TISA - Trade in Services Agreement

    • Keine Statusinformation
Version vom 17. April 2015, 15:01 Uhr von AnnaO (Diskussion | Beiträge) (Chronologie der Verhandlungen)

Das Trade in Services Agreement (TISA) (Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen) ist ein geplantes Abkommen, das den Handel mit Dienstleistungen neu regeln soll. Die Idee eines solchen Abkommens wurde 2011 unter Vorsitz der USA und Australiens von 20 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) vorgeschlagen, die sich selbst „Really Good Friends of Services“ (zu dt. sehr gute Freunde der Dienstleistungen), kurz RGF, nennen. Offiziell wurden die Verhandlungen 2013 eröffnet, jedoch finden seit 2011 regelmäßig Gespräche über das Abkommen in der australischen UN-Botschaft in Genf unter wechselndem Vorsitz der USA, Australiens und der Europäischen Union statt. [1] [2] Mit TISA soll der Dienstleistungshandel liberalisiert werden – dies kann unter anderem weitgehende Privatisierungen in öffentlichen Sektoren und Deregulierungen im Finanzsektor zur Folge haben. Über den genauen Inhalt der Verhandlungen wird die Öffentlichkeit nur mangelhaft informiert. Kritiker sehen einen hohen Einfluss von Interessensgruppen auf die Verhandlungen.

Akteure

An den TISA-Verhandlungen sind 23 Parteien beteiligt: Die Europäischen Union, die stellvertretend für ihre 28 Mitgliedstaaten verhandelt, sowie 22 weitere Staaten der WTO (Australien, Kanada, Chile, Taiwan, Kolumbien, Costa Rica, Hong Kong, Island, Israel, Japan, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Südkorea, Schweiz, Türkei, und die USA). Die verhandelnden Staaten erbringen gemeinsam rund 70 Prozent des globalen Handels mit Dienstleistungen. [3]

Kerninhalte

Im Kern sollen mit TISA nationale Dienstleistungsmärkte für ausländische Konzerne geöffnet werden. Es ist ein Folgeabkommen des multilateralen GATS (Generelles Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen) der Welthandelsorganisation (WTO), welches bisher den Handel mit Dienstleistungen regelt. Nachdem Gespräche über eine Reform von GATS innerhalb der WTO bislang zu keinem Ergebnis führten, nutzten die RGF diesen Stillstand, um mittels eines neuen Abkommens den Abbau von Handelshemnissen bei Dienstleistungen weiter voran zu bringen. [4] Das TISA-Abkommen soll jegliche Art internationaler Dienstleistungen abdecken, die auch im GATS-Abkommen festgelegt sind. Es ist demnach davon auszugehen, dass es sich um die vier Modes von Dienstleistungen handelt, die im GATS definiert sind:

  • Mode 1 beinhaltet Dienstleistungen, die mit Hilfe technischer Mittel grenzüberschreitend gehandelt werden, wie beispielsweise E-Banking oder die Übermittlung elektronischer Nachrichten.
  • Mode 2 umfasst Dienstleistungen, die ein Verbraucher von einem Mitgliedsland in ein anderes verbraucht. Darunter fällt z.B. der Tourismus, aber auch die Ausbildung ausländischer Studierender im Inland.
  • Mode 3 beinhaltet Niederlassungen im Ausland. Unter diesen Bereich fällt beispielsweise die Gründung einer Bankfiliale in einem anderen Land, aber auch die Erbringung kommunaler Wasser- oder Energieversorgung durch einen ausländischen Investor.
  • Mode 4 bezieht sich auf die temporäre Arbeitsmigration, wenn Fachkräfte vorübergehend ins Ausland transferieren um dort Dienstleistungen zu erbringen. [5] [6]

Eine Reihe von Sektoren und Lebensbereichen der Bürgerinnen und Bürger wären demnach von TISA betroffen. Die Verhandlungen zu TISA werden geheim gehalten, daher ist es kaum möglich zu erfahren, was bei den Treffen in Genf besprochen wird. Lediglich die Schweiz stellt regelmäßig ihre Verhandlungspositionen online zur Verfügung. [7] Im Juni 2014 veröffentlichte WikiLeaks zudem ein geheimes US-Verhandlungsdokument, bei dem es sich um einen Anhang zum Thema Finanzdienstleistungen handelt.[8] In einer ausführlichen Analyse des Leaks von Jane Kelsey, Professorin der University of Auckland, wird ersichtlich, dass Unterzeichner von TISA keine Finanzmarktregulierungen voranbringen dürfen, sondern vielmehr diesen Sektor weiter liberalisieren sollen.[9]

