternehmens oder Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts (Beirat, Vorstand, Aufsichtsrat, o.ä.)

Während der Mitgliedschaft im Parlament sind anzuzeigen:

  • entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat (zB. Vortrags- und Beratungstätigkeit)
  • Mitgliedschaften in Unternehmen
  • Mitgliedschaften in Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes
  • Mitgliedschaften in Vereinen, Verbänden sowie Stiftungen (wenn sie nicht von ausschließlich lokaler Bedeutung sind)
  • Vereinbarungen mit dem Inhalt, dass das Mitglied des Bundestages während der Mitgliedschaft oder nach dem Ausscheiden bestimmte Tätigkeiten übertragen oder Vermögensvorteile zugewendet werden sollen
  • Beteiligungen an Firmen ab fünf Prozent und bei Beteiligung an Beteiligungsfirmen, wenn diese ihrerseits fünf Prozent halten
    • anzugeben ist hier auch die jeweilige Höhe der Einkünfte aus der Beteiligung
    • ebenfalls anzeigepflichtig sind Optionen auf Gesellschaftsanteile und vergleichbare Finanzinstrumente

→ hier sind jeweils die Höhe der Einkünfte zu benennen, wenn sie im Monat den Betrag von 1 000 Euro oder im Kalenderjahr von 3 000 Euro übersteigen

Rechtsanwält:innen, § 46 AbgG

Ab einem Honorar von 1 000 Euro sind Anwält:innen verpflichtet, ihre Tätigkeiten beim Bundestagspräsidenten anzuzeigen.
Gemäß § 45 Abs. 4 AbgG müssen Abgeordnete, die neben ihrem Bundestagsmandat etwa als Berater:in oder Anwält:in Kund:innen oder Mandant:innen betreuen, zumindest die Branche angeben, aus der die Kund:innen stammen und können sich nicht mehr generell auf das Zeugnisverweigerungsrecht oder die vertragliche Verschwiegenheitspflicht berufen. Ausgenommen ist der Fall, dass die Abgeordnete geltend macht, die Branchenangabe würde die Vertragspartei identifizieren.

Interessenverknüpfung, § 49 AbgG

Abgeordnete müssen in Ausschüssen einen Interessenkonflikt anzeigen, wenn sie sich zu Themen äußern, mit denen sie sich auch entgeltlich befassen. Interessenkonflikte müssen von Berichterstatter:innen vor einer Wortmeldung zum Thema konkret (und nicht nur generell) offengelegt werden und werden im Ausschussbericht veröffentlicht.

Spenden, § 48 AbgG

Es besteht eine Anzeigepflicht über geldwerte Zuwendungen aller Art (Spenden), die im Rahmen eines ehrenamtlichen politischen Engagements oder einer Sachunterstützung für die politische Tätigkeit des Mandatsträgers zur Verfügung gestellt wird. → Anzuzeigen ab Größe von 1 000 Euro im Kalenderjahr → Zu veröffentlichen, soweit die einzelne Spende im Kalenderjahr die Höhe von 3 000 Euro übersteigt oder bei mehreren vom selben Spender, die Spenden gemeinsam den Wert von 3 000 Euro im Kalenderjahr übersteigen

Gastgeschenke in Bezug auf das Mandat sind ab einem Sachwert von 200 Euro dem Präsidenten des Bundestags auszuhändigen

Sanktionen

Bestehen Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung, kann der Bundestagspräsident gemäß § 51 Abs. 1 AbgG:

  • Auskunft vom Betroffenen und
  • Stellungnahme durch Fraktionsvorsitzenden der Fraktion, der Betroffener angehört, verlangen

Bei der Feststellung eines fahrlässigen Verstoßes gegen die Verhaltenspflichten, § 51 Abs. 2 AbgG:

  • Ermahnung des Betroffenen

Ansonsten:

