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Seitenwechsel ist ein häufiges und typisches Phänomen des Lobbyismus
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Seitenwechsel, auch Drehtür-Effekt (Revolving door) genannt: PolitikerInnen oder hochrangige MitarbeiterInnen , ist ein häufiges und typisches Phänomen des Lobbyismus. Politiker*innen oder hochrangige Mitarbeiter*innen aus Ministerien wechseln aus ihrem Amt oder Mandat zu Unternehmen oder Interessensverbänden und übernehmen dort Lobbytätigkeiten. Häufig werden sie in Bereichen tätig, für die sie zuvor in ihrer politischen Funktion auch zuständig waren. Sie wechseln quasi gewissermaßen auf die andere Seite des Verhandlungstisches und sitzen nun ihrem ihrer Nachfolger*in gegenüber. Diese Wechsel erfolgen oft direkt nach Beendigung der politischen Funktion oder kurz darauf („fliegend“).

LobbyControl hat 2015 in seinem Lobbyreport[1] untersucht, ob und wenn ja wie die Große Koalition Lobbyismus reguliert hat. Im Bereich Seitenwechsel fällt die Bewertung gemischt aus: "Mit dem neuen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf."

Überblick LobbyABC: Lobbyismus von A–Z

Die Problematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

LobbyControl hält fliegende Seitenwechsel sind aus folgenden Gründen für hoch problematisch:

  • Mit den kürzlich ausgeschiedenen politischen Entscheidungsträgern Entscheidungsträger*innen sichern sich Interessengruppen deren Insider-Wissen und ihre noch frischen aktuellen Kontakte in Ministerien und/oder Parlament. So erhalten sie einen privilegierten Zugang zur Politik und können Entscheidungen leichter beeinflussen.
  • Dies kommt vor allem finanzstarken Akteuren Akteur*innen zugute, die ehemaligen SpitzenpolitikerInnen Spitzenpolitiker*innen attraktive Jobs anbieten können – dies sind in der Regel große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände. Die bestehenden Machtstrukturen werden so verfestigt und verstärkt.
  • Die Aussicht auf lukrative Jobs nach dem Ende der Politiker-Karriere gibt Anreiz, politische Entscheidungen zu Gunsten möglicher späterer Arbeitgeber zu treffen - oder zumindest sie wenigstens nicht gegen sich aufzubringen. So wird bei Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Jobchancen zu einem bedeutenden Faktor.

LobbyControl hat sich in der Studie "Fliegende Wechsel - die Drehtür kreist. Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?", November 2007 (pdf) intensiv mit dem Phänomen der fliegenden Wechsel auseinandergesetzt.

Beispiele für Seitenwechsel der letzten Jahre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hildegard Müller - rechte Hand von Angela Merkel wird Energie-Cheflobbyistin mit direktem Draht ins Kanzleramt
  • Caio Koch-Weser - Zentrale Figur der deutschen Finanzlobby - Von der Regulierungsbehörde in den Vorstand der Deutschen Bank
  • Wolfgang Clement - Die Hartz-Gesetze als Entrittskarte in die Zeitarbeits-Lobby. Vom Wirtschaftsminister zum Aufsichtsrat von RWE
  • Gerald Hennenhöfer - Vom Atom-Aufseher zum Atom-Lobbyisten und zurück
  • Christian Weber - Lobbyist der Privaten Krankenkassen im Gesundheitsministerium

Forderung: Karenzzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

LobbyControl tritt für eine dreijährige Karenzzeit – eine Abkühlphase – ein. Innerhalb dieser Zeit muss ein Wechsel in Lobbytätigkeiten generell, also nicht nur im Bereich der zuvor bearbeiteten Fachgebiete, verboten sein. Dabei darf dieses Verbot nicht durch den Verzicht auf Beamten- oder sonstiger Rentenbezüge zu umgehen sein. Die Abkühlphase sollte für die Kanzlerin, die Minister, Staatsminister, parlamentarische und beamtete Staatssekretäre sowie Abteilungsleiter gelten.

Es ist weder ausreichend, einen nicht bindenden Ehrenkodex zu verabschieden, noch die neuen Tätigkeiten lediglich zu melden und das Verbot auf Bereiche zu beschränken, die im früheren Zuständigkeitsbereich des ausscheidenden Politikers liegen.

Ein Ehrenkodex erfasst das Problem schon begrifflich nur schlecht, denn es geht nicht nur um individuelles Fehlverhalten oder „Ehre“, sondern um strukturellen Einfluss finanzstarker Interessengruppen oder Unternehmen. Zudem scheinen sich die betreffenden Politiker bei den bisherigen Wechseln auch nicht allzu sehr um ihre Ehre gesorgt zu haben, wenn man die öffentlichen Empörung betrachtet, die sie einfach ignoriert und ausgesessen haben. Eine Anzeigepflicht führt zwar möglicherweise zu größerer Transparenz, erlaubt aber im Kern die unveränderte Fortsetzung der bisherigen Praxis. Ein eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränktes Verbot würde das Ausmaß der Problematik verkennen. Denn es geht nicht nur um direkte Vorteilsgewährung während der politischen Amtszeit, die nach deren Ende mit einem lukrativen Job belohnt werden

→ Weitere Seitenwechsler gibt es hier in einer Übersichtstabelle.

Nachbesserungen am Karenzzeit-Gesetz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit dem 2015 beschlossenen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf.

Zu großer Interpretationsspielraum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das im Juli 2015 verabschiedete Karenzzeit-Gesetz sieht nur ein 12- bzw. 18-monatiges Verbot für Minister*innen und Staatssekretär*innen vor. Das eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränkte Verbot verkennt das Ausmaß der Problematik. Denn es geht nicht nur um Beeinflussung durch lukrative Jobangebote während der Amtszeit. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegierte Zugang zu Entscheidungsträgern Entscheidungsträger*innen und Insiderwissen, über die frisch ausge- schiedene ausgeschiedene Minister*innen oder Staatssekretäre Staatssekretär*innen auch in Bereichen verfügen, in denen sie nicht unmittelbar tätig waren. Daher kann nur LobbyControl bemängelt daher, dass das Gesetz zu großen Interpretationsspielraum bei der Frage zulässt, ob Seitenwechsel in Lobbyjobs ohne inhaltliche Überschneidungen auch von der Karenzzeit erfasst werden. Der Wechsel in Lobbytätigkeiten sollte explizit untersagt werden.

Nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung kann die Verfestigung und Vertiefung der privilegierten Position von ökonomisch potenten Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Nach drei Frühestens nach 3 Jahren dürften die aus fachlichen und geschäftlichen Gründen entwickelten persönlichen Kontakte deutlich ausreichend abgeschwächt sein, weil Manager und Amtsträger*innen sich in dieser Zeit anderen und neuen Personen zuwenden müssen.

Keine wirksamen Sanktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lobbycontrol fordert außerdem, dass das Karenzzeit-Gesetz um wirksame Sanktionen ergänzt wird. Auch fehlt die Regel, dass neue Tätigkeiten erst nach einer Entscheidung über eine Karenzzeit begonnen werden dürfen.[2].

Schwache Vorschriften im Beamtenrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die 2015 für Minister*innen sowie Parlamentarische Staatssekretär*innen eingeführte Karenzzeitregelung auf gesetzlicher Grundlage war ein wichtiger Schritt, um Interessenkonflikte beim Wechsel aus dem Amt in Tätigkeiten bei Verbänden und Unternehmen zu regulieren. Für politische Beamte fehlt eine entsprechende Regelung jedoch. Zwar sieht § 105 Bundesbeamtengesetz die Möglichkeit vor, die Aufnahme neuer Tätigkeiten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst zu untersagen. Doch zeigt die Praxis, dass die Regelung nur in seltenen Fällen angewandt wird. Insbesondere auf der Ebene der beamteten Staatssekretär*innen sowie Abteilungsleiter*innen finden nach wie vor viele Wechsel statt, die einen Interessenkonflikt nahelegen. Ob und wie die jeweils zuständige Dienststelle Wechsel tatsächlich prüft und nach welchen Kriterien kann nicht nachvollzogen werden, da darüber keine Informationen veröffentlicht werden und die Ministerien auch auf Nachfrage keine Angaben machen. Das durch die Änderung des Ministergesetzes neu eingeführte Gremium sollte auch hier zur tätig werden und eine öffentliche Empfehlung abgeben. Zugleich sollte ein Kriterienkatalog veröffentlicht werden, an Hand dessen Wechsel geprüft werden können.

Politische Debatte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene wurde in den letzten zehn Jahren über schärfere Regeln für Seitenwechsler gestritten. Das Thema ist auf der politischen Tagesordnung angekommen. Das zeigt sich z.B. an den Anträgen im Bundestag nach dem Seitenwechsel von Gerhard Schröder. Aber es gibt zugleich großen Widerstand und Beharrungskräfte in der (Partei)Politik. Im Juli 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur Karenzzeit. Damit hat die Debatte über nahtlose Seitenwechsel von Regierungsmitgliedern ein vorläufiges Ende gefunden. Wir zeichnen die Debatte hier genauer nach:

Besondere Formen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben dem Wechsel von Politikern in die Wirtschaft gibt es auch die umgekehrte Bewegung: Lobbyisten wechseln aus Unternehmen in wichtige Entscheidungspositionen in Ministerien. So wurde der Atom-Lobbyist Gerald Hennenhöfer 2009 oberster Atom-Aufseher. [1] Der stellvertretende Chef des Verbandes der Privaten Krankenkassen (PKV), Christian Weber, wurde 2010 Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im Gesundheitsministerium.[2] Unter Rot-Grün wechselte 1999 Heribert Zitzelsberger, langjähriger Chef der Steuerabteilung des Chemie-Riesen Bayer AG, als Staatssekretär ins Finanzministerium. Er gilt als einer der Väter der rot-grünen Unternehmenssteuerreform, die mit der Senkung der Körperschaftsteuer und der Steuerbefreiung für Kapitalgesellschaften beim Verkauf von Beteiligungen Großunternehmen „das größte Geschenk aller Zeiten“ machte.[3] Der Bayer|Bayer AG wurden im Jahr 2001 250 Millionen Euro Körperschaftssteuer erstattet.[4]

Dass Seitenwechsel nicht nur Politiker betreffen, zeigt der Wechsel von Norbert Hansen: Als Vorsitzender der Bahn-Gewerkschaft Transnet verhandelte er im Namen der Belegschaft über Lohnerhöhungen und Entlassungen. 2008 wechselte er in den Bahn-Vorstand - als Personalchef.[5]

Bei einigen Politikern wie z.B. Friedrich Merz mischen sich zudem Nebentätigkeiten (während des politischen Amts) mit Seitenwechseln danach. Manchmal kann man sich fragen, ob dabei Lobbyisten in politische Ämter gewählt wurden oder Politiker nebenberuflich als Lobbyisten agieren.

Übersicht[Weitere Artikel zum Thema Seitenwechsel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weiterführende LinksInformationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus[Quelltext bearbeiten]

https://www.lobbycontrol.de/newsletter-lobbypedia/ https://twitter.com/lobbycontrol https://www.facebook.com/lobbycontrol https://www.instagram.com/lobbycontrolVernetzen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Den Bock zum Gärtner gemacht Frankfurter Rundschau vom 1. Dezember 2009
  2. PKV-Lobbyist soll Gesundheitsreform erarbeiten FAZ vom 11. Januar 2010
  3. Das größte Geschenk aller Zeiten Die Zeit vom 8. September 2005
  4. Kein Gewinn im Sinne des Steuerrechts Coordination gegen Bayer Gefahren 02/2002
  5. Bahn-Gewerkschafter werfen Überläufer Hansen Verrat vor Spiegel-Online vom 16.05.2008, abgerufen am 08.10.2010]
  6. Lobbyreport 2015: Schwarz-Rot mauert bei Lobbytransparenz, lobbycontrol.de vom 30.04.2020, abgerufen am 18.02.2017
  7. Karenzzeit: Unterschriftenübergabe und Anhörung im Bundestag, lobbycontrol.de vom 16.06.2015, zuletzt aufgerufen am 30.04.2020
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            Seitenwechsel [[Datei:LobbyABC.png|right|alt=Banner LobbyABC|link=https://lobbypedia.de/wiki/Kategorie:LobbyABC|180px]]
            
