Transatlantic Trade and Investment Partnership

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Das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) ist ein geplantes Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Die Verhandlungen haben Mitte 2013 begonnen und sollen Mitte 2015 abgeschlossen sein.
Für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sollen Sozial-, Verbraucher- und Umweltstandards gegenseitig anerkannt und somit faktisch auf das jeweils niedrige Niveau gesenkt werden.


Kerninhalte

Beseitigung von 'Handelshemmnissen'

Zentraler Inhalt der Verhandlungen ist die Deregulierung von handelsrelevanten Politikbereichen. Dabei geht es vor allem um sogenannte 'außertarifäre Handelshemmnisse', also Hemmnisse, die nicht in Form von Zöllen, sondern anderen qualitativen Regulierungen und Bestimmungen den Handel einschränken. Der Forderung, diese Hemmnisse zu beseitigen, würden vor allem Regulierungen im Verbraucher-, Umwelt-, Arbeitnehmer- sowie Datenschutz und Finanzdienstleistungssektor betreffen. Beispiele für solche geforderte De-regulierung sind: Senkung Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln (Stichwort „Hormonrindfleisch“ und „Chlorhühner“), Erlaubnis von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion, Senkung von Sozialstandards (eine tabellarische Übersicht der Forderungen ist unter Punkt 3.3 zu finden).

Stärkung der Einflussnahme von Unternehmen in demokratischen Prozessen

Ein weiterer geplanter inhaltlicher Aspekt des Abkommens ist die Einführung von internationalen Schiedsgerichten für Unternehmen. Investoren werden so umfassende Klagerechte gegenüber Staaten eingeräumt, wenn aufgrund von Sozial-, Gesundheits-, oder Umweltschutzgesetzen geplante Gewinne bedroht sind.[1] Außerdem soll Unternehmen durch die Einführung von sogenannten Konsultationsprozessen Einfluss in den Bereich der Gesetzesinitiative gegeben werden.[2]

Chronologie der Verhandlungen

An dieser Stelle wird die Chronik der TTIP-Verhandlungen aufgelistet.
Neben regelmäßigen Treffen der Verhandlungsführer gibt es ständige Arbeitsgruppen zu Teilthemen, welche den Vertragsentwurf abstimmen. Es gibt öffentliche Anhörungen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Auch ist angekündigt, dass Parlemente über den Stand der Verhandlungen informiert werden. Das Europaparlement und der US-Kongress müssen schließlich dem Ergebnis der Verhandlungen zustimmen.

Verhandlungsführer

Lobby-Komponenten

Privilegierter Zugang zu Verhandlungen und relevanten Informationen

Gremium zur Vorbereitung der Verhandlungen: Der Start der TIPP-Verhandlungen wurde in Kooperation mit Unternehmenslobbyisten vorbereitet. Die USA und die EU beauftragten das Beratungsgremium, den TEC, eine Arbeitsgruppe zu organisieren. Die “High-Level Working Group on Jobs and Growth” wurde zwar von den Handelsbeauftragten Ron Kirk und Karel De Gucht geleitet, zu den Mitgliedern des TEC gehören aber hauptsächlich Unternehmenslobbys wie Businesseurope, der Transatlantic Business Dialogue (TABD), das Transatlantic Policy Network (TPN), der Atlantic Council oder die Bertelsmann Stiftung.[8] Eine Liste der Mitglieder wurde erst auf mehrfache Anfrage von Nichtregierungsorganisationen wie Corporate Europe Observatory und durch Gruppen aus der USA bekannt. [9]

