Frontex
Die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache, Frontex, ist ein Exekutivorgan der Europäischen Union. Frontex unterstützt die Mitgliedsstaaten des Schengenraums bei der Verwaltung der EU-Außengrenze und bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität.[1]
Frontex wird für ihre Nähe zur Sicherheitswirtschaft kritisiert. Weil Frontex eine Vermittlerinnenrolle zwischen Industrie und nationalen Grenzsicherheitsbehörden einnimmt, ist sie das Ziel von Lobby-Einflüssen. In der Vergangenheit gab es häufige und intransparente Treffen mit Rüstungsunternehmen über die Frontex gegenüber dem Europäischen Parlament Falschangaben machte. Auch Frontex Materialbeschaffung und Auftragsvergabe wurden kritisiert.
Inhaltsverzeichnis
Kurzdarstellung und Geschichte
Frontex wurde im Jahr 2004 gegründet, um die Mitgliedsstaaten des Schengenraums bei der Verwaltung der EU-Außengrenze und bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität [1] zu unterstützen. Mandat und Budget von Frontex wurden seitdem mehrmals erweitert.
Zu Beginn verfügte Frontex über ein Budget von 5,5 Mio. Euro. Im Jahr 2024 betrug das Budget bereits 922 Mio.[2] Euro und wird voraussichtlich bis auf 1,27 Mrd. Euro im Jahr 2027 ansteigen[3].
Das Mandat von Frontex wurde im Jahr 2019 umfassend erweitert. Die Mandatserweiterung beinhaltet unter anderem eine stehende Reserve von Einsatzkräften, die bis zum Jahr 2027 10.000 Beamte umfassen soll, technische und operative Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei Rückführungen sowie die Möglichkeit, Frontex-Beamte in Nicht-EU-Staaten einzusetzen[4].
Struktur
Frontex ist gegenüber dem Europäischen Parlament und den nationalen Grenzsicherungsbehörden rechenschaftspflichtig [5]. Ihr Mandat, ihre Rechte und Pflichten sind in der Regulierung 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates geregelt [6].
Frontex wird von einem Verwaltungsrat geführt. Dort sind die Grenzsicherungsbehörden der Schengenstaaten und die EU-Kommission vertreten. Der Verwaltungsrat bestimmt über das Budget von Frontex und wählt den geschäftsführenden Direktor und dessen Stellvertretung[7].
Der geschäftsführende Direktor setzt die strategischen Entscheidungen des Verwaltungsrats um, entscheidet über operative Einsätze, ist für die Verwaltung der Behörde verantwortlich und sorgt für die Umsetzung der in den EU-Verordnungen und vom Verwaltungsrat festgelegten Aufgaben[8].
Frontex als Ziel von Lobby-Einflüssen
Frontex beschafft eigenständig Material, gibt Empfehlungen zur Harmonisierung des EU-Grenzmanagements ab und fördert Forschungsprojekte, die für die Grenzsicherung relevant sind[9]. Zudem nimmt Frontex eine Vermittlerinnenrolle zwischen nationalen Behörden und der Industrie ein [10]. Interessenvertreter:innen der Industrie versuchen deshalb von Beschaffungsaufträgen und Forschungsförderung zu profitieren sowie über Frontex Zugang zu nationalen Behörden zu erhalten.
- Frontex wurde wiederholt für ihre Nähe zur Industrie kritisiert. Lobbyist:innen der Sicherheitsindustrie versuchen über Frontex neue Technologien in der europäischen Grenzsicherung zu etablieren[11]. Laut dem Politologen und Migrationsforschers Nick Vaughan-Williams, ist die Politik und Praxis von Frontex stark beeinflusst von neuen Produkten der Sicherheitswirtschaft[12]. Von NGOs und Journalist:innen wird Frontex‘ Beschaffungspolitik und ihr Verhältnis zur Wirtschaft deshalb als „angebotsorientiert“ kritisiert[13]. Im Jahr 2023 gab Frontex mehrere hundert Millionen Euro für Dienstleistungen und Material aus[14] .
- Frontex unterstützt die EU-Kommission bei der Vergabe von Fördermitteln für Forschungsprojekte im Bereich Überwachungstechnologie und Grenzsicherung[15]. Durch die Förderprogramme Forschungsrahmenprogramm 7, Horizont 2020 und Horizont Europa wurden seit 2008 372 Mio. Euro Fördermittel im Bereich Grenzsicherung vergeben. Am häufigsten wurden Projekte großer Rüstungskonzerne wie Thales, Leonardo und Indra gefördert[16].
- Frontex nimmt zwischen den nationalen Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten und der Sicherheitsindustrie eine Vermittlerinnenrolle ein. Die Agentur veranstaltet regelmäßig Konferenzen und Treffen, bei denen Vertreter:innen der Industrie ihre Produkte vorstellen und sich mit Beamt:innen von Frontex und nationalen Behörden vernetzen. Die organisierten Konferenzen ähneln dabei oft Verkaufsmessen, auf denen Vertreter:innen der Industrie ihre Produkte den Polizei- und Grenzschutzbehörden der EU-Mitgliedsstaaten und damit ihren potentiellen Kunden vorstellen können[11] und diesen bereits fertige Produktkataloge präsentieren. Die Veranstaltungen und Konferenzen sind oft einseitig auf die Interessen der Wirtschaft ausgerichtet, während NGOs und Menschenrechtsorgnisationen nicht- oder stark unterrepräsentiert sind[11].