            '''Seitenwechsel''', auch Drehtür-Effekt (Revolving door) genannt, ist ein häufiges und typisches Phänomen des [[Lobbyismus]], auch Drehtür-Effekt (Revolving door) genannt: PolitikerInnen oder hochrangige MitarbeiterInnen. Politiker*innen oder hochrangige Mitarbeiter*innen aus Ministerien wechseln aus ihrem Amt oder Mandat zu Unternehmen oder Interessensverbänden und übernehmen dort Lobbytätigkeiten. Häufig werden sie in Bereichen tätig, für die sie zuvor in ihrer politischen Funktion auch zuständig waren. Sie wechseln quasigewissermaßen auf die andere Seite des Verhandlungstisches und sitzen nun ihremihrer Nachfolger*in gegenüber. Diese Wechsel erfolgen oft direkt nach Beendigung der politischen Funktion oder kurz darauf („fliegend“).
        
== Die Problematik ==
            
            [[LobbyControl]] hält fliegende Seitenwechsel aus folgenden Gründen für hoch [[LobbyControl]] hat 2015 in seinem Lobbyreport<ref>[https://www.lobbycontrol.de/2015/12/lobbyreport-2015-schwarz-rot-mauert-bei-lobbytransparenz/ Lobbyreport 2015: Schwarz-Rot mauert bei Lobbytransparenz], lobbycontrol.de vom 30.04.2020, abgerufen am 18.02.2017</ref> untersucht, ob und wenn ja wie die Große Koalition Lobbyismus reguliert hat. Im Bereich Seitenwechsel fällt die Bewertung gemischt aus: "Mit dem neuen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf."
            

            '''→ [[:Kategorie:LobbyABC|Überblick LobbyABC: Lobbyismus von A–Z]]''' 
            

            == Die Problematik ==
            
            Seitenwechsel sind aus folgenden Gründen problematisch: 
        

        * Mit den kürzlich ausgeschiedenen politischen EntscheidungsträgernEntscheidungsträger*innen sichern sich Interessengruppen deren Insider-Wissen und ihre noch frischen aktuellen Kontakte in Ministerien und/oder Parlament. So erhalten sie einen privilegierten Zugang zur Politik und können Entscheidungen leichter beeinflussen.
        

        * Dies kommt vor allem finanzstarken AkteurenAkteur*innen zugute, die ehemaligen SpitzenpolitikerInnenSpitzenpolitiker*innen attraktive Jobs anbieten können – dies sind in der Regel große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände. Die bestehenden Machtstrukturen werden so verfestigt und verstärkt.
        

        * Die Aussicht auf lukrative Jobs nach dem Ende der Politiker-Karriere gibt Anreiz, politische Entscheidungen zu Gunsten möglicher späterer Arbeitgeber zu treffen - oder zumindest sie wenigstens nicht gegen sich aufzubringen. So wird bei Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Jobchancen zu einem bedeutenden Faktor.
        

            
            [[LobbyControl]] hat sich in der [http://www.lobbycontrol.de/download/drehtuer-studie.pdf Studie "Fliegende Wechsel - die Drehtür kreist. Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?", November 2007 (pdf)] intensiv mit dem Phänomen der fliegenden Wechsel auseinandergesetzt.
            
==Beispiele für Seitenwechsel der letzten Jahre==
        
            
            *[[Hildegard Müller]] - rechte Hand von Angela Merkel wird Energie-Cheflobbyistin mit direktem Draht ins Kanzleramt 
            
            *[[Caio Koch-Weser]] - Zentrale Figur der deutschen Finanzlobby - Von der Regulierungsbehörde in den Vorstand der Deutschen Bank
            
            *[[Wolfgang Clement]] - Die Hartz-Gesetze als Entrittskarte in die Zeitarbeits-Lobby. Vom Wirtschaftsminister zum Aufsichtsrat von [[RWE]]
            
            *[[Gerald Hennenhöfer]] - Vom Atom-Aufseher zum Atom-Lobbyisten und zurück
            
            *[[Christian Weber]] - Lobbyist der Privaten Krankenkassen im Gesundheitsministerium
            

            == Forderung: Karenzzeit ==
            

            [[LobbyControl]] tritt für eine dreijährige Karenzzeit – eine Abkühlphase – ein. Innerhalb dieser Zeit muss ein Wechsel in Lobbytätigkeiten generell, also nicht nur im Bereich der zuvor bearbeiteten Fachgebiete, verboten sein. Dabei darf dieses Verbot nicht durch den Verzicht auf Beamten- oder sonstiger Rentenbezüge zu umgehen sein. Die Abkühlphase sollte für die Kanzlerin, die Minister, Staatsminister, parlamentarische und beamtete Staatssekretäre sowie Abteilungsleiter gelten.
            

            Es ist weder ausreichend, einen nicht bindenden Ehrenkodex zu verabschieden, noch die neuen Tätigkeiten lediglich zu melden und das Verbot auf Bereiche zu beschränken, die im früheren Zuständigkeitsbereich des ausscheidenden Politikers liegen.
            

