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Wirecard

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Wirecard AG
Branche Finanzdienstleistungen
Hauptsitz Einsteinring 35

85609 Aschheim bei München, Deutschland

Lobbybüro Deutschland
Lobbybüro EU
Webadresse wirecard.com


Die Wirecard AG ist ein deutsches Finanzdienstleistungsunternehmen („Fintech-Konzern“), das sich auf die bargeldlose Zahlungsabwicklung von Online-Glücksspielen und Onlinehandel, den elektronischen Zahlungsverkehr mit Kreditkarten sowie im Bereich des Risikomanagements spezialisiert hat und international tätig ist. Das Unternehmen wurde 1999 gegründet und dessen Tochterunternehmen, die Wirecard Bank AG, besitzt seit 2006 eine Banklizenz in Deutschland. Im September 2018 stieg Wirecard in den Deutschen Aktienindex (DAX) auf [1] und besaß Ende des Jahres einen Börsenwert von 16,4 Milliarden Euro. [2]

Ein milliardenschwerer Bilanzskandal und schwerwiegende Täuschungsvorwürfe brachten Wirecard im Juni 2020 in die Schlagzeilen. Wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young mitteilte, gab es keine ausreichenden Prüfungsnachweise für Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro. [3] Aufgrund von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung stellte Wirecard am 25. Juni 2020 einen Insolvenzantrag. [4] Erst im Zuge des Skandals stellte sich heraus, dass Aktionäre, Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und Politiker*innen jahrelang getäuscht wurden.

Mit einem Lobbynetzwerk aus ehemaligen Spitzenpolitikern und Beamten war es dem Unternehmen möglich, Gespräche und Kontakte ins Finanzministerium und ins Bundeskanzleramt herzustellen. In der Kritik stand unter anderem ein Treffen des ehemaligen Wirtschafts- und Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), bei welchem er bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für Wirecards Expansionspläne nach China lobbyierte. [5]

Lobbystrategien und Einfluss

Lobbyarbeit für die Deregulierung von Online-Glücksspielen

Wirecard hatte sich jahrelang für eine weniger strikte Regulierung von Glücksspielen in Deutschland eingesetzt. Im Zusammenhang damit stehen mehrere Treffen zwischen der Vorstandsebene des Konzerns und Politikern. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, sei der Kontakt zwischen Wirecard und dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (CDU), erstmals im Februar 2014 durch die Anwaltskanzlei Hambach & Hambach zustande gekommen. Der Rechtsanwalt Wulf Hambach, welcher seit längerem als Berater für Wirecard tätig war, habe Carstensen bei Wirecard ins Gespräch gebracht. Carstensen bestätigte ein Treffen mit Hambach, dem Vorstandschef von Wirecard Burkhard Ley und dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). In Hessen habe man eine Öffnung des Glücksspielmarktes und einen milderen Umgang mit illegalen Anbietern gefordert. Wirecard habe zudem geplant, zentrale Aufgaben bei der Zahlungsabwicklung von Online-Glücksspielen zu übernehmen. In einer Mail an Vorstandschef Ley schrieb Hambach zudem, dass Carstensen den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), „sehr gut“ kenne. Die Lottogesellschaften in Baden-Württemberg unterstützen die Blockade von Zahlungsdienstleistern illegaler Online-Casinos, weshalb Hambach ein Treffen mit Kretschmann als „lohnend“ bezeichnete. Ob es zu dem Treffen kam, ist jedoch nicht bekannt. [6] [7]

Carstensen vermittelte zudem den Kontakt zu dem damaligen EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger (CDU). In einer Mail an Oettinger gab Carstensen die Handynummer von Wirecard-Vorstandschef Ley weiter. Das Treffen mit Ley, Hambach und Oettinger fand 2015 statt. Oettinger gab an, sich an den Inhalt und weitere Teilnehmer des Treffens nicht erinnern zu können. [8]