  • Anzeige des Verstoßes beim Bundestagspräsidium und dem Fraktionsvorsitzenden
  • Das Präsidium stellt nach einer Anhörung des Betroffenen fest, ob ein Pflichtverstoß vorliegt
  • Die Feststellung eines Pflichtverstoßes wird als Drucksache veröffentlicht

Nach erneuter Anhörung erfolgt die Festsetzung eines Ordnungsgeld (§ 51 Abs. 4 AbgG), bei:

  • Nichtanzeige von anzeigepflichtigen Tätigkeiten, Einkünften oder Unternehmensbeteiligungen
  • Verstoß gegen die Pflichten aus dem Unabhängigen Mandat nach § 44a Absatz 2 bis 4 AbgG (s.o.)
  • Verstoß gegen die Regeln der Mitarbeiterbeschäftigung nach § 12 Absatz 3a Satz 1 AbgG

→ Die Höhe des Ordnungsgeldes bemisst sich nach der Schwere des Einzelfalles und nach dem Grad des Verschuldens → Es kann bis zur Höhe der Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung festgesetzt werden

Kritik

Während zwar eine gesetzliche Grundlage geschaffen und mehr Transparenz folgen wird, konnte man sich auf Wichtiges dennoch nicht einigen. Darunter etwa die Auskunftspflicht über den zeitlichen Umfang der Nebentätigkeiten, welche die SPD forderte, oder die Änderung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung nicht nur im Strafmaß, sondern auch in einer Veränderung des Straftatbestandes.

Aber auch für die Änderungen, die verankert wurden, besteht Nachbesserungsbedarf.

Lobbytätigkeiten neben dem Mandat

Während die vergütete Lobbyarbeit von Parlamentarier:innen nunmehr gesetzlich verboten ist, gilt dies nicht auch ehrenamtliche Tätigkeiten in diesem Bereich. Als ehrenamtlich werden Tätigkeiten definiert, für die Aufwandsentschädigung bis zu einem Zehntel der Abgeordnetenentschädigungen gewährt werden (§ 44a Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 1 AbgG). Allerdings können auch durch ehrenamtliche Lobbyarbeit problematische Interessenkonstellationen entstehen, insbesondere wenn Abgeordnete ehrenamtliche Leitungsfunktionen in Verbänden oder Organisationen übernehmen und damit qua Funktion deren Interessen verpflichtet sind.[1]

Spenden an Abgeordnete

Das Gesetz sieht in § 48 AbgG vor, dass Geldspenden an Abgeordnete vollständig verboten werden. Weiter möglich bleiben jedoch Sachspenden und geldwerte Zuwendungen, die künftig bereits ab einem Gegenwert von 1 000 Euro dem Bundestagspräsidenten angezeigt werden müssen und ab 3 000 Euro veröffentlicht werden. Dies kann etwa Reise- und Übernachtungskostenübernahme bedeuten zu Reiseeinladungen, die von Lobbyist:innen ausgesprochen werden. Hier wäre wegen möglicher Interessenskonflikte eine weitere Absenkung der Veröffentlichungsschwelle wünschenswert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Leistungen ab 1 000 Euro zwar an den Bundestagspräsidenten gemeldet werden müssen, diese aber erst bei einer Summe von 3 000 Euro veröffentlicht werden.

Veröffentlichung auf Euro und Cent

Die Angaben der Abgeordneten über ihre Nebenverdienste müssen gemäß § 35 Abs. 3 AbgG auf Euro und Cent genau veröffentlicht werden, womit gewährleistet wird, dass auch sehr hohe Einkünfte sichtbar werden. Zudem müssen Einkünfte nun bereits ab 3.000 Euro pro Jahr veröffentlicht werden.
Eine Schwelle von 1 000 Euro pro Monat bleibt allerdings bestehen, die von der Meldepflicht nicht erfasst wird. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, dass Einkünfte von bis zu 12 000 Euro im Jahr nicht veröffentlicht werden, wenn sie monatlich eingehen. Der Abstand zu den 3 000 Euro pro Jahr für unregelmäßige Einkünfte ist dadurch hoch.[2]