Lobbyeinflüsse auf die Europäische Kommission: Im September 2013 publizierte Corporate Europe Observatory (CEO) einen Bericht, demzufolge die Kommission auf eine Anfrage von CEO hin eine Liste über die mit Interessenvertretern geführten Treffen zur Vorbereitung der TTIP Verhandlungen veröffentlichte. Das Ergebnis ist erschreckend: Bei den insgesamt 130 aufgelisteten Treffen handelt es sich bei mindestens 119 Anlässen um Treffen mit Vertretern von Großunternhemen oder deren Interessenverbänden. Dies verdeutlicht die Asymmetrie zwischen zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbänden. Letztere besitzen nicht nur mehr Kapital, sondern auch einen leichteren Zugang zu den Europäischen Verhandlungsführern. Dies ist auch deshalb kritisch zu beurteilen, da es sich bei all diesen Treffen um Veranstaltungen hinter verschlossenen Türen handelt, die nicht auf der Webseite der zuständigen Abteilung der Kommission veröffentlicht wurden. Wohl aber berichtet die Kommission auf ihrer Webseite stolz über die sogenannten 'Civil Society Dialogue' Treffen, bei denen sie Vertreter von NGOs über die Verhandlungen informierte. Die Webseite enthält also ein sehr verzerrtes Bild davon, wer in Kontakt mit den Verhandlungsführern steht und wer nicht.[10]

Nach einer imm Juli 2014 veröffentlichten Erhebung von Corporate Europe Observatory (CEO) lobbyieren die Agrar- und Lebensmittelindustrie sowie die Telekommunikation- und IT-Branche am meisten für das TTIP-Abkommen.[11] Die meisten Einzelkontakte mit der EU-Kommission zum Thema TIPP hatten die folgenden Organisationen: Businesseurope (europäische Arbeitgeberorganisation), European Services Forum (große europäische Dienstleister), European Fresh Produce Association (freshfel) (europäische Produzenten von Obst und Gemüse), European Automobile Manufacturers Association (ACEA) (europäische Automobilhersteller) und European Chemical Industry Council (ESF) (europäische Chemieindustrie).

Lobbyeinflüsse auf die Verhandlungsführer der USA: Auch bei der US-Behörde Office of the United States Trade Representative (USTR) ist der Einfluss der Lobby erheblich. Diese lässt sich von 29 Komitees beraten, in denen fast 700 "Bürgerberater" sitzen. Tatsächlich dominieren in den Komitees Lobbyisten wie die Gensaatproduzenten Dupont und Cargill sowie Vertreter von Schweinefarmern oder Weinbauern, die ihre Produkte verkaufen wollen und deshalb nicht am Verbraucherschutz interessiert sind.[12] Islam Siddiqui, für die Landwirtschaft zuständiger Abteilungsleiter ("Chief Agricultural Negotiator"), war bis vor kurzem Vizepräsident der Lobbyorganisation CropLife America, zu deren Mitgliedern u.a. Monsanto gehört.[13]

Im April 2013 ist in den USA die Business Coalition for Transatlantic Trade (BCTT) gegründet worden, die bei der US-Regierung und der EU-Kommission für den Freihandel lobbyiert. Ihr Sekretariat ist bei der US Chamber of Commerce (US-Handelskammer) angesiedelt. Zu den Mitgliedern gehören u.a. Dow Chemical, JP Morgan Chase, Johnson & Johnson, Business Roundtable und Trans-Atlantic Business Council.

Intransparenter Verhandlungsprozess: Der Verhandlungsprozess wird außerdem als stark intransparent kritisiert. Der Einfluss von Unternehmen in den Verhandlungen soll größer sein als von anderen Interessengruppen.[14] So erhalten Industrieverbände Einsicht in die Verhandlungsdokumente. Während sie online über eine geschützte Webseite auf die offiziellen Entwürfe mit allen konkreten Regeln zugreifen können, bleiben den Verbrauchergruppen außerhalb der Komitees nur die öffentlichen Zusammenfassungen auf der Webseite des Büros des US-Handelsvertreters. [15]

Lobby-Akteure und Forderungen

Ein am 8. November 2013 erschienener Artikel der Monde diplomatique enthält eine Vielzahl von Informationen zu beteiligten Lobby Akteuren und ihren Forderungen in den verschiedenen Politikbereichen.[16] Hier eine Übersicht:

Bereich Akteure Forderungen
Lebensmittelsicherheit (USA) Yum! Brands (Muterrkonzern von Kentucky Fried Chicken)