            Ein Ehrenkodex erfasst das Problem schon begrifflich nur schlecht, denn es geht nicht nur um individuelles Fehlverhalten oder „Ehre“, sondern um strukturellen Einfluss finanzstarker Interessengruppen oder Unternehmen. Zudem scheinen sich die betreffenden Politiker bei den bisherigen Wechseln auch nicht allzu sehr um ihre Ehre gesorgt zu haben, wenn man die öffentlichen Empörung betrachtet, die sie einfach ignoriert und ausgesessen haben. Eine Anzeigepflicht führt
            
            zwar möglicherweise zu größerer Transparenz, erlaubt aber im Kern die unveränderte Fortsetzung der bisherigen Praxis. Ein *[[Sigmar Gabriel]]] - Vom Bundesaußenminister zum Mitglied des Aufsichtsrats der [[Deutsche Bank|Deutschen Bank]], zum "Senior Advisor" beim Politikberatungsunternehmen [[Eurasia Group]], zum Vorstandsvorsitzenden der [[Atlantik-Brücke]] und zum Mitglied der [[Trilaterale Kommission|Trilateralen Kommission]] 
            
            * [[Dirk Niebel]] - Erst Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dann Rüstungslobbyist für [[Rheinmetall]]
            
            * [[Ronald Pofalla]] - Vom Chef des Bundeskanzleramtes zur [[Deutschen Bahn]]
            
            * [[Eckart von Klaeden]] - Vom Staatsminister im Bundeskanzleramt zum Cheflobbyist der [[Daimler]] AG
            
            * [[Daniel Bahr]] - Vom Gesundheitsminister zur [[Allianz]] Versicherung
            
            * [[Steffen Kampeter]] - Vom Staatssekretär im Bundesfinanzministerium  zum Hauptgeschäftsführer der [[Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände]]
            

            → Weitere [[Seitenwechsler in Deutschland im Überblick|Seitenwechsler gibt es hier in einer Übersichtstabelle]].
            

            == Nachbesserungen am Karenzzeit-Gesetz ==
            
            Mit dem 2015 beschlossenen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf.
            

            === Zu großer Interpretationsspielraum ===
            
            Das im Juli 2015 verabschiedete Karenzzeit-Gesetz sieht nur ein 12- bzw. 18-monatiges Verbot für Minister*innen und Staatssekretär*innen vor. Das eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränktesbeschränkte Verbot würdeverkennt das Ausmaß der Problematik verkennen. Denn es geht nicht nur um direkte Vorteilsgewährung während der politischen Amtszeit, die nach deren Ende mit einem lukrativen Job belohnt werdenBeeinflussung durch lukrative Jobangebote während der Amtszeit. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegierte Zugang zu EntscheidungsträgernEntscheidungsträger*innen und Insiderwissen, über die frisch ausge- schiedene ausgeschiedene Minister*innen oder StaatssekretäreStaatssekretär*innen auch in Bereichen verfügen, in denen sie nicht unmittelbar tätig waren. 
            
            Daher kann nur LobbyControl bemängelt daher, dass das Gesetz zu großen Interpretationsspielraum bei der Frage zulässt, ob Seitenwechsel in Lobbyjobs ohne inhaltliche Überschneidungen auch von der Karenzzeit erfasst werden. Der Wechsel in Lobbytätigkeiten sollte explizit untersagt werden. 
            

            Nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung kann die Verfestigung und Vertiefung der privilegierten Position von ökonomisch potenten Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Nach drei Frühestens nach 3 Jahren dürften die aus fachlichen und geschäftlichen Gründen entwickelten persönlichen Kontakte deutlichausreichend abgeschwächt sein, weil Manager und Amtsträger*innen sich in dieser Zeit anderen und neuen Personen zuwenden müssen.
        

        == Politische Debatte ==
            

            Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene wurde in den letzten Jahren über schärfere Regeln für Seitenwechsler gestritten. Das Thema ist auf der politischen Tagesordnung angekommen. Das zeigt sich z.B. an den Anträgen im Bundestag nach dem Seitenwechsel von [[Gerhard Schröder]]. Aber es gibt zugleich großen Widerstand und Beharrungskräfte in der (Partei)Politik. Wir zeichnen die Debatte hier genauer nach:
            
            *[[Politische Debatte über Seitenwechsel in Deutschland]]
            
            *[[Politische Debatte über Seitenwechsel auf europäischer Ebene]]
            

            == Besondere Formen == 
            

            Neben dem Wechsel von Politikern in die Wirtschaft gibt es auch die umgekehrte Bewegung: Lobbyisten wechseln aus Unternehmen in wichtige Entscheidungspositionen in Ministerien. So wurde der Atom-Lobbyist [[Gerald Hennenhöfer]] 2009 oberster Atom-Aufseher. <ref>[http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2115225_Kritik-am-neuen-Umweltminister-Den-Bock-zum-Gaertner-gemacht.html Den Bock zum Gärtner gemacht] Frankfurter Rundschau vom 1. Dezember 2009</ref>  Der stellvertretende Chef des Verbandes der Privaten Krankenkassen ([[PKV]]), [[Christian Weber]], wurde 2010 Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im Gesundheitsministerium.<ref>[http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~EF1CB29FF664D4564839D26A2B10DB5F7~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html PKV-Lobbyist soll Gesundheitsreform erarbeiten] FAZ vom 11. Januar 2010</ref> Unter Rot-Grün wechselte 1999 [[Heribert Zitzelsberger]], langjähriger Chef der Steuerabteilung des Chemie-Riesen [[Bayer|Bayer AG]], als Staatssekretär ins Finanzministerium. Er gilt als einer der Väter der rot-grünen Unternehmenssteuerreform, die mit der Senkung der Körperschaftsteuer und der Steuerbefreiung für Kapitalgesellschaften beim Verkauf von Beteiligungen Großunternehmen „das größte Geschenk aller Zeiten“ machte.<ref>[http://www.zeit.de/2005/37/Steuern Das größte Geschenk aller Zeiten] Die Zeit vom 8. September 2005</ref> Der Bayer|Bayer AG wurden im Jahr 2001 250 Millionen Euro Körperschaftssteuer erstattet.<ref>[http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Zeitschrift_SWB/SWB_2002/SWB_02_2002/Steuerpolitik_02_02/steuerpolitik_02_02.html Kein Gewinn im Sinne des Steuerrechts] Coordination gegen Bayer Gefahren 02/2002</ref>
            

            Dass Seitenwechsel nicht nur Politiker betreffen, zeigt der Wechsel von [[Norbert Hansen]]: Als Vorsitzender der Bahn-Gewerkschaft [[Transnet]] verhandelte er im Namen der Belegschaft über Lohnerhöhungen und Entlassungen. 2008 wechselte er in den Bahn-Vorstand - als Personalchef.<ref>[http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,553723,00.html Bahn-Gewerkschafter werfen Überläufer Hansen Verrat vor] Spiegel-Online vom 16.05.2008, abgerufen am 08.10.2010]</ref>
            

            Bei einigen Politikern wie z.B. [[Friedrich Merz]] mischen sich zudem Nebentätigkeiten (während des politischen Amts) mit Seitenwechseln danach. Manchmal kann man sich fragen, ob dabei Lobbyisten in politische Ämter gewählt wurden oder Politiker nebenberuflich als Lobbyisten agieren.
            