Anzeigepflicht für Anfertigung von Gutachten und für publizistische und Vortragstätigkeiten

Die Anzeigepflicht für die Anfertigung von Gutachten und für publizistische und Vortragstätigkeiten von Abgeordneten entfällt, wenn die Höhe der jeweils vereinbarten Einkünfte den Betrag von 1 000 Euro im Monat oder, wenn dies nicht der Fall ist, von 3 000 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigt.
Sie entfällt ferner für die Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung, als Parlamentarische:r Staatssekretär:in, als Staatsminister:in, als Beauftragte:r oder KoordinatorIn der Bundesregierung oder für parlamentarische Ämter und Funktionen (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 a.E.).

Herkunft der Nebeneinkünfte

Gemäß § 45 Abs. 4 AbgG gilt grundsätzlich die Pflicht zur Angabe darüber, aus welcher Branche die Kund:innen und Mandant:innen stammen. Eine generelle Berufung auf ein ein vertragliches oder gesetzliches Schweigerecht ist nicht zulässig. Ausgenommen ist der Fall, dass die Abgeordnete geltend macht, die Branchenangabe würde die Vertragspartei identifizieren.
Sinnvoll wäre gewesen - gerade in Anbetracht der Skandale der letzten Zeit – allein das gesetzliche Zeugnisverweigerungsrecht zu schützen und hier einzubeziehen, nicht aber auch eine vertragliche Verschwiegenheitspflicht. Zumindest gegenüber der Verwaltung sollte benannt werden, wer tatsächlich die Vertragspartner sind. So könnte das Verbot lobbybezogener Beratung deutlich besser überprüft und durchgesetzt werden.[3]

Interessenkonflikte

Trotz der neuen Regelungen aus dem Jahr 2021 sind Interessenkonflikte auch zukünftig nicht ausgeschlossen. Bereits in ihrem Bericht von 2014 bemängelte die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) den Umgang mit Interessenkonflikten im Bundestag.
Interessenkonflikte sind gemäß § 49 AbgG in Ausschusssitzungen (konkret) anzuzeigen, bei Berichterstatter:innen werden diese auch im Ausschussprotokoll vermerkt.
Jedoch folgen hieraus keine Konsequenzen beim Vorliegen schwerwiegender Interessenkonflikte. Erforderlich wäre hier eine klarere Fassung des Gesetzes hinsichtlich der Definition von Interessenskonflikten und eine Benennung von Konsequenzen, wenn keine Lösung des Konfliktes eingeleitet wird. Auch dazu hatte GRECO in ihrem Bericht bereits im Jahr 2014 aufgerufen.
Jenseits der reinen Benennung von Interessenkonflikten sollte der Bundestag hier eine Befangenheitsregel entwickeln, nach der sich Abgeordnete mit gravierenden Interessenkonflikten aus bestimmten Prozessen heraushalten müssen, sofern der Konflikt nicht anderweitig gelöst werden kann. In Österreich beispielsweise kann der aus dem Parlament heraus gewählte Unvereinbarkeitsausschuss über die Zulässigkeit der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit entscheiden.
Dabei kann es nicht die Lösung sein, Abgeordnete pauschal von Beratungen oder Abstimmungen auszuschließen, allein weil sie etwa durch ihren Beruf von einem Gesetz oder einer Entscheidung selbst indirekt betroffen sind. Aber für herausragende Positionen, etwa für Berichterstatter:innen, sollte es strengere Regeln geben: So sollte es beispielsweise nicht möglich sein, Berichterstatter:in in einem Vergabeverfahren zu sein, wenn die Betroffene zugleich mit einem der beteiligten Unternehmen direkt verbunden ist und Nebeneinkünfte von dort bezieht.[4]

