Intergroups

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Version vom 17. August 2012, 14:58 Uhr von Tilo (Diskussion | Beiträge) (Fallstudien und Kritik)
Intergroups (Interfraktionelle Arbeitsgruppen) im EU-Parlament
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Intergroups (dt.: Interfraktionelle Arbeitsgruppen) sind informelle Arbeitsgruppen im Europäischen Parlament. Intergroups werden von Abgeordneten fraktions- und parteiübergreifend zu einer bestimmten Thematik gebildet - sind jedoch keine Organe des Parlaments und können nicht in dessen Namen sprechen. An den Treffen von Intergroups nehmen nicht nur Abgeordnete teil, sondern auch Vertreter von Unternehmen, Organisationen und Verbänden, um informell Meinungen auszutauschen. Es ist zu unterscheiden zwischen offiziellen, beim EU-Parlament registrierten Intergroups und inoffiziellen, nicht-registrierten Intergroups.

Kurzdarstellung und Geschichte

Die Möglichkeiten und Bedingungen zur Bildung von interfraktionellen Arbeitsgruppen sind von der Konferenz der Präsidenten am 16. Dezember 1999 geschaffen worden (und wurden zuletzt am 14. Februar 2008 geändert). Dabei wurde festgelegt, unter welchen Bedingungen interfraktionelle Arbeitsgruppen zu Beginn jeder Wahlperiode gebildet werden können, welchen Zweck diese verfolgen und wie sie in ihren Tätigkeiten ausgestaltet sind.[1] An der Konferenz nahmen neben dem jeweiligen Präsidenten bzw. der jeweiligen Präsidentin des Europäischen Parlaments sämtliche Fraktionsvorsitzenden des Parlaments, sowie der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union und diverse andere Repräsentanten der EU teil.[2]

Die Zahl der Intergroups variiert in jeder Legislaturperiode. Derzeit gibt das Europäische Parlament die Zahl der Intergroups auf einer veröffentlichten Liste mit 27 an (Stand: August 2012).[3] Intergroups tragen u.a. Namen wie "Handelsunion", "Tibet", "Wasser", "Jakobsweg", "Luft und Raumfahrt", "Klimawandel, Biodiversität und nachhaltige Entwicklung" oder "Neue Medien" und "Jugendangelegenheiten".

Allerdings ist diese Liste nicht vollständig und die tatsächliche Zahl dürfte um einiges höher liegen. So werden beispielsweise die in Brüssel sehr aktiven Intergroups "Forum für Automobil und Gesellschaft"" (engl.: "Forum for the Automobile and Society") und "Finanzdienstleitungen" ("European Parliamentary Financial Services Forum" (EPFSF)) nicht in der Liste aufgeführt. Weiterhin fehlen u.a. die "European Internet Foundation" sowie das "Europäische Energieforum".
Die lobbykritische Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory geht von mindestens 15 nicht registrierten Intergroups aus, schätzt jedoch, dass die tatsächliche Zahl solcher Intergroups noch höher liegt.[4] Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass sich nicht jede "Arbeitsgruppe", in der Abgeordnete verschiedener Fraktionen mit Wirtschaftsvertetern und -lobbyisten informell zusammensitzen, auch offiziell als "Intergroup" beim Europäischen Parlament registrieren muss. Die diesbezüglichen Regelungen sind nur unzureichend konkretisiert und bieten ausreichend Schlupflöcher. Aus diesem Grund existiert momentan eine faktisch unüberschaubare Zahl an "Intergroups" - doch nur wenige dieser Gruppen sind auch als solche beim Europäischen Parlament registriert.[5]
Intergroups, welche nicht beim Europäischen Parlament registriert sind, unterliegen nicht den Vorgaben des EU-Parlaments und sind deshalb nicht verpflichtet ihre finanziellen Interessen offenzulegen. Auf den Websites inoffizieller Intergroups werden nur in den seltensten Fällen Angaben über Finanzierung und Ausgaben der Gruppenaktivitäten gemacht.
Dadurch ist keinerlei Transparenz gewährleistet und mögliche finanzielle Vorteilnahmen durch politische Entscheidungsträger oder sonstige materielle Beeinflussungen von diesen durch Lobbyakteure kann kaum effektiv kontrolliert werden.