Verhandlunsmandat der EU

Das Verhandlungsmandat der EU[10] wurde im März 2015 veröffentlicht.[11]

Chronologie der Verhandlungen

auf Basis der von der Schweiz veröffentlichten Chronologie

Laut Aussage der Europäischen Kommission wurden die Gespräche offiziell im März 2013 eröffnet. Erste Treffen fanden jedoch schon seit 2011 statt. Bis Ende 2014 würden zehn Verhandlungsrunden geführt; die Gespräche seien für September/ Oktober und Dezember vorgesehen. Für das Ende der Verhandlungen ist noch kein Termin festgelegt.[12] Auf Basis des vom schweizerischen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) veröffentlichten Verhandlungsverlaufs ergibt sich folgende Chronologie:[13]

Dezember 2011

Nachdem die 8. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation deutlich machte, dass ein Abschluss der Verhandlungsthemen des Doha-Mandats in naher Zukunft unwahrscheinlich ist, wurde nach neuen Wegen gesucht, die Verhandlungen zumindest in einzelnen Bereichen voranzubringen.

Februar 2012

Erstes Treffen der „Really Good Friends“.

März 2012

Die Gespräche der zweiten Runde basieren auf einem Dokument, dass ein „Inventar der GATS-plus-Elemente“ für das Abkommen enthält. Themen sind unter anderem Finanzdienstleistungen, Elektronischer Handel, Umwelt, Energie, Transparenz, innerstaatliche Regelung, vorübergehende Einreise, grenzüberschreitender Datenfluss und Subventionen.

Oktober 2012

In der fünften Runde einigten sich die verhandelnden Länder auf eine Positivliste für Marktzugangsverpflichtungen und eine Negativliste für die Inländerbehandlung (siehe Kritik). Außerdem wurden in Bezug auf die Inländerbehandlung die Ratchet- sowie die Stillhalteklausel festgelegt.

Dezember 2012

Mit der siebten Runde wird der Verhandlungsrahmen verabschiedet. Demnach sollen Kernbestimmungen des Abkommens identisch sein mit jenen im GATS, wobei es auch Negativlisten geben soll.

März 2013

Innerhalb der neunten Runde wird der erste Textentwurf eines Abkommens (Kernbestimmungen) verhandelt.

September 2013

Unterbreitung der Anfangsofferte seitens der USA

November 2013

Die Parteien erkennen an, dass der Abkommenstext genügend gefestigt ist, um Offerten seitens aller Parteien auszutauschen.

Kritik

Allgemein

Es wird befürchtet, dass mit dem TISA-Abkommen eine Reihe an bislang staatlich erbrachten Leistungen wie die Trinkwasser- oder die Gesundheitsversorgung privatisiert werden könnten. Außerdem könnte eine Internationalisierung der Leiharbeit ermöglichen, dass billige Arbeitskräfte in Hochlohnländer geholt werden, anstatt Produktionsstätten in Billiglohnländer auszulagern.[14] Auch der europäische Datenschutz sei gefährdet: Die USA forderten z. B., TISA-Mitglieder müssen Finanzkonzernen den freien Transfer von Informationen erlauben, wodurch Kundendaten europäischer Bürger und Firmen ganz legal der amerikanischen Regierung und den Geheimdiensten zur Verfügung stünden. Darüber hinaus erschwere TISA, Fianzmärkte zu zähmen. Staaten müssten bei Notfallmaßnahmen (z.B. bei Finanzkrisen) immer beweisen, dass durch diese die Pflichten zur Öffnung der Märkte nicht vernachlässigt würden.[15] Sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung versichern, öffentliche Dienstleistungen seien von Privatisierungen ausgenommen und auch der europäische Datenschutz würde durch TISA nicht gefährdet. Presseberichten zufolge widerspricht dies allerdings Aussagen von Diplomaten und dem Verhandlungsmandat der EU.[16]