            == Übersicht==
            
= Keine wirksamen Sanktionen===
            
            Lobbycontrol fordert außerdem, dass das Karenzzeit-Gesetz um wirksame Sanktionen ergänzt wird. Auch fehlt die Regel, dass neue Tätigkeiten erst nach einer Entscheidung über eine Karenzzeit begonnen werden dürfen.<ref>[https://www.lobbycontrol.de/2015/06/karenzzeit-unterschriftenuebergabe-und-anhoerung-im-bundestag/ Karenzzeit: Unterschriftenübergabe und Anhörung im Bundestag], lobbycontrol.de vom 16.06.2015, zuletzt aufgerufen am 30.04.2020</ref>.
            

            === Schwache Vorschriften im Beamtenrecht===
            
            Die 2015 für Minister*innen sowie Parlamentarische Staatssekretär*innen eingeführte Karenzzeitregelung auf gesetzlicher Grundlage war ein wichtiger Schritt, um Interessenkonflikte beim Wechsel aus dem Amt in Tätigkeiten bei Verbänden und Unternehmen zu regulieren. Für politische Beamte fehlt eine entsprechende Regelung jedoch. Zwar sieht § 105 Bundesbeamtengesetz die Möglichkeit vor, die Aufnahme neuer Tätigkeiten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst zu untersagen. Doch zeigt die Praxis, dass die Regelung nur in seltenen Fällen angewandt wird. Insbesondere auf der Ebene der beamteten Staatssekretär*innen sowie Abteilungsleiter*innen finden nach wie vor viele Wechsel statt, die einen Interessenkonflikt nahelegen. Ob und wie die jeweils zuständige Dienststelle Wechsel tatsächlich prüft und nach welchen Kriterien kann nicht nachvollzogen werden, da darüber keine Informationen veröffentlicht werden und die Ministerien auch auf Nachfrage keine Angaben machen. Das durch die Änderung des Ministergesetzes neu eingeführte Gremium sollte auch hier zur tätig werden und eine öffentliche Empfehlung abgeben. Zugleich sollte ein Kriterienkatalog veröffentlicht werden, an Hand dessen Wechsel geprüft werden können.
            

            == Politische Debatte ==
            

            Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene wurde in den letzten zehn Jahren über schärfere Regeln für Seitenwechsler gestritten. Im Juli 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur Karenzzeit. Damit hat die Debatte über nahtlose Seitenwechsel von Regierungsmitgliedern ein vorläufiges Ende gefunden. Wir zeichnen die Debatte hier genauer nach:
            
            *[[Politische Debatte über Seitenwechsel in Deutschland]]
            
            *[[Politische Debatte über Seitenwechsel auf europäischer Ebene]]
            

            == Weitere Artikel zum Thema Seitenwechsel ==
            * [[Seitenwechsler im Überblick|Seitenwechsler in einer Übersichtstabelle]]
        
        * [[Seitenwechsler auf EU-Ebene]]
        
* [[Portal Seitenwechsel]]
            

            == Weiterführende Links ==
            
== Weiterführende Informationen ==
            
            * [[:Kategorie:LobbyABC|Überblick LobbyABC: Lobbyismus von A–Z]] 
            * [http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/schwerpunkte/seitenwechsel/ Aktuelle Meldungen und Hintergründe zum Seitenwechsel auf der LobbyControl-Website]
            
, abgerufen am 30.04.2020
            * [http://www.lobbycontrol.de/download/Mehr%20Transparenz_LobbyControl_Dez08.pdf LobbyControl-Positionspapier "Mehr Transparenz und Schranken für den Lobbyismus", Dezember 2008 (pdf)]
            
, abgerufen am 30.04.2020
            * [http://www.lobbycontrol.de/download/drehtuer-studie.pdf LobbyControl Studie "Fliegende Wechsel - die Drehtür kreist. Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?", November 2007 (pdf)]
            

            == Einzelnachweise ==
            <references/>
            

            [[Kategorie: , abgerufen am 30.04.2020
            

            {{spendenbanner}}
            

            == Einzelnachweise ==
            <references/>
            

            [[Kategorie:Seitenwechsel]]
        
        [[Kategorie:Sachverhalt+Vorgang]]
            
            [[Kategorie:LobbyABC]]
            
            [[Category:Lobby-Phänomene]]
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[[Datei:LobbyABC.png|right|alt=Banner LobbyABC|link=https://lobbypedia.de/wiki/Kategorie:LobbyABC|180px]]
Seitenwechsel ist ein häufiges und typisches Phänomen des [[Lobbyismus]], auch Drehtür-Effekt (Revolving door) genannt: PolitikerInnen oder hochrangige MitarbeiterInnen aus Ministerien wechseln aus ihrem Amt oder Mandat zu Unternehmen oder Interessensverbänden und übernehmen dort Lobbytätigkeiten. Häufig werden sie in Bereichen tätig, für die sie zuvor in ihrer politischen Funktion auch zuständig waren. Sie wechseln quasi auf die andere Seite des Verhandlungstisches und sitzen nun ihrem Nachfolger gegenüber. Diese Wechsel erfolgen oft direkt nach Beendigung der politischen Funktion oder kurz darauf („fliegend“).
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'''Seitenwechsel''', auch Drehtür-Effekt (Revolving door) genannt, ist ein häufiges und typisches Phänomen des [[Lobbyismus]]. Politiker*innen oder hochrangige Mitarbeiter*innen aus Ministerien wechseln aus ihrem Amt oder Mandat zu Unternehmen oder Interessensverbänden und übernehmen dort Lobbytätigkeiten. Häufig werden sie in Bereichen tätig, für die sie zuvor in ihrer politischen Funktion auch zuständig waren. Sie wechseln gewissermaßen auf die andere Seite des Verhandlungstisches und sitzen nun ihrer Nachfolger*in gegenüber. Diese Wechsel erfolgen oft direkt nach Beendigung der politischen Funktion oder kurz darauf („fliegend“).
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[[LobbyControl]] hat 2015 in seinem Lobbyreport<ref>[https://www.lobbycontrol.de/2015/12/lobbyreport-2015-schwarz-rot-mauert-bei-lobbytransparenz/ Lobbyreport 2015: Schwarz-Rot mauert bei Lobbytransparenz], lobbycontrol.de vom 30.04.2020, abgerufen am 18.02.2017</ref> untersucht, ob und wenn ja wie die Große Koalition Lobbyismus reguliert hat. Im Bereich Seitenwechsel fällt die Bewertung gemischt aus: "Mit dem neuen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf."
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'''→ [[:Kategorie:LobbyABC|Überblick LobbyABC: Lobbyismus von A–Z]]'''
   