Hintergrund der Regelungen

Gesetzesänderung im Jahr 2021 nach Fällen Strenz, Amthor und dem Maskenskandal

Erste Verbesserungen im Jahr 2020 - Strenz und Amthor
Das Jahr 2020 brachte erste Verbesserungen der Regeln für Abgeordnete hinsichtlich der Sanktionsmöglichkeit von Abgeordneten, die für Dritter gegen Geld deren Interessen beförderten. Denn vor den Änderungen, die hier beschlossen wurden, konnten Sanktionen allein dafür ausgesprochen werden, wenn die Abgeordnete regelwidrig erhaltene monetäre Kompensationen nicht bei der Bundestagsverwaltung als Einkünfte meldete: Die Annahme von geldwerten Gütern als solche war nicht durch ein Ordnungsgeld durch den Bundestagspräsidenten sanktionierbar.

Strenz
Deutlich wurde diese Sanktionslücke am Fall Karin Strenz (CDU), gegen die die Staatsanwaltschaft bis zu ihrem Tod im Frühjahr 2021 wegen Korruptionsverdachts ermittelte. Seit 2017 war bekannt, dass Strenz über die Firma des CSU-Abgeordneten Eduard Lintner Geld von der autokratischen Regierung Aserbaidschans erhalten und sich als Abgeordnete für deren Interessen eingesetzt hatte.
Im Europarat erhielt sie, wie auch Lintner, lebenslanges Hausverbot, wogegen die Bundestagsverwaltung allein ein Ordnungsgeld in Höhe von 20 000 Euro verhängte: weil sie ihre Einkünfte nicht beim Bundestagspräsidenten angemeldet hatte.[5]

Amthor
Noch bevor der Bundestag die oben benannte Korrektur beschloss geriet aber auch Philipp Amthor in die Schlagzeilen und enthüllte eine weitere Lücke in den zu diese m Zeitpunkt bestehenden Regelungen.
Philipp Amthor hatte Aktienoptionen (und einen Direktorenposten) beim US-Unternehmen Augustus-Intelligence dafür erhalten, dass er sich bei Bundeswirtschaftsministerium für dieses eingesetzt hatte[6], rückten die Mängel des Abgeordnetenrechts erneut in den Fokus. Denn hier wurde deutlich, dass die zu diesem Zeitpunkt geltenden Regeln keine Meldepflichten für den Erhalt von Aktioenoptionen enthielten (Anlage 1 § 1 der GOBT).

Maskenskandal
Der Maskenskandal um mehrere Unions-Abgeordnete[7], der Anfang 2021 aufgedeckt wurde, bildete die Zäsurlinie, hinter der auch die CDU/CSU nicht mehr zurücktreten konnte.
Gemeinsam mit Bekanntwerden neuer Verstrickungen von Unions-Abgeordneten in die „Aserbaidschan-Connection“ erkannte auch die CDU/CSU, dass die Wähler:innen ihr Vertrauen in die Selbstdisziplin der Union verloren – worauf zumindest die einbrechenden Umfragewerte hindeuteten.[8]

Dieser sich ausweitende Skandal, der erneut die Union betraf, führte dann zu einer Verschärfung der bestehenden Regeln und deren Implementierung in das Abgeordnetengesetz, wo sie sich heute befinden.