Geheimhaltung

Wie auch bei den Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA finden die Gespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wobei die TISA-Verhandlungen noch deutlich intransparenter sind. Aus dem geleakten Dokument geht hervor, dass dieses sogar erst fünf Jahre nach einem möglichen Verhandlungsabschluss veröffentlicht werden soll.[17] In einer ausführlichen Analyse des Leaks von Jane Kelsey, Professorin der University of Auckland, bezeichnet sie diese Geheimhaltung als unzulässig und undemokratisch. Somit würde eine auf einseitigen Informationen basierende Entscheidungsfindung befördert.[18] Zwar veröffentlichte die Europäische Kommission im Juli 2014 - etwa vier Wochen nach Bekanntwerden des Leaks - Positionspapiere, jedoch bieten diese nur eine dünne Informationsbasis.[19]

Stillhalte- und Ratchetklausel

Eine sogenannte Stillhalteklausel im TISA-Abkommen würde Staaten dazu verpflichten, an bestehenden Liberalisierungen festzuhalten und keine neuen Regulierungen einzuführen. Darüber hinaus sehen die Verhandlungsführer eine Ratchetklausel vor. Diese führt dazu, dass sobald Liberalisierungen eingeführt würden, diese nicht mehr rückgängig zu machen sind. Würde es in einem Land beispielsweise zu einer Privatisierung der Wasserversorgung kommen, wäre eine spätere Rekommunalisierung – wie es etwa in Berlin 2013 der Fall war – nicht mehr möglich.[20] [21]

Negativliste

Bei GATS konnten Staaten auf sogenannten Positivlisten aufführen, welche Bereiche dem Abkommen unterliegen sollen. Für das TISA-Abkommen sind nun auch Negativlisten in bestimmten Bereichen vorgesehen. Beispielsweise soll es bei der Inländerbehandlung, eine der Grundprinzipien der WTO, wonach ausländische Waren auf dem Binnenmarkt inländischen gleichzustellen sind, eine solche Negativliste geben. Konkret bedeutet das: Bereiche, die von den Liberalisierungen ausgenommen werden sollen, müssen vorab ausgehandelt und explizit gelistet werden. Für alle anderen Bereiche gilt: Ausländische Anbieter werden den lokalen Anbietern gleichgestellt – ihnen wird also eine nicht weniger günstige Behandlung als den Inländern gewährt. Ausländische Anbieter könnten demnach im gleichen Umfang von staatlichen Subventionen profitieren wie inländische.[22][23] Gegner des Abkommens befürchten, dass die Verhandlungsführer Ausnahmeregelungen weitestgehend eliminieren wollen. Außerdem könnten Regierungen versäumen, bestimmte Bereiche für die Negativlisten auszuhandeln – bewusst oder weil diese schlichtweg nicht bedacht wurden. Ein „Zurück“ wäre nicht mehr möglich, was auch durch die Rachetklausel verschärft würde.[24]

Verhandlung außerhalb der Welthandelsorganisation

Die TISA-Verhandlungen werden außerhalb der WTO geführt und zielen zunächst nicht auf ein multilaterales Abkommen. Langfristiges Ziel soll den RGFs zufolge jedoch sein, TISA als mutlilaterales Abkommen in die WTO aufzunehmen.[25] Die Europäische Kommission will die gleichen Konzepte wie bei GATS nutzen, damit das Abkommen ohne Probleme in den Aufgabenbereich der WTO integriert werden kann[26] Die USA plant, mit TISA neue Verhandlungsregel zu etablieren, dann möglichst viele Länder zur Unterzeichnung von TISA zu bringen, um künftig die gleichen Regeln für Verhandlungen im Rahmen der WTO anzuwenden. Kritiker bezweifeln, dass TISA so einfach in den Bereich der WTO aufgenommen werden kann. Dem müssten entweder zwei Drittel oder drei Viertel der WTO-Mitglieder zustimmen. Aufstrebende Länder wie Brasilien und Indien zeigten sich kritisch gegenüber TISA und die USA verhinderten bisher einen Beitritt Chinas zu den Verhandlungen. Allerdings sei davon auszugehen, dass der Druck auf die Mitgliedsländer groß sein wird und sie am Ende keine Wahl haben, als dem Abkommen beizutreten – ohne je an den Verhandlungen teilgenommen zu haben.[27] [28]