 
== Die Problematik ==
 
== Die Problematik ==
[[LobbyControl]] hält fliegende Seitenwechsel aus folgenden Gründen für hoch problematisch:  
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Seitenwechsel sind aus folgenden Gründen problematisch:  
   
* Mit den kürzlich ausgeschiedenen politischen Entscheidungsträgern sichern sich Interessengruppen deren Insider-Wissen und ihre noch frischen Kontakte in Ministerien und/oder Parlament. So erhalten sie einen privilegierten Zugang zur Politik und können Entscheidungen leichter beeinflussen.
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* Mit den kürzlich ausgeschiedenen politischen Entscheidungsträger*innen sichern sich Interessengruppen deren Insider-Wissen und ihre aktuellen Kontakte in Ministerien und/oder Parlament. So erhalten sie einen privilegierten Zugang zur Politik und können Entscheidungen leichter beeinflussen.
 
   
 
   
* Dies kommt vor allem finanzstarken Akteuren zugute, die ehemaligen SpitzenpolitikerInnen attraktive Jobs anbieten können – dies sind in der Regel große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände. Die bestehenden Machtstrukturen werden so verfestigt und verstärkt.
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* Dies kommt vor allem finanzstarken Akteur*innen zugute, die ehemaligen Spitzenpolitiker*innen attraktive Jobs anbieten können – dies sind in der Regel große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände. Die bestehenden Machtstrukturen werden so verfestigt und verstärkt.
   
* Die Aussicht auf lukrative Jobs nach dem Ende der Politiker-Karriere gibt Anreiz, politische Entscheidungen zu Gunsten möglicher späterer Arbeitgeber zu treffen - oder zumindest sie nicht gegen sich aufzubringen. So wird bei Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Jobchancen zu einem bedeutenden Faktor.
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* Die Aussicht auf lukrative Jobs nach dem Ende der Politiker-Karriere gibt Anreiz, politische Entscheidungen zu Gunsten möglicher späterer Arbeitgeber zu treffen - oder sie wenigstens nicht gegen sich aufzubringen. So wird bei Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Jobchancen zu einem bedeutenden Faktor.
 
 
[[LobbyControl]] hat sich in der [http://www.lobbycontrol.de/download/drehtuer-studie.pdf Studie "Fliegende Wechsel - die Drehtür kreist. Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?", November 2007 (pdf)] intensiv mit dem Phänomen der fliegenden Wechsel auseinandergesetzt.
 
   
 
==Beispiele für Seitenwechsel der letzten Jahre==
 
==Beispiele für Seitenwechsel der letzten Jahre==
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*[[Sigmar Gabriel]]] - Vom Bundesaußenminister zum Mitglied des Aufsichtsrats der [[Deutsche Bank|Deutschen Bank]], zum "Senior Advisor" beim Politikberatungsunternehmen [[Eurasia Group]], zum Vorstandsvorsitzenden der [[Atlantik-Brücke]] und zum Mitglied der [[Trilaterale Kommission|Trilateralen Kommission]]
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* [[Dirk Niebel]] - Erst Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dann Rüstungslobbyist für [[Rheinmetall]]
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* [[Ronald Pofalla]] - Vom Chef des Bundeskanzleramtes zur [[Deutschen Bahn]]
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* [[Eckart von Klaeden]] - Vom Staatsminister im Bundeskanzleramt zum Cheflobbyist der [[Daimler]] AG
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* [[Daniel Bahr]] - Vom Gesundheitsminister zur [[Allianz]] Versicherung
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* [[Steffen Kampeter]] - Vom Staatssekretär im Bundesfinanzministerium  zum Hauptgeschäftsführer der [[Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände]]
   
*[[Hildegard Müller]] - rechte Hand von Angela Merkel wird Energie-Cheflobbyistin mit direktem Draht ins Kanzleramt
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→ Weitere [[Seitenwechsler in Deutschland im Überblick|Seitenwechsler gibt es hier in einer Übersichtstabelle]].
*[[Caio Koch-Weser]] - Zentrale Figur der deutschen Finanzlobby - Von der Regulierungsbehörde in den Vorstand der Deutschen Bank
 
*[[Wolfgang Clement]] - Die Hartz-Gesetze als Entrittskarte in die Zeitarbeits-Lobby. Vom Wirtschaftsminister zum Aufsichtsrat von [[RWE]]
 
*[[Gerald Hennenhöfer]] - Vom Atom-Aufseher zum Atom-Lobbyisten und zurück
 
*[[Christian Weber]] - Lobbyist der Privaten Krankenkassen im Gesundheitsministerium
 
   
== Forderung: Karenzzeit ==
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== Nachbesserungen am Karenzzeit-Gesetz ==
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Mit dem 2015 beschlossenen Gesetz zur Einführung von Karenzzeiten wurde ein Durchbruch in Richtung wirksamer Lobbykontrolle erzielt. Aufgrund der zu weichen Regelung und der offenen Gesetzesanwendung bleibt jedoch großer Handlungsbedarf.
   