Die wichtigsten Neuerungen des Abgeordnetengesetzes aus dem Jahr 2021

  • Verbot entgeltlicher Lobbytätigkeit gegenüber Bundestag und Bundesregierung durch Bundestagsabgeordnete
  • Verbot von Beratungstätigkeiten sowie von bezahlten Vorträgen, sofern sie in einem Bezug zum Mandat stehen
  • Nebeneinkünfte müssen auf Euro und Cent angegeben werden
  • Schwelle der Angabepflicht wurde bei jährlichen Einkünften von 10 000 Euro auf 3 000 Euro gesenkt
  • Anzeigepflichtig sind Beteiligungen an Firmen ab fünf Prozent anstatt wie bisher an 25 Prozent.
  • Anzeigepflichtig sind Optionen auf Anteile
  • Abgeordnete müssen in Ausschüssen einen Interessenkonflikt anzeigen, wenn sie sich zu Themen äußern, mit dem sie sich auch entgeltlich befassen
  • Interessenkonflikte von Berichterstatter:innen werden im Ausschussbericht veröffentlicht
  • Verbot von Geldspenden an Abgeordnete
  • Erhöhung des Strafmaßes für Abgeordnetenbestechung

Als GO-BT Anlage, vor dem 11. Juni 2021

Viele der Regelungen, die 2021 auf gesetzliche Grundlage gestellt wurden, bestanden in ihrem Sinngehalt bereits zuvor im Rahmen der Geschäftsordnung des Bundestages, dort als Anlage 1: Verhaltenspflichten für Mitglieder des Deutschen Bundestages. Die Geschäftsordnung des Bundestages, ist jedoch allein Binnenrecht des Bundestages, das heißt eine untergesetzliche Rechtsnorm, die keine Wirkung über den Bundestag hinaus hat - sie war damit allein Innenrecht.
Erst die Verlagerung auf gesetzliche Grundlage, indem die Regeln nämlich seit 2021 Teil des Abgeordnetengesetzes sind, gibt ihnen Außenwirkung und damit eine allgemeine Verbindlichkeit für die Abgeordneten des Bundestages.

Reform 2013

In den Jahren vor 2013 wurde immer wieder über eine Reform der Transparenzregeln diskutiert.
Im April 2011 etwa schlug die Rechtstellungskommission des Bundestages eine Neuregelung vor, um Nebeneinkünfte von über 10 000 Euro pro Jahr besser sichtbar zu machen - jedoch sollten gleichzeitig Einkünfte unter 10 000 Euro überhaupt nicht mehr angezeigt werden.[9] Durch den Druck insbesondere von Transparenz- und Demokratieorganisationen konnte die Umsetzung dieses Vorschlages verhindert werden.[10] Steinbrücks Vorträge Der Kanzlerkandidat für die Legislaturperiode 2013 der SPD Peer Steinbrück, der Schwung in die Debatte brachte, musste unter öffentlichem Druck offenlegen, wie viel Geld er durch bezahlte Vorträge nebenbei verdiente: c.a. 1,25 Millionen Euro in den drei Jahren vor seiner Kandidatur.[11] Gleichzeitig gerieten Union und FDP unter Druck, weil sie von Steinbrück Transparenz einforderten, selbst aber jahrelang eine Neuregelung blockiert hatten. Jedoch waren hier die Meinungen durchaus unterschiedlich. Während etwa der Generalsekretär der FDP Peer Steinbrück attestierte, das der Hanseat Steinbrück mit "dem Gen des ehrbaren Kaufmanns" nur dürftig gesegnet sei, fragte sich der schleswig-holsteinische FDP-Chef Wolfgang Kubicki, was Patrick Döring wohl geraucht habe.[12]

"Mit dem Gen des ehrbaren Kaufmanns ist dieser Hanseat nur dürftig gesegnet"Angesichts des steigenden öffentlichen Drucks beschloss die Rechtsstellungskommission im Bundestag im Oktober mit schwarz-gelber Mehrheit eine verbesserte Regelung: Nebeneinkünfte sollten in 10 Stufen bis 250.000 Euro offengelegt werden. Die Neuerung trat nach der Bundestagswahl 2013 in Kraft.
Zudem wurden vom Bundestagspräsidenten neue Bestimmungen über Vortragstätigkeiten erlassen. Hiernach musste die Abgeordnete nicht den Vertragspartner angeben, sondern ggfs. auch die Veranstaltung bezeichnen wie auch Name und Sitz des Veranstalters.[13]

Die Stufenregelung von 2013 in tabellarischer Übersicht

Stufe Nebeneinkünfte
1 1000-3.500 €
2 bis 7.000 €
3 bis 15.000 €
4 bis 30.000 €
5 bis 50.000 €
6 bis 75.000 €
7 bis 100.000 €
8 bis 150.000 €
9 bis 250.000 €
10 über 250.000 €

Eine genauere Darstellung auf der Webseite des Bundestages.