American Meat Institute (AMI) und der Verband der Amerikanischen Fleischproduzenten
Aufgabe des EU- Verbots für mit Chlor und anderen Desinfektionsmitteln behandelten Hähnchen

Aufgabe des EU-Verbots für den Einsatz von Wachstumshormonen (wie z.B. Rectopoamin) im Produktionsprozess

Lebensmittelsicherheit (EU) Businesseurope Abschaffung des Rechts der Amerikanischen Food and Drug Administration kontaminierte Lebensmittel vom Markt zu nehmen
Einsatz von Biotechnik in der Lebensmittelbranche (USA) EuropaBio,
wichtiges Mitglied: Branchengigant Monsanto
Abschaffung der GMO Vereinbarung zur Kennzeichnung gentechnisch Veränderter Produkte

Vermehrte Zulassung von genveränderten Produkten auf dem Europäischen Markt
Datenschutz (USA) Digital Trade Coalition (Koalition von Internet und IT- Unternehmen)

US Council for Internet and Business (USCIB), darunter der Konzern Verizon
Aufweichung von EU-Datenschutzregelungen, vor allem in Bezug auf den Abfluss von persönlichen Daten in die USA

USCIB fordert: Ausnahmeklauseln für den Bereich Datenschutz müssen „sehr eng“ gefasst werden, „damit diese nicht als verkappte Handelshindernisse benutzt werden können“
Klimapolitik (USA) Airlines for America (A4A), Verband der Flugbranche Abschaffung einer Vielzahl von in einer Liste publizierten „unnötigen Vorschriften“, darunter die Einbeziehung von Fluggesellschaften in das Europäische Emmissionshandelssystem
Finanzwirtschaft (USA) US-amerikanische Finanzinstitutionen

Bankers Association for Finance and Trade (BAFT)
Aufgabe der EU-Finanztransaktionssteuer


Unterstützen die Verhandlungen für das Freihandelsabkommen
Finanzwirtschaft (EU) Bundesverband Deutscher Banken (BdB), wichtiges Mitglied: Deutsche Bank

European Services Forum


European Banking Federation




British Bankers' Association
Kritik der US-Finanzmarktreform, Forderung der Aufgabe der 'Volcker Rule' zum Verbot bestimmter hochriskanter Finanzprodukte und Dienstleistungen


Protest gegen das Kennzeichnungsverfahren von US Finanzinstituten von bestimmten Unternehmen als 'too big to fail'

Fordert die Miteinbeziehung des Finanzdienstleistungssektors in die Verhandlungen, mit den Zielen, Restriktionen zu entfernen bzw. zu verhindern, einen starken Investitionsschutz zu implementieren und die "extraterritoriale" Anwendung von nationalem Recht zu beseitigen

Verlangen den Abbau von Barrieren im Finanzdienstleistungssektor
Versicherungswirtschaft (EU u. USA) Insurance Europe, The American Council of Life Insurers (ACLI) und American Insurance Association (AIA) In einem gemeinsamen Papier fordern die drei Verbände, dass der Bereich der Versicherungen in die Verhandlungen um TTIP mit aufgenommen wird, da dieser hochgradig reguliert sei.
Weitere von dem Abkommen betroffene Politikfelder: Bildung, Energie, Immigrationsbestimmungen, Pharmaindustrie etc.

Werbekampagne der EU- Kommission

Am 25. November 2013 veröffentlichte Corporate Europe Observatory (CEO) ein geleaktes Dokument der Europäischen Kommission vom 7. November 2013, welches den Entwurf einer PR-Strategie zur Beseitigung von Zweifeln gegenüber dem geplanten TTIP Abkommen enthält. Die Kommission ruft darin auf zu einer strategisch koordinierten Beeinflussung der öffentlichen Meinung, um eine schnelle und erfolgreiche Umsetzung des Abkommens zu garantieren. In dem Strategiepapier heißt es:

„Unser Ziel muss es sein, unsere Kommunikationsstrategie auf Ebene der Mitgliedstaaten radikal zu verbessern im Vergleich zu unseren Bemühungen bei bisherigen Handelsabkommen. Zusätzlich müssen Anstrengungen in Brüssel, den USA und in der ganzen Welt unternommen werden, um klare, sachbezogene und überzeugende Argumente zu allen Aspekten der Verhandlungen vorzuweisen.“

Dabei solle sichergestellt werden, „dass die Öffentlichkeit ein Verständnis davon bekommt, was TTIP wirklich ist, nämlich eine Initiative, die Wachstum und Arbeitsplätze bringt.“ Auch wird deutlich diktiert, was TTIP nicht ist: „nämlich das Bestreben, Regulierungen und Schutz von Bereichen wie Gesundheit, Sicherheit und Umwelt zu untergraben“.[17] Die Kommission wandte sich außerdem in einem Treffen am 22. November an Vertreter der Mitgliedstaaten, um diese in die Kommunikationsstrategie einzuweisen. Die Mitgliedstaaten sollen "'proaktiv' über TTIP reden und die Öffentlichkeit 'zielgerichtet' und 'positiv' über alle Kanäle einschließlich der sozialen Netzwerke informieren.“[18] Wie auch das Handelsblatt berichtet, handelt es sich bei dieser Kampagne um eine Reaktion auf Kritik von Verbraucherschützern und Umweltverbänden am geplanten Freihandelsabkommen.

Studien zu TTIP

Zur Untermauerung der positiven Folgen des TTIP für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze entstanden folgende Studien:

Jahr Studie Auftraggeber Erstellt von Quelle
03/2014 »Zuordnung der Kosten des Nicht-Europas 2014-2019« Europäisches Parlament European Parliamentary Research Service [19]
10/2013 »Bundesländer, Branchen und Bildungsgruppen - Wirtschaftliche Folgen eines Transatlantischen Freihandelsabkommens (THIP) für Deutschland« (Teil 2) Bertelsmann Stiftung ifo Institut, Center for Economic Studies (CES) [20]
09/2013 »TTIP and the Fifty States: Jobs and Growth from Coast to Coast« Bertelsmann Stiftung, Atlantic Council, Britische Botschaft in Washington Trade Partnership Worldwide, LLC [21]
08/2013 »Atlantische Einheit im weltweiten Wettbewerb: T-TIP in Perspektive« Deutsche Bank DB Research [22]
06/2013 »Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (THIP) - Wem nutzt ein transatlantisches Freihandelsabkommen?« (Teil 1) Bertelsmann Stiftung ifo Institut, Center for Economic Studies (CES) [23]
03/2013 »Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment - An Economic Assessment« Europäische Kommission Centre for Economic Policy Research (CEPR), London [24], [25]
01/2013 »Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA« Bundeswirtschaftsministerium ifo Institut, Center for Economic Studies (CES) [26]

Kritik an den Studien:In einem Artikel in den Nachdenkseiten kritisiert Jens Berger die Methodik der im Juni erschienenen Studie der Bertelsmannstiftung. Die grundsätzliche Kritik dabei: Es mangele der Studie an qualitativer Analyse, da beispielsweise keine Szenarien zu spezifischen Gütern und Nachfragemodellen in bestimmten Wirtschaftssektoren durchgeführt würden. Auch werde nicht näher darauf eingegangen, was genau unter nichttarifären Handelshemmnissen zu verstehen sei. Stattdessen beschränke sich die Studie auf Vergleichsdaten zu Wachstum und Wohlstand und hinterfrage keine logischen Schlüsse. Berger dazu: „Dort wo eine qualitative Analyse nötig wäre, beschränkte man sich auf rein quantitative Rechentricks. Was dabei herauskommt, ist eine sinnlose – und wissenschaftlich wertlose – Excel-Spielerei.“