Lobby-Fälle und Kritik
Frontex führte 2021 nach anhaltender Kritik an intransparenten Lobbykontakten ein Transparenzregister ein, in dem Treffen mit Lobbyist:innen öffentlich gemacht werden[17].
Falschangaben gegenüber dem EU-Parlament
2019 machte Frontex gegenüber dem Europäischen Parlament, dem die Agentur Rechenschaft schuldig ist, Falschangaben über ihre Beziehung zu Lobbyist:innen. Frontex behauptete, sich nur mit Lobbyist:innen zu treffen, die im europäischen Transparenzregister eingetragen sind. Zudem habe es im Jahr 2017 gar keine Treffen mit Lobbyist:innen gegeben[18]. Durch Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz stellte sich beides als unwahr heraus. 2017 traf sich Frontex viermal mit Lobby-Vertreter:innen, von denen 58% nicht im EU-Transparenzregister registriert waren. In den Jahren 2018 und 2019 waren sogar 72% der getroffen Lobbyist:innen nicht registriertReferenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>
: Der Parameter „name“ darf kein reiner Zahlenwert sein. Benutzen Sie einen beschreibenden Namen.[1] frontexfiles.eu, abgerufen am 17.10.2024</ref>.
Häufige Treffen mit der Rüstungs- und Sicherheitswirtschaft
Die Informationen zu Lobby-Treffen von Frontex, welche durch das Informationsfreiheitsgesetz bekannt geworden sind, zeigen ein sehr unausgewogenes Bild der Interessenvertretung. Von 138 Treffen mit privaten Institutionen, die Frontex von 2017 bis 2019 abhielt, waren 108 mit Firmen, jedoch nur ein einziges Treffen mit einer NGO. Menschenrechtsorganisationen waren gar nicht vertreten. Große multi-nationale Rüstungskonzerne wie Airbus und Leonardo hatten mit jeweils fünf Treffen am häufigsten Zugang zu Frontex [18]
Treffen mit Waffenherstellern zur Beschaffung von Handfeuerwaffen trotz ungeklärter Rechtsfragen
2019 initiiertedie AgenturFrontex einen zweitägigen „Industriedialog“[19] bei dem sie mehrere Waffenhersteller einlud, die ihre Produkte vorstellten. Durch das neue Mandat[20] durften Frontexbeamte zu diesem Zeitpunkt zwar seit wenigen Monaten Waffen tragen, aber es gab noch große Unklarheiten, ob dies mit den nationalen Gesetzen der Mitgliedsstaaten vereinbar sei[21]. Auch über ein Jahr nach dem Treffen waren diese rechtlichen Probleme noch nicht geklärtReferenzfehler: Für ein <ref>
-Tag fehlt ein schließendes </ref>
-Tag.. Die ausstellenden Firmen waren zuvor nicht öffentlich genannt worden[22].
Vergabe von Aufträgen an Firma unter Betrugsverdacht
2023 vergab Frontex einen Auftrag an einen polnischen Reisedienstleister, obwohl dieser unter Betrugsverdacht stand[23].Derselbe Dienstleister fiel bereits zuvor mit möglicherweise überhöhten Abrechnungen auf[24]. 2021 wurde Frontex deshalb von einem Experten für Wirtschaftskriminalität vor dem Anbieter gewarnt. Auch Ermittlungen der EU-Anti-Betrugs-Behörde OLAF ergaben Hinweise auf Betrug. Trotzdem erhielt der Anbieter 2023 wieder einen Auftrag von Frontex. Die Kooperation wurde nach öffentlicher Kritik erst kurz vor Beginn der Zusammenarbeit durch den Exekutiv-Direktor beendet[25].
- ↑ 1,0 1,1 Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache european-union.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Budget der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Statista.com, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Border budgets and beneficiaries – after the EP elections Stopwapenhandel.org, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Europäische Grenz- und Küstenwache: Rat bestätigt Einigung über stärkeres Mandat consilium.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Accountability frontex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Regulation (EU) 2019/1896 eur-lex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Management Board frontex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Wer wir sind frontex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Forschung und Innovation frontex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Lobbying Fortress Europe corporateeurope.org, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ 11,0 11,1 11,2 The Business of Building walls tni.org, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Nick Vaughan-Williams, Europe’s border crisis: Biopolitical security and beyond, Oxford University Press, Oxford, 2015
- ↑ Border Wars tni.org, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Procurement Plan statewatch.org, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ Frontex to provide border security expertise to European Commission’s research projects frontex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [2] Open Security Data Europe, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [3] Transparency register, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ 18,0 18,1 [4] fragdenstaat.de, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [5] fragdenstaat.de, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [6] eur-lex.europa.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [7] Guns, guards and guidelines: reinforcement of Frontex runs into problems, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [8] ebcgday.eu, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [9] Welt.de, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [10] Welt.de, abgerufen am 17.10.2024
- ↑ [11] Welt.de, abgerufen am 17.10.2024