Änderungen 2005

Der Streit, ob, und in welchem Umfang es Transparenzregeln für die Nebentätigkeit von Abgeordneten bedarf, war schon vor dem Jahr 2005 Teil der politischen Diskussion. Eine Skandalserie im Jahr 2005[14] bewirkte, dass die regierende rot-grüne Koalition im selben Jahr die Regeln für die Abgeordneten neu fasste. Diese Reform sah erstmals vor, dass die Höhe der Nebeneinkünfte in drei groben Stufen angegeben werden musste. Einigen Parlamentarier:innen ging das zu weit, sodass sie ein Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht anstrengten.

Die neuen Regeln vor dem Bundesverfassungsgericht Die Streitführer sahen sich durch die neuen Regelungen in ihrem freien Mandat bedroht. Zu entscheiden hatte das Bundesverfassungsgericht in dem Organstreitverfahren über die neue Mittelpunktsregelung des § 44a AbgG wie auch über Anzeige- und Veröffentlichungspflichten und Sanktionierungen von Pflichtverstößen. Die Mittelpunktsregelung des § 44a AbgG konkretisiert, was im Grundgesetz bereits angelegt ist, dass nämlich die Ausübung des Mandats für die Parlamentarier:in im Mittelpunkt steht - was eine Nebentätigkeit für eine Abgeordnete nicht grundsätzlich ausschließt. Eine Tätigkeit beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat ist gemäß § 44a I S. 2 AbgG dann auch grundsätzlich als zulässig beschrieben.

Das Gericht wies die Klage, die unter anderem von Friedrich Merz eingereicht wurde[15] als unbegründet zurück und wies darauf hin, dass das freie Mandat des Abgeordneten (Art 38 Abs 1 GG) nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringe. Zu diesen gehöre, dass der Abgeordnete „in einer Weise und in einem Umfang an den parlamentarischen Aufgaben teilnimmt, die deren Erfüllung gewährleisten.[16] Dies erfordere in einem modernen wie komplexen Staat wie dem deutschen, dass der Abgeordnete sich vollständig dieser Tätigkeit widmet. Dass dies eine Nebentätigkeit für den Abgeordneten in der Regel unmöglich macht, rechtfertige es erst, dass der Lebensunterhalt des Abgeordneten aus Steuermitteln finanziert wird. Die finanzielle Unabhängigkeit des Abgeordneten, die in Art 48 Abs. 3 GG vorausgesetzt wird, solle auch seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit sichern, damit der Abgeordnete frei und weisungsunabhängig die Vertretung des gesamten Wahlvolkes wahrnehmen könne. „Dabei geht es nicht zuletzt um Unabhängigkeit von Interessenten, die ihre Sonderinteressen im Parlament mit Anreizen durchzusetzen suchen, die sich an das finanzielle Eigeninteresse von Abgeordneten wenden.“[17] Das Volk habe aber „Anspruch darauf zu wissen, von wem – und in welcher Größenordnung - seine Vertreter Geld oder geldwerte Leistungen entgegennehmen.“[18]

Mit der Gesetzesreform wurde erstmalig deutlich, wie viel die Abgeordneten neben ihrer Mandatstätigkeit verdienten und wem gegenüber dadurch möglicherweise besondere Verpflichtungen bestanden.