Ein Beispiel dafür sei die Prognose, dass durch das Abschließen der Freihandelszone ein 80%iges Wachstum des Handels zu erwarten sei. Die Erhebung dieses Wertes sei methodisch sehr fragwürdig. Die ifo Forscher orientierten sich anscheinend an Zuwachswerten von „vergleichbaren Handelszonen“, wobei kritische Faktoren, wie zum Beispiel der zeitliche Rahmen ihrer Vergleichswerte oder spezifische Handelsmerkmale der verglichenen Gebiete, außer Acht gelassen wurden. Ein weiterer Kritikpunkt sei die Berechnung der zu erwartenden Zunahme des Wirtschaftswachstums in Deutschland: Jens Berger bemängelt, dass sich die Behauptung, das deutsche Bruttoinlandsprodukt werde zunehmen, nicht logisch aus der in der Studie dargelegten Modellierung ergebe, „da die ifo-Forscher bei der Betrachtung des deutsch-amerikanischen Handels zum Ergebnis kommen, dass die Exporte und die Importe im gleichen Maß steigen, bleibt zumindest bei dieser Betrachtung kein Raum fürs Wirtschaftswachstum. Wie die Excel-Artisten des ifo überhaupt auf die BIP-Daten kommen, erschließt sich ohnehin nicht.“

„Um Aussagen über die Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU zu treffen, müsste man zunächst einmal kausal die Faktoren heraussuchen, die ein solches Abkommen verändern würde.“, meint Berger. Außerdem müssten die Wechselwirkungen dieser Faktoren und zu erwartende Zweit- und Drittrundeneffekte mit einbezogen werden. All dies fehle in dem Modell der ifo Studie. Abschließend warnt Berger: „Mit dem „richtigen“ Institut an der Hand kann man sich auf Basis solcher Modelle stets das gewünschte Ergebnis errechnen lassen.“

Was diese Studien so gefährlich macht, ist dass man als 'Laie' kaum eine Möglichkeit hat, ihre Aussagekräftigkeit zu überprüfen und sich selbst ein kritisches Bild zu machen. Außerdem werden sie zum Teil ohne kritische Reflexion in den Medien verbreitet. So bemängelt Berger zum Beispiel, dass SPIEGEL ONLINE "[...] wie gewohnt vollkommen unkritisch – Zahlen und Satzfragmente aus (der) Studie der Bertelsmann-Stiftung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU nachplapperte".[27]

Entgegen den Behauptungen der TTIP-Befürworter führen Freihandelsabkommen nicht zwangsläufig zu mehr Wohlstand für alle, sondern nutzen vor allem den wirtschaftlich Mächtigen.[28] Außerdem führt freier Handel auch zu Verlierern. Die versprochenen Wachstums- und Beschäftigungswirkungen bereits realisierter Freihandelsabkommen stellten sich nachträglich stets als übertrieben heraus. Prof. Capaldo von der Tufts University weist in der Studie The Uncertain Gains from Trade Facilitation vom Dezember 2013 nach, dass die genaue Berechnung erheblicher Gewinne bei Freihandelsabkommen auf so ungesicherten Annahmen beruht, dass es nicht gerechtfertigt sei, mit diesen prognostizierten Vorteilen politische Entscheidungen zu begründen.

Mit dem Abkommen verbundene Gefahren für die Demokratie in Europa

Ausweitung des Investor-State Dispute Settlement (ISDS) Regimes

In dem geplanten Freihandelsabkommen geht es nicht nur um die kurzfristige Beseitigung von Handelshemmnissen. Geplant ist die Ausdehnung von Strukturen, welche Unternehmen langfristig Macht und Einflussnahme auf die Politik sichern.

Ein Beispiel dafür sind geplante Maßnahmen zum Investorenschutz. Diese Maßnahmen sehen die Ausweitung des sogenannten ISDS Regimes vor. Dabei handelt es sich um ein System von internationalen Schiedsgerichten, vor denen ausländische Unternehmen Nationalstaaten verklagen können, falls deren Gesetzgebung geplante Investitionen behindern und damit Gewinnerwartungen einschränken. Bisher gibt es diese Schiedsgerichte schon im Rahmen von bilateralen Handelsabkommen zwischen einzelnen Staaten. Unter dem Mandat der Weltbank können in Form des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) solche Klagen durchgeführt werden. Auf EU Ebene gilt zum Beispiel für den Bereich der Energiebranche eine besondere Charta, die es in diesem Feld möglich macht, dass Unternehmen Staaten vor dem ICSID verklagen.