Weiterhin berichtete Carstensen über ein Treffen mit Ley und dem damaligen Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz (SPD). Anlass dessen sei ein Gespräch über Suchtprävention im Glücksspiel gewesen. Weder Ley noch Scholz äußerten sich zu dem Treffen. Carstensen hingegen bestritt, von Wirecard oder der Anwaltskanzlei Hambach & Hambach bezahlt worden zu sein. Er sei nie als Lobbyist für Wirecard tätig gewesen, so Carstensen. [9]

Auch die Beratungsagentur Von Beust & Coll. des ehemaligen Bürgermeisters von Hamburg, Ole von Beust, arbeitete jahrelang mit Wirecard zusammen. Im November 2019 wurde der Beratungsvertrag zuletzt erneuert. [[Von Beust & Coll.] hatte Wirecard angeboten, „zurückhaltend und gezielt“ Kontakte anzubahnen und „Politiker zu identifizieren“, die für die Belange deutscher Banken beim Thema Online-Glücksspiel „aufgeschlossen und aktivierbar“ seien. Von Beust arbeitete zuvor auch für den Deutschen Toto-Lotto-Block. [10] [11]

Lobbyismus im Kanzleramt: Wirecards Expansionspläne nach China

Wirecards „Aktionsplan Leerverkäufe“

Die PR-Agentur Edelman beriet Wirecard in Kommunikationsfragen und schlug dem Wirecard-Chef Markus Braun im März 2020 einen „Aktionsplan Leerverkäufe“ vor. Hintergrund dessen war, dass Börsenspekulanten seit längerem öffentlich auf Bilanzfehler von Wirecard hingewiesen hatten. Dies befeuerte Wetten auf fallende Kurse von Wirecard, sogenannte Leerverkäufe, die im Sinne des Unternehmens verboten werden sollten, weil damit das Misstrauen in Wirecard gewachsen wäre. Schon 2019 hatte ein befristetes Verbot von Leerverkäufen dem Unternehmen kurzzeitig geholfen. [12] Der Aktionsplan enthielt unter anderem den Vorschlag, dass Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), welcher selbst für Edelman tätig war, einen Gastbeitrag in der FAZ oder der Welt zu diesem Thema schreiben könne. Kurz darauf erschien unter dem Titel „Ein Virus namens Leerverkäufe“ ein Gastkommentar von Guttenberg in der FAZ , welcher eindeutige Ähnlichkeiten mit der Argumentationslinie des vorgeschlagenen Aktionsplans aufwies. [13] Guttenberg bestritt dennoch, den Artikel im Auftrag von Wirecard verfasst zu haben. Ausgangspunkt des Artikel sei seine Sorge gewesen, „dass über Leerverkäufe deutsche Unternehmen plötzlich zu Übernahmezielen und Übernahmekandidaten werden könnten“. [14]

Über die Agentur Edelman wurde auch der ehemalige Chefredakteur der BILD, Kai Diekmann, für Wirecard tätig. In der Mail von Rüdiger Assion, dem Managing Director von Edelmann, in welcher er dem Wirecard-Management den „Aktionsplan Leerverkäufe“ vorschlägt, wird Diekmann ebenfalls als Kontakt aufgeführt. [15] In einer anderen Mail bekundet Diekmann dem Firmenchef Markus Braun sein Engagement für Wirecard: „wann immer Sie etwas auf dem Herzen haben sollten, bin ich jederzeit verfügbar“. Wie sich später herausstellte, kontaktierte Diekmann zwei Staatssekretäre im Finanzministerium, um sich für ein Verbot von Leerverkäufen einzusetzen. [16] [17]