Aktuelle Fälle

  • Röring: Johannes Röring (CDU), Landwirt, Obmann im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, Stellv. Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit des Bundestages (2017 - 2021); 2000 bis 2012 Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Bezirksverbandes Münster, Mai 2012 bis Februar 2020 Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes; in der Legislatur 2018 - 2021 14 Funktionen in Unternehmen wahrgenommen, mit Johannes Röring Energie 2017 und 2018 sieben Vertragspartner (Einkünften Stufe 7, einer Stufe 9)[19][20][21]
  • Hennrich: Michael Hennrich (CDU), Jurist, Obmann und Ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit des Bundestages (2017 - 2021); Landesvorsitzender von Haus & Grund Württemberg (ehrenamtlich, monatlich, Einkünfte Stufe 1), Rechtsanwalt (Mandant 1, Stufe 3), Mitglied des Aufsichtsrat der Süddeutschen Krankenversicherung (jährlich, Stufe 3), Mitglied des Aufsichtsrats der Süddeutschen Lebensversicherung, Mitglied des Beirats des DUK Versorgungswerks
  • Ramsauer: Peter Ramsauer (CSU), Jurist, ehem. Bundesverkehrsminister, Vorsitzender und Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Bundestags (2017 - 2021); Beteiligung an der Ramsauer Talmühle. Weiterhin ist er Präsident der deutsch-arabischen Handelskammer Ghorfa (monatlich, Einkünfte der Stufe 2), Strategieberater (6 Mandanten, darunter Einkommen bis Stufe 9), Beratung von Deutschland baut! (Stufe 3), Mitglied des Verwaltungsrats der Aebi Schmidt Holding AG (Stufe 5), Mitglied des Expertenrats der Kekst CNC - Communications & Network Consulting AG (Stufe 3), Vorsitzender des Aufsichtsrats Max Streicher GmbH & Co. KG aA (Stufe 5)
  • Solms: Dr. Hermann-Otto Solms(FDP), stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages und des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (2017 - 2021); Mitglied des Beirats der Deutschen Vermögensberatung AG (jährlich, Einkünfte Stufe 4), Vorsitzender des Aufsichtsrats der Piper AG, Mitglied des Parlamentarischen Beirats des Bundesverbands Deutscher Vermögensberater, Vorsitzender des Stiftungsrates der Deutsche Stiftung Eigentum
  • Cronenberg: Carl-Julius Cronenberg(FDP), Betriebswirt, Ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Stellvertretendes Mitglied in der Enquete-Kommission "Künstliche Intelligenz" und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Bundestages (2017 - 2021); von elf Unternehmen Geschäftsführer bzw. geschäftsführender Gesellschafter, davon sechs mit angabepflichtigem Einkommen, darunter jährliche Einkünfte auf Stufe 2, 4, 7 und 10); Mitglied des Kundenbeirates der Deutschen Bank AG, Wuppertal (jährlich, Einkünfte Stufe 1), Mitglied des Verwaltungsrates Gren Motion SA. Einzelheiten sind hierabrufbar.
  • Gysi: Gregor Gysi (Linke), Jurist, Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages (2017 - 2021); Rechtsanwalt bei Venedey, Dr. Gysi, Höfler Rechtsanwälte in Partnerschaft (18 Mandanten, jährlich, Einkommensstufe 1 - 3). Beratung von ver.di (Einkünfte Stufe 1). Weitere Einkünfte werden aus publizistischer Tätigkeit, einer Vielzahl von Vorträgen und Anwaltstätigkeit erzielt. Einzelheiten sind hier abrufbar.
  • Schmidt: Ulla Schmidt, Lehrerin, Obfrau und Ordentliches Mitglied im Unterausschuss Kultur- und Bildungspolitik, Stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und im Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestags (2017 - 2021); Sachverständiges Mitglied des Aufsichtsrars der Charité Berlin, (jährlich, Stufe 3), Mitglied des Beirats K&S Sozialbau AG (bis 2018, monatlich, Stufe 1), Mitglied des Verwaltungsrates bei Sigfried Holding AG (monatlich, Stufe 2; Zusatzhonorar 2012 Stufe 6).