[[LobbyControl]] tritt für eine dreijährige Karenzzeit – eine Abkühlphase – ein. Innerhalb dieser Zeit muss ein Wechsel in Lobbytätigkeiten generell, also nicht nur im Bereich der zuvor bearbeiteten Fachgebiete, verboten sein. Dabei darf dieses Verbot nicht durch den Verzicht auf Beamten- oder sonstiger Rentenbezüge zu umgehen sein. Die Abkühlphase sollte für die Kanzlerin, die Minister, Staatsminister, parlamentarische und beamtete Staatssekretäre sowie Abteilungsleiter gelten.
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=== Zu großer Interpretationsspielraum ===
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Das im Juli 2015 verabschiedete Karenzzeit-Gesetz sieht nur ein 12- bzw. 18-monatiges Verbot für Minister*innen und Staatssekretär*innen vor. Das eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränkte Verbot verkennt das Ausmaß der Problematik. Denn es geht nicht nur um Beeinflussung durch lukrative Jobangebote während der Amtszeit. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegierte Zugang zu Entscheidungsträger*innen und Insiderwissen, über die frisch ausgeschiedene Minister*innen oder Staatssekretär*innen auch in Bereichen verfügen, in denen sie nicht unmittelbar tätig waren. LobbyControl bemängelt daher, dass das Gesetz zu großen Interpretationsspielraum bei der Frage zulässt, ob Seitenwechsel in Lobbyjobs ohne inhaltliche Überschneidungen auch von der Karenzzeit erfasst werden. Der Wechsel in Lobbytätigkeiten sollte explizit untersagt werden.  
   
Es ist weder ausreichend, einen nicht bindenden Ehrenkodex zu verabschieden, noch die neuen Tätigkeiten lediglich zu melden und das Verbot auf Bereiche zu beschränken, die im früheren Zuständigkeitsbereich des ausscheidenden Politikers liegen.
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Nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung kann die Verfestigung und Vertiefung der privilegierten Position von ökonomisch potenten Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Frühestens nach 3 Jahren dürften die aus fachlichen und geschäftlichen Gründen entwickelten persönlichen Kontakte ausreichend abgeschwächt sein, weil Manager und Amtsträger*innen sich in dieser Zeit anderen und neuen Personen zuwenden müssen.
   
Ein Ehrenkodex erfasst das Problem schon begrifflich nur schlecht, denn es geht nicht nur um individuelles Fehlverhalten oder „Ehre“, sondern um strukturellen Einfluss finanzstarker Interessengruppen oder Unternehmen. Zudem scheinen sich die betreffenden Politiker bei den bisherigen Wechseln auch nicht allzu sehr um ihre Ehre gesorgt zu haben, wenn man die öffentlichen Empörung betrachtet, die sie einfach ignoriert und ausgesessen haben. Eine Anzeigepflicht führt
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=== Keine wirksamen Sanktionen===
zwar möglicherweise zu größerer Transparenz, erlaubt aber im Kern die unveränderte Fortsetzung der bisherigen Praxis. Ein eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränktes Verbot würde das
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Lobbycontrol fordert außerdem, dass das Karenzzeit-Gesetz um wirksame Sanktionen ergänzt wird. Auch fehlt die Regel, dass neue Tätigkeiten erst nach einer Entscheidung über eine Karenzzeit begonnen werden dürfen.<ref>[https://www.lobbycontrol.de/2015/06/karenzzeit-unterschriftenuebergabe-und-anhoerung-im-bundestag/ Karenzzeit: Unterschriftenübergabe und Anhörung im Bundestag], lobbycontrol.de vom 16.06.2015, zuletzt aufgerufen am 30.04.2020</ref>.
Ausmaß der Problematik verkennen. Denn es geht nicht nur um direkte Vorteilsgewährung während der politischen Amtszeit, die nach deren Ende mit einem lukrativen Job belohnt werden. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegierte Zugang zu Entscheidungsträgern und Insiderwissen, über die frisch ausge- schiedene Minister oder Staatssekretäre auch in Bereichen verfügen, in denen
 
sie nicht unmittelbar tätig waren.
 
   
Daher kann nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung die Verfestigung und Vertiefung der privilegierten Position von ökonomisch potenten Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Nach drei Jahren dürften die aus fachlichen und geschäftlichen Gründen entwickelten persönlichen Kontakte deutlich abgeschwächt sein, weil Manager und Amtsträger sich in dieser Zeit anderen
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=== Schwache Vorschriften im Beamtenrecht===
und neuen Personen zuwenden müssen.
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Die 2015 für Minister*innen sowie Parlamentarische Staatssekretär*innen eingeführte Karenzzeitregelung auf gesetzlicher Grundlage war ein wichtiger Schritt, um Interessenkonflikte beim Wechsel aus dem Amt in Tätigkeiten bei Verbänden und Unternehmen zu regulieren. Für politische Beamte fehlt eine entsprechende Regelung jedoch. Zwar sieht § 105 Bundesbeamtengesetz die Möglichkeit vor, die Aufnahme neuer Tätigkeiten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst zu untersagen. Doch zeigt die Praxis, dass die Regelung nur in seltenen Fällen angewandt wird. Insbesondere auf der Ebene der beamteten Staatssekretär*innen sowie Abteilungsleiter*innen finden nach wie vor viele Wechsel statt, die einen Interessenkonflikt nahelegen. Ob und wie die jeweils zuständige Dienststelle Wechsel tatsächlich prüft und nach welchen Kriterien kann nicht nachvollzogen werden, da darüber keine Informationen veröffentlicht werden und die Ministerien auch auf Nachfrage keine Angaben machen. Das durch die Änderung des Ministergesetzes neu eingeführte Gremium sollte auch hier zur tätig werden und eine öffentliche Empfehlung abgeben. Zugleich sollte ein Kriterienkatalog veröffentlicht werden, an Hand dessen Wechsel geprüft werden können.
   