Nun soll diese Verfahrensform mit Hilfe von TTIP auf alle Politikbereiche ausgeweitet werden, damit US- amerikanische Unternehmen mehr Investorenschutz genießen. So könnte es also in Zukunft "zur Normalität werden, dass ausländische Konzerne sich Schadensersatz in Milliardenhöhe erstreiten. Vor Gerichten, die kaum jemand kennt und die während ihrer Prozesse niemand beobachten kann", warnt die ZEIT online.[29] Denn die uns bekannten Revisionsmöglichkeiten und Verpflichtungen zur Rechenschaft und Unabhängigkeit der Gerichte gibt es in diesem parallel geschaffenen Rechtssystem nicht. Bei den dort angestellten Richtern und Anwälten handelt es sich um gut bezahlte, private Juristen, die nach Belieben die Seite wechseln können. Da die Schiedsgerichte hinter verschlossenen Türen tagen, ihr Urteil unanfechtbar ist und in aller Regel noch nicht einmal veröffentlicht wird, fehlen sämtliche Faktoren, die die rechtsstaatliche Qualität von Justiz sichern: Transparenz, Überprüfbarkeit, Unabhängigkeit, Verantwortlichkeit.[30]

Wie auch Attac Deutschland warnt, könnte dies verheerende Konsequenzen für demokratische Prozesse haben: So könnte eine solche Einführung des Sonder-Klagerechts für Unternehmen das Machtverhältnis von Staaten und Unternehmen erheblich aus dem Gleichgewicht bringen und eine "disziplinierende Wirkung" auf Regierungen haben. Die Konsequenz wäre dann "lieber auf Verbesserungen im Verbraucherschutz, im Sozial- oder Umweltbereich etc. verzichten, als sich mit Großkonzernen anzulegen."[31]

Als Reaktion auf die Kritik an der geplanten Ausweitung des Investorenschutzes haben Wirtschaftskanzleien und Firmenanwälte am 1. Juli 2014 die European Federation for Investment Law and Arbitration (UFILA) gegründet, um die EU-Politik zum Investorenschutz zugunsten der vorgesehenen Regelungen zu beeinflussen. Auch die Wirtschaftslobby entwickelt neue Initiativen, um das umstrittene Klagerecht für Investoren doch noch durchzusetzen. Diese werden in dem Artikel TTIP: debunking the business propaganda over investor rights vom 3. Juli 2014 auf der Webseite von Corporate Europe Observatory eingehend beschrieben.

Einführung von Konsultationsprozessen in der Gesetzgebung

Im November 2013 veröffentlichte Corporate Europe Observatory ein geleaktes Positionspapier der EU Kommission, in dem Strategien zur regulatorischen Kooperation zwischen den Vertragspartnern beschrieben sind. Ziel dieser Strategie ist es, in Zukunft die Regulierung von handelsrelevanten Politikbereichen, wie zum Beispiel dem Daten-, Verbraucher-, Arbeitnehmer- oder Umweltschutz, in der USA und Europa aneinander anzupassen.[32]

Dies soll unter anderem durch eine Umstrukturierung der Gesetzgebungsprozesse in den relevanten Bereichen geschehen. Vorgeschlagen ist die Einführung von einem beratendem Gremium, in dem Interessenvertreter frühzeitig am Gesetzgebungsprozess beteiligt werden und Eingebungen zu geplanten Regulierungen machen können. Dieses Gremium solle sich "regelmäßig mit den zuständigen Autoritäten treffen und mit ihnen gemeinsam die Initiierung von ordnungspolitischen Maßnahmen oder der Anpassung von schon existierenden Maßnahmen erarbeiten".[33]