Statistik

Weiterführende Informationen

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Einzelnachweise

  1. Konsequenzen aus Unions-Skandalen: Deutlich strengere Regeln für Abgeordnete - Weitere Schritte nötig, LobbyControl-Blog vom 03.05.2021, aufgerufen am 13.12.2021.
  2. Konsequenzen aus Unions-Skandalen: Deutlich strengere Regeln für Abgeordnete - Weitere Schritte nötig, LobbyControl-Blog vom 03.05.2021, aufgerufen am 13.12.2021.
  3. Konsequenzen aus Unions-Skandalen: Deutlich strengere Regeln für Abgeordnete - Weitere Schritte nötig, LobbyControl-Blog vom 03.05.2021, aufgerufen am 13.12.2021.
  4. Konsequenzen aus Unions-Skandalen: Deutlich strengere Regeln für Abgeordnete - Weitere Schritte nötig, LobbyControl-Blog vom 03.05.2021, aufgerufen am 13.12.2021.
  5. LobbyControl, Lobbyreport 2021 - Beispiellose Skandale - strengere Lobbyregeln: Eine Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot, LobbyControl, S. 55 ff.
  6. Wie Philipp Amthor zum Türöffner für Augustus Intelligence wurde, Abgeordnetenwatch.de vom 06.05.2021, aufgerufen am 22.12.2021.
  7. LobbyControl, Lobbyreport 2021 - Beispiellose Skandale - strengere Lobbyregeln: Eine Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot, LobbyControl, S. 55 ff.
  8. LobbyControl, Lobbyreport 2021 - Beispiellose Skandale - strengere Lobbyregeln: Eine Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot, LobbyControl, S. 51 f.
  9. Drastische Transparenzlücken bei Neuregelung von Nebeneinkünften, LobbyControl-Blog vom 15.04.2011, abgerufen am 08.10.2012.
  10. Unser Erfolg: Verschleierung von Nebeneinkünften vorerst vom Tisch!, LobbyControl-Blog vom 12.05.2011 mit Zitaten und Quellen, abgerufen am 08.10.2012.
  11. Ergebnisse zur Ordnungsmäßigkeit der Offenlegung der Vortragstätigkeiten von Herrn Peer Steinbrück, 26. Oktober 2012 Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein, Grant Thornton, aufgerufen bei Bild.de am 22.12.2021.
  12. Kubicki weiß nicht, was sein General geraucht hat Welt.de vom 19.10.2012, abgerufen am 23.12.2021.
  13. § 2 Abs. 1, Satz der Ausführungsbestimmungen Zu finden in der Textsammlung "Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages", S. 18.
  14. Das alles ohne Gegenleistung, Zeit-Online vom 20.01.2005, aufgerufen am 13.12.2021.
  15. Friedrich Merz verteidigt seine Verfassungsklage, Welt.de vom 14.07.2007, aufgerufen am 22.12.2021.
  16. BVerfGE, Urteil vom 4. Juli 2007, 2 BvE 1/06, Pressemitteilung Nr. 73/2007 des BVerfG, aufgerufen am 7. Dezember 2021.
  17. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 04. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 -, Rn. 1-389, Rn. 222, Urteil des BVerfG, aufgerufen am 13.12.2021.
  18. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 04. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 -, Rn. 1-389, Rn. 274, Urteil des BVerfG, aufgerufen am 13.12.2021.
  19. Lobbyismus in der Union!, Taz vom 12.03.2021, abgerufen am 23.12.2021.
  20. Johannes Röring - Nebentätigkeiten, Abgeordnetenwatch.de, abgerufen am 23.12.2021.
  21. "Die deutsche Fleischlobby", Die Anstalt vom 18.12.2018, abgerufen am 23.12.2021.

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