 
== Politische Debatte ==
 
== Politische Debatte ==
   
Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene wurde in den letzten Jahren über schärfere Regeln für Seitenwechsler gestritten. Das Thema ist auf der politischen Tagesordnung angekommen. Das zeigt sich z.B. an den Anträgen im Bundestag nach dem Seitenwechsel von [[Gerhard Schröder]]. Aber es gibt zugleich großen Widerstand und Beharrungskräfte in der (Partei)Politik. Wir zeichnen die Debatte hier genauer nach:
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Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene wurde in den letzten zehn Jahren über schärfere Regeln für Seitenwechsler gestritten. Im Juli 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur Karenzzeit. Damit hat die Debatte über nahtlose Seitenwechsel von Regierungsmitgliedern ein vorläufiges Ende gefunden. Wir zeichnen die Debatte hier genauer nach:
 
*[[Politische Debatte über Seitenwechsel in Deutschland]]
 
*[[Politische Debatte über Seitenwechsel in Deutschland]]
 
*[[Politische Debatte über Seitenwechsel auf europäischer Ebene]]
 
*[[Politische Debatte über Seitenwechsel auf europäischer Ebene]]
   
== Besondere Formen ==
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== Weitere Artikel zum Thema Seitenwechsel ==
 
 
Neben dem Wechsel von Politikern in die Wirtschaft gibt es auch die umgekehrte Bewegung: Lobbyisten wechseln aus Unternehmen in wichtige Entscheidungspositionen in Ministerien. So wurde der Atom-Lobbyist [[Gerald Hennenhöfer]] 2009 oberster Atom-Aufseher. <ref>[http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2115225_Kritik-am-neuen-Umweltminister-Den-Bock-zum-Gaertner-gemacht.html Den Bock zum Gärtner gemacht] Frankfurter Rundschau vom 1. Dezember 2009</ref>  Der stellvertretende Chef des Verbandes der Privaten Krankenkassen ([[PKV]]), [[Christian Weber]], wurde 2010 Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im Gesundheitsministerium.<ref>[http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~EF1CB29FF664D4564839D26A2B10DB5F7~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html PKV-Lobbyist soll Gesundheitsreform erarbeiten] FAZ vom 11. Januar 2010</ref> Unter Rot-Grün wechselte 1999 [[Heribert Zitzelsberger]], langjähriger Chef der Steuerabteilung des Chemie-Riesen [[Bayer|Bayer AG]], als Staatssekretär ins Finanzministerium. Er gilt als einer der Väter der rot-grünen Unternehmenssteuerreform, die mit der Senkung der Körperschaftsteuer und der Steuerbefreiung für Kapitalgesellschaften beim Verkauf von Beteiligungen Großunternehmen „das größte Geschenk aller Zeiten“ machte.<ref>[http://www.zeit.de/2005/37/Steuern Das größte Geschenk aller Zeiten] Die Zeit vom 8. September 2005</ref> Der Bayer|Bayer AG wurden im Jahr 2001 250 Millionen Euro Körperschaftssteuer erstattet.<ref>[http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Zeitschrift_SWB/SWB_2002/SWB_02_2002/Steuerpolitik_02_02/steuerpolitik_02_02.html Kein Gewinn im Sinne des Steuerrechts] Coordination gegen Bayer Gefahren 02/2002</ref>
 
 
 
Dass Seitenwechsel nicht nur Politiker betreffen, zeigt der Wechsel von [[Norbert Hansen]]: Als Vorsitzender der Bahn-Gewerkschaft [[Transnet]] verhandelte er im Namen der Belegschaft über Lohnerhöhungen und Entlassungen. 2008 wechselte er in den Bahn-Vorstand - als Personalchef.<ref>[http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,553723,00.html Bahn-Gewerkschafter werfen Überläufer Hansen Verrat vor] Spiegel-Online vom 16.05.2008, abgerufen am 08.10.2010]</ref>
 
 
 
Bei einigen Politikern wie z.B. [[Friedrich Merz]] mischen sich zudem Nebentätigkeiten (während des politischen Amts) mit Seitenwechseln danach. Manchmal kann man sich fragen, ob dabei Lobbyisten in politische Ämter gewählt wurden oder Politiker nebenberuflich als Lobbyisten agieren.
 
 
 
== Übersicht==
 
 
 
 
* [[Seitenwechsler im Überblick|Seitenwechsler in einer Übersichtstabelle]]
 
* [[Seitenwechsler im Überblick|Seitenwechsler in einer Übersichtstabelle]]
* [[Seitenwechsler auf EU-Ebene]]
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* [[Seitenwechsler auf EU-Ebene]]
* [[Portal Seitenwechsel]]
 
 
 
== Weiterführende Links ==
 
 
 
* [http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/schwerpunkte/seitenwechsel/ Aktuelle Meldungen und Hintergründe zum Seitenwechsel auf der LobbyControl-Website]
 
   
* [http://www.lobbycontrol.de/download/Mehr%20Transparenz_LobbyControl_Dez08.pdf LobbyControl-Positionspapier "Mehr Transparenz und Schranken für den Lobbyismus", Dezember 2008 (pdf)]
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== Weiterführende Informationen ==
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* [[:Kategorie:LobbyABC|Überblick LobbyABC: Lobbyismus von A–Z]]
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* [http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/schwerpunkte/seitenwechsel/ Aktuelle Meldungen und Hintergründe zum Seitenwechsel auf der LobbyControl-Website], abgerufen am 30.04.2020
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* [http://www.lobbycontrol.de/download/Mehr%20Transparenz_LobbyControl_Dez08.pdf LobbyControl-Positionspapier "Mehr Transparenz und Schranken für den Lobbyismus", Dezember 2008 (pdf)], abgerufen am 30.04.2020
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* [http://www.lobbycontrol.de/download/drehtuer-studie.pdf LobbyControl Studie "Fliegende Wechsel - die Drehtür kreist. Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?", November 2007 (pdf)], abgerufen am 30.04.2020
   
* [http://www.lobbycontrol.de/download/drehtuer-studie.pdf LobbyControl Studie "Fliegende Wechsel - die Drehtür kreist. Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?", November 2007 (pdf)]
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== Einzelnachweise ==
 
== Einzelnachweise ==
 
<references/>
 
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[[Kategorie: Seitenwechsel]]
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[[Kategorie:Seitenwechsel]]
 
[[Kategorie:Sachverhalt+Vorgang]]
 
[[Kategorie:Sachverhalt+Vorgang]]
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[[Kategorie:LobbyABC]]
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[[Category:Lobby-Phänomene]]

Anhänge

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