Was sich also vielversprechend und nach einer progressiven Initiative für einen besser integrierten transatlantischen Markt anhört, ist zugleich eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie: So hätten Unternehmen in Zukunft die Möglichkeit Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen, lange bevor Parlamente entsprechende Dokumente überhaupt zu Gesicht bekämen. In besagtem Papier ist beschrieben, dass in dem Gremium verschiedene Arten von Interessenvertretern willkommen seien (die Rede ist von "Unternehmen, Konsumenten und Gewerkschaften"). Ulrich Müller von LobbyControl bemerkt hierzu jedoch: "Wer aber die Kräfteverhältnisse im Brüsseler Lobbydschungel kennt, der kennt die große Gefahr, dass hier Unternehmensinteressen und der Einfluss der USA dominieren werden."[34]

Über 170 Organisationen aus der EU und den USA haben in einem an die Verhandlungsführer Froman und de Gucht gerichteten gemeinsamen Brief vom 12. Mai 2014 ihre Bedenken gegen die Einrichtung des beratenden Gremiums vorgetragen.[35]

Unumkehrbarkeit des Abkommens

Ein weiterer kritischer Aspekt des Abkommens ist seine de facto Unumkehrbarkeit. Zwar ist es theoretisch möglich einen solchen Vertrag zu verändern, dies ist jedoch in der Realität kaum umsetzbar: Wie die US- Bürgerrechtlerin und Expertin für Handelsrecht Lori Wallach in einem Artikel der LE Monde diplomatique erklärt, ist das Abkommen "bindend, dauerhaft und praktisch irreversibel, weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden kann". Sie beschreibt demnach das TTIP Projekt als eine neue "Wirtschafts-Nato", welche "dem Monster aus einem Horrorfilm, das durch nichts totzukriegen ist", gleiche.[36]

Weiterführende Informationen

Stellungnahmen

Auf der Webseite der EU-Kommission abrufbare Stellungnahmen

  • Bei der EU-Kommission eingegangene Stellungnahmen sind hier abrufbar.
  • Bei der US-Regierung eingegangene Stellungnahmen sind hier abrufbar.

Auf Webseiten von Verbänden abrufbare Stellungnahmen

Kritische Stellungnahme von über 100 NGOs

Über 100 Organisationen aus Europa und den USA haben in einem öffentlichen Brief ihre Bedenken zum Abkommen geäußert (joint letter of US and EU organisations November 11, 2013)

The Alternative Trade Mandate

Im November 2013 veröffentlichte das Seattle to Brussels Network (S2B)[37] ein von über 50 NGOs erarbeitetes Papier, welches einen alternativen Ansatz zu transatlantischem Handel beschreibt. Diese Alternative zu derzeitigen Handelsstrukturen ist ein Aufruf zu nachhaltigen, fairen und demokratisch gestaltetem Handel. Das Papier ist hier abrufbar.


Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

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Einzelnachweise

  1. Extrarechte für Multis DIE ZEIT online, abgerufen am 08.01.2014
  2. Ulrich Müller: Freihandelsabkommen: Noch mehr Einfluss für Lobbyisten? LobbyControl, abgerufen am 08.01.2014
  3. Antwort der Bundesregierung zu "Offene Fragen zu Verfahren und Inhalten der Verhandlungen zur Schaffung einer transatlantischen Freihandelszone" bundestag.de, abgerufen am 02.01.2014
  4. Pressekonferenz vom 20. Dezember 2013 zu den TTIP-Gesprächen des Office of the United States Representative
  5. Lead Negogiators European Commission
  6. List of Lead Negotiators USTR
  7. Benjamin Fox: EU-US trade deal must have national approval, say MPs, euobserver, 2. Juli 2014, Webseite abgerufen am 14. 8. 2014
  8. Stakeholders and Advisors of the Transatlantic Economic Council, Webseite des U.S. Department of State, letzter Zugriff:6.8.2013
  9. Who’s scripting the EU-US trade deal?, Artikel von Corporate Europe Observatory vom 17. Juni 2013, letzter Zugriff: 6.8.2013
  10. European Commission preparing for EU-US trade talks: 119 meetings with industry lobbyists CEO, aberufen am 14.01.2014
  11. Who lobbies most on TTIP?, Artikel vom 8. Juli 2014, Webseite coporateeurope, abgerufen am 12. 8. 2014
  12. Jannis Brühl: Wie die Gentech-Lobby Freihandelsgespräche ausnutzt, Süddeutsche Zeitung vom 11. November 2013, Webseite SZ, abgerufen am 22. 11. 2013
  13. Ambassador Islam Siddiqui, Chief Agricultural Negotiator, Webseite USTR, abgerufen am 4. 1. 2014
  14. Freihandel für Unternehmen, Intransparenz für die Öffentlichkeit, LobbyControl-Blog vom 1.8.2013, letzter Zugriff: 6.8.2013
  15. Jannis Brühl: Wie die Gentech-Lobby Freihandelsgespräche ausnutzt, Süddeutsche Zeitung vom 11. November 2013, Webseite SZ, abgerufen am 22. 11. 2013
  16. TAFTA - die große Unterwerfung Le Monde diplomatique, abgerufen am 08.01.2014
  17. Leaked European Commission PR strategy: "Communicating on TTIP" CEO, abgerufen am 08.01.2014
  18. EU will Gegnern Wind aus den Segeln nehmen Handelsblatt online, abgerufen am 08.01.2014
  19. [1] Website des Europäischen Parlaments, abgerufen am 24.04.2014
  20. Von transatlantischem Freihandelsabkommen profitieren alle Bundesländer, Branchen und Einkommensgruppen Bertelsmann-Stiftung vom 04.10.2013, abgerufen am 04.10.2013
  21. Studie: TTIP and the Fifty States - Jobs and Growth from Coast to Coast Bertelsmann Foundation, abgerufen am 26.02.2014
  22. Studie: Atlantische Einheit im weltweiten Wettbewerb - T-Tip in Perspektive DB Research, abgerufen am 26.02.2014
  23. USA und gesamte EU würden von transatlantischem Freihandelsabkommen erheblich profitieren Bertelsmann-Stiftung vom 17.06.2013, abgerufen am 18.06.2013
  24. Mitgliedstaaten billigen bilaterale Handels- und Investitionsverhandlungen zwischen der EU und den USA Webseite EU-Kommission MEMO/13/564 15/06/2013, abgerufen am 05.12.2013
  25. Studie: Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment - An Economic Assessment Webseite EU-Kommission, abgerufen am 05.12.2013
  26. Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA Webseite ifo Institut, abgerufen am 15.01.2014
  27. Jens Berger: Freihandelsstudie – Scharlatanerie im pseudowissenschaftlichen Gewand Nachdenkseiten, abgerufen am 15.01.2014
  28. Dierk Hirschel: Wem nützt der Freihandel?, Der Freitag vom 14. Juli 2014, Webseite Der Freitag, abgerufen am 14. 8. 2014
  29. Extrarechte für Multis ZEIT online, abgerufen am 14.01.2014
  30. Andreas Zielcke: Transatlantisches Freihandelsabkommen TTIP Sieg über das Gesetz, Süddeutsche Zeitung vom 3. Mai 2014, Webseite Süddeutsche Zeitung, abgerufen am 3. 5. 2014
  31. Vorsicht Falle Attac Deutschland Flyer, abgerufen am 14.01.2014
  32. Leaked proposal for EU-US trade deal increases business power in decision-making CEO Pressemitteilung, abgerufenam 10.01.14
  33. Position paper – Chapter on Regulatory Coherence geleaktes Positionspapier der EU Kommission, abgerufen am 10.01.2013
  34. Freihandelsabkommen: Noch mehr Einfluss für Lobbyisten? Blog LobbyControl, abgerufen am 10.01.14
  35. Gemeinsamer Brief von über 170 TTIP-kritschen Organisationen vom 12. Mai 2014 an die Verhandlungsführer Froman und de Gucht, Webseite sensiblesafeguard, abgerufen am 19. 8. 2014
  36. Wallach: TAFTA - die große Unterwerfung LE MONDE diplomatique, aberufen am 14.01.2014
  37. Seattle to BrusselNetwork S2B, abgerufen am 14.01.2014

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