Lobbyeinflüsse

Jane Kelsey stellt in ihrer Analyse des Leaks fest: Vergleicht man die Beiträge einer Konsultation der amerikanischen Regierung zu TISA von 2013 mit dem geleakten Dokument, zeigt sich, dass vor allen Dingen die Finanzlobby und die Industrie maßgeblich die Verhandlungen beeinflussen. Zahlreiche Forderungen der Amerikanischen Handelskammer US Chamber of Commerce, der US Securities Industry and Financial Markets Association, der American Insurance Association sowie der Coalition of Services Industries finden sich in dem geheimen US-Verhandlungsdokument über Finanzen wieder.[29]

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

https://www.lobbycontrol.de/newsletter-lobbypedia/https://twitter.com/lobbycontrolhttps://www.facebook.com/lobbycontrolhttps://www.instagram.com/lobbycontrolVernetzen

Einzelnachweise

  1. 4. Plurilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA - Trade in Services Agreement), Schweizerisches Staatssekretariat für Wirtschaft, abgerufen am 17.09.2014
  2. Facilitating Trade in Services, Europäische Kommission, abgerufen am 17.09.2014
  3. Facilitating Trade in Services, Europäische Kommission, abgerufen am 17.09.2014
  4. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Tagesschau Online vom 19.06.2014, abgerufen am 17.09.2014
  5. TISA contra öffentliche Dienste, Public Services International, abgerufen am 17.09.2014
  6. Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, abgerufen am 17.09.2014
  7. 4. Plurilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA - Trade in Services Agreement), Schweizerisches Staatssekretariat für Wirtschaft, abgerufen am 17.09.2014
  8. Trade in Services Agreement (TISA) Financial Annex, WikiLeaks, abgerufen am 17.09.2014
  9. Memorandum on Leaked TISA Financial Services Text, Analyse des Leaks, abgerufen am 17.09.2014
  10. Entwurf von Richtlinien für die Aushandlung eines plurilateralen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen, Webseite des Europäischen Rats, März 2015, zueltzt aufgerufen am 27.3.2015
  11. EU publiziert Mandat für globales Dienstleistungsabkommen TiSA Wirtschaftsblatt, 12. März 2015, zueletzt aufgerufen am 27.3.2015
  12. Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA), Europäische Kommission, abgerufen am 17.09.2014
  13. 4. Plurilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA - Trade in Services Agreement), Schweizerisches Staatssekretariat für Wirtschaft, abgerufen am 17.09.2014
  14. Globales Dienstleistungsabkommen Tisa rückt näher, Zeit Online vom 19.06.2014, abgerufen am 18.09.2014
  15. USA greifen nach Kontodaten europäischer Bürger, Süddeutsche Zeitung Online vom 19.06.2014, abgerufen am 17.09.2014
  16. Bundesregierung täuscht bei TISA, taz online vom 03.07.2014, abgerufen am 18.09.2014
  17. Trade in Services Agreement (TISA) Financial Annex, WikiLeaks, abgerufen am 17.09.2014
  18. Memorandum on Leaked TISA Financial Services Text, Analyse des Leaks, abgerufen am 17.09.2014
  19. News: The EU publishes TISA position papers, News der Europäischen Kommission vom 22.08.2014, abgerufen am 18.09.2014
  20. Stiller Poker um Wasser und Kontodaten, Süddeutsche Zeitung Online vom 20.06.2014, abgerufen am 17.09.2014
  21. TISA contra öffentliche Dienste, Public Services International, abgerufen am 17.09.2014
  22. 4. Plurilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA - Trade in Services Agreement), Schweizerisches Staatssekretariat für Wirtschaft, abgerufen am 17.09.2014
  23. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Tagesschau Online vom 19.06.2014, abgerufen am 17.09.2014
  24. TISA contra öffentliche Dienste, Public Services International, abgerufen am 17.09.2014
  25. The Plurilateral Agreement on Services, Europäisches Parlament, abgerufen am 18.09.2014
  26. Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA), Europäische Kommission, abgerufen am 17.09.2014
  27. Memorandum on Leaked TISA Financial Services Text, Analyse des Leaks, abgerufen am 17.09.2014
  28. TISA contra öffentliche Dienste, Public Services International, abgerufen am 17.09.2014
  29. Memorandum on Leaked TISA Financial Services Text, Analyse des Leaks, abgerufen am 17.09.2014

Anhänge

Diskussionen