Organisationsstruktur und Arbeitsweise

Es werden die Unterschriften von Parlamentarier/-innen aus mindestens drei verschiedenen Fraktionen benötigt, um eine offizielle, beim EU-Parlament registrierte, Intergroup zu bilden. Dabei ist die Anzahl der jeweiligen Fraktionsabgeordneten, welche zur Gründung einer Intergroup nötig sind, abhängig von einem festgelegten Zusammensetzungsschlüssel, der die Größe der Parlamentsfraktionen berücksichtigt. Es gibt keine verbindliche oder einheitliche Organisationsstruktur für Intergroups. Sie müssen jedoch über einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende verfügen und ihre finanziellen Zuwendungen anzeigen. Intergoups tagen meistens während der Sitzungsperioden des Europäischen Parlaments, dürfen jedoch, da sie keine offiziellen Organe des Parlaments sind, sondern informelle Zusammenschlüsse, keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen.

Einflussnahme und Lobbystrategien

Intergroups finanzieren sich häufig durch eine Mischung aus Geldmitteln, die sich aus EU-Förderprogrammen, Stiftungen oder Mittelzuflüssen durch Spenden und Organisationen zusammensetzen.[6] Sie erhalten allerdings auch Unterstützung durch das Europäische Parlament, indem es den verschiedenen Intergroups Konferenzräume zur Verfügung stellt oder die Fraktionen Übersetzer bereitstellen.
Die Finanzierung der einzelnen Intergroups ist zum Teil sehr undurchsichtig. Zwar muss jede Intergroup eine regelmäßig zu aktualisierende "Erklärung über finanzielle Interessen" beim Präsidenten des Europäischen Parlaments einreichen - welche sodann veröffentlichet wird - doch finden sich nicht alle Intergroups in der vom EU-Parlament veröffentlichten Liste über Zahl und Namen aktueller Intergroups.[7] Dokumente über die Finanzierung von jenen Intergroups, welche in dieser Liste nicht aufgeführt sind, bleiben somit unzugänglich und können nicht von der Öffentlichkeit überprüft werden.

Ein typischer Weg der Einflussnahme von Unternehmen und Verbänden auf offizielle politische Akteure erfolgt über Veranstaltungen, welche im Rahmen der Intergroups organisiert werden - sogenannte "Arbeitsfrühstücks", Geschäftsessen inklusive "Expertenvorträgen", Abendessen samt "Themendebatten", Cocktailabende, Exkursionen oder "Weiterbildungsseminare" für Mitarbeiter der EU-Abgeordneten. Die Kosten dieser Veranstaltungen tragen die Unternehmen und Verbände.[8]

Im Folgenden werden einige Beispiele anderweitiger Verstrickungen von politischen Entscheidungsträgern und Verbänden bzw. Unternehmen in registrierten wie auch unregistrierten Intergroups beispielhaft vorgestellt:

  • Die registrierte Intergroup zum Thema "Luft- und Raumfahrt" lässt sich ihr Sekretariat durch die Europäische Vereinigung der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie (ASD) bereitstellen.[9]
  • Das "Forum für Automobil und Gesellschaft" ist eine nicht-registrierte Intergroup, deren Aktivitäten vom Brüsseler Büro des internationalen Automobilverbandes (FIA) aus geleitet werden.
  • Die Intergroup "European Internet Foundation" (EIF) ist gleichfalls nicht registriert. In ihr finden sich neben zahlreichen Europaabgeordneten viele Vertreter großer Internetunternehmen wie Apple, Google, Amazon und Facebook. Die Intergroup wird nach eigenen Angaben ausschließlich durch die Mitgliedsunternehmen finanziert.[10]
  • Die nicht registrierte Intergroup "The Forum in the European Parliament for Construction" (FOCOPE) bekennt auf ihrer Website öffentlich, dass es ihr Anliegen ist auf Gesetzgebungsprozesse über die Beeinflussung von Politikern einzuwirken.[11]

Diese Beispiele machen deutlich, warum viele kritische NGOs Intergroups als Vehikel sehen