Wirecards Lobbynetzwerk

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Fallbeispiele und Kritik

2017: Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen die Wirecard Bank

Neben Geldinstituten wie der DZ-Bank, der Postbank und der Hypovereinsbank, die Gelder für illegale Glücksspielangebote entgegennahmen, enthüllten die Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung im November 2017 im Rahmen der „Paradise Papers“, dass die Wirecard Bank Konten für Glücksspielanbieter wie OCG International Limited und Tipico führte, bei denen Gewinne aus illegalem Online-Glücksspiel an deutsche Kunden ausgezahlt wurden. Dies sei jedoch ein Verstoß gegen den Glücksspielstaatsvertrag. Nach Einschätzung des niedersächsischen Innenministeriums, das im Auftrag der übrigen Bundesländer die Zahlungsströme an illegale Glücksspielanbieter überwacht, sowie nach der Einschätzung mehrerer Banken- und Strafrechtsexperten, könne sich die Wirecard Bank deshalb der Beihilfe von unerlaubtem Glücksspiel und der Geldwäsche strafbar gemacht haben. NDR und die Süddeutsche Zeitungkritisierten vor allem die Bundesfinanzmarktaufsicht (BaFin) dafür, seit Jahren über die Problematik informiert, aber nicht aktiv geworden zu sein. [18] [19] [20] Ermittlungen gegen die Wirecard Bank wurden daraufhin von der Staatsanwaltschaft München eingeleitet. [21] [22]

2015: Die Financial Times erhebt Vorwürfe über Unstimmigkeiten in Wirecards Bilanzen

Seit April 2015 schrieb der Journalist Dan McCrum von der Financial Times in der Blogserie „House of Wirecard“ über Unstimmigkeiten in den Bilanzen von Wirecard. Darin wird auch deutlich, dass der Aufsichtsrat von Wirecard bereits seit 2008, durch den Hinweis eines ehemaligen Vorstandsmitglieds, über Fehler in der Buchhaltung informiert war. [23] [24]

Eine Chronologie der Ereignisse des Wirecard-Skandals

  • November 2018: Die Staatsministerin im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), nimmt bei einer Betriebsbesichtigung bei Wirecard teil. Kurz darauf kontaktierte Wirecard das Bundeskanzleramt für einen Gesprächstermin zwischen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem Wirecard-Vorstandschef Markus Braun. [25] [26]
  • Januar 2019: Aufgrund interner Bedenken zu Wirecard wird in einer Vorlage des Bundeskanzleramts von einem Treffen zwischen Merkel und Braun abgeraten. Merkels Leiter im Bundeskanzleramt für die Wirtschafts- und Finanzabteilung, Lars-Hendrik Röller, stellt sich stattdessen für das Treffen mit Wirecard-Chef Braun zur Verfügung. [27]
  • Februar 2019: Das Bundesfinanzministerium wird darüber informiert, dass die Finanzaufsichtsbehörde BaFin den Fall Wirecard aufgrund von Verdacht des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation untersuchte. [28]
  • August 2019: Der ehemalige Staatssekretär im Bundeskanzleramt und BND-Beauftragter, Klaus-Dieter Fritsche (CSU), wendet sich an das Bundeskanzleramt, um ein Gespräch zwischen dem Wirtschafts- und Finanzabteilungsleiter Lars-Hendrik Röller und Wirecard zu vermitteln. [29] [30][31] Trotz der seit August 2019 nachweislich im Bundeskanzleramt bekannten Vorwürfe gegen Wirecard, fand das Treffen im September 2019 statt.
  • 3.September 2019: Der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) lobbyiert bei einem Treffen mit Merkel für Wirecards Expansionspläne nach China. [32]
  • 6.-7.September 2019: Nach dem Lobbygespräch mit Guttenberg setzt sich Merkel auf ihrer China-Reise für Wirecard ein. [33]
  • April 2020: Guttenberg veröffentlicht seinen Gastbeitrag bei der FAZ, in welchem er für ein Verbot von Leerverkäufen wirbt. [35]

Weiterführende Informationen

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

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Einzelnachweise

  1. Wirecard löst Commerzbank im Dax ab zeit.de, vom 06.09.2018, abgerufen am 11.11.2021
  2. Marktkapitalisierung von Wirecard in den Jahren 2013 bis 2018 de.statista.com, abgerufen am 11.11.2021
  3. Wirecard AG: Veröffentlichungstermin für Jahres- und Konzernabschluss 2019 verschoben wegen Hinweisen auf Vorlage unrichtiger Saldenbestätidungen wirecard.com, vom 18.06.2020, abgerufen am 11.11.2021
  4. Wirecard AG: Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wirecard.com, vom 25.06.2020, abgerufen am 11.11.2021
  5. Wirecard Skandal: Die Wahrheit über den Absturz |frontal ZDFheute Nachrichten, youtube.com, vom 23.09.2020, abgerufen am 11.11.2021
  6. Nord-Politiker lobbyierten für Wirecard ndr.de, vom 28.01.2021, abgerufen am 11.11.2021
  7. Wirecard schickte Politiker auf Lobby-Tour tagesschau.de, vom 28.01.2021, abgerufen am 11.11.2021
  8. [ebd.]
  9. [ebd.]
  10. [ebd.]
  11. Nord-Politiker lobbyierten für Wirecard ndr.de, vom 28.01.2021, abgerufen am 11.11.2021
  12. Der Mann, der Wirecard jagte sueddeutsche.de, vom 02.02.2021, abgerufen am 13.11.2021
  13. Zweifel an Guttenbergs Glaubwürdigkeit tagesschau.de, vom 12.01.2021, abgerufen am 13.11.2021
  14. Deutscher Bundestag: Beschlussempfehlung und Bericht des 3. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperiode gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes, S. 514 dserver.bundestag.de, vom 22.06.2021, abgerufen am 13.11.2021
  15. Hat Guttenberg den Wirecard-Ausschuss belogen? spiegel.de, vom 12.01.2021, abgerufen am 13.11.2021
  16. Wirecard-Untersuchungsauschuss / Welche Rolle hatte Kai Diekmann im Finanzskandal? deutschlandfunk.de, vom 11.02.2021, abgerufen am 13.11.2021
  17. Ein "Honigtopf" für Ehemalige tagesschau.de, vom 29.01.2021, abgerufen am 13.11.2021
  18. Die deutschen Banken und das Online-Glücksspiel tagesschau.de, vom 07.11.2017, abgerufen am 13.11.2021
  19. Wie deutsche Banken systematisch illegale Online-Kasinos unterstützen sueddeutsche.de, vom 07.11.2017, abgerufen am 13.11.2021
  20. Verdacht gegen mehrere deutsche Banken faz.net, vom 07.11.2017, abgerufen am 13.11.2021
  21. Glücksspiel und Geldwäsche versetzen Banken in Aufruhr sueddeutsche.de, vom 30.11.2017, abgerufen am 13.11.2021
  22. Weniger Casino, mehr Kontrolle tagesschau.de, vom 30.11.2017, abgerufen am 13.11.2021
  23. Der Betrug bei Wirecard soll schon vor 15 Jahren begonnen haben handelsblatt.com, vom 28.07.2020, abgerufen am 13.11.2021
  24. Manager wies Vorstand schon 2008 auf frisierte Bilanzen hin tagesspiegel.de, vom 28.07.2020, abgerufen am 13.11.2021
  25. Auch Ex-Geheimdienstbeauftragter Fritsche lobbyierte im Kanzleramt spiegel.de, vom 22.07.2020, abgerufen am 16.12.2021
  26. Schriftverkehr: Wirecard-Braun-Roeller fragdenstaat.de, abgerufen am 16.12.2021
  27. [ebd.]
  28. Medienbericht: Kanzleramt war frühzeitig über Wirecard informiert wiwo.de, vom 21.07.2020, abgerufen am 16.12.2021
  29. Auch Ex-Geheimdienstbeauftragter Fritsche lobbyierte im Kanzleramt spiegel.de, vom 22.07.2020, abgerufen am 16.12.2021
  30. Wirecard und der Ex-Geheimdienstkoordinator daserste.ndr.de, vom 22.07.2020, abgerufen am 16.12.2021
  31. "Leichtgewicht" Fritsche verteidigt Lobbyarbeit für Wirecard br.de, vom 15.04.2021, abgerufen am 16.12.2021
  32. Kanzleramt setzte sich für Wirecard ein spiegel.de, vom 17.07.2020, abgerufen am 16.12.2021
  33. [ebd.]
  34. Auch Ex-Geheimdienstkoordinator Fritsche warb für Wirecard reuters.com, vom 22.07.2020, abgerufen am 16.12.2021
  35. Ein Virus namens Leerverkäufe faz.net, vom 02.04.2020, abgerufen am 16.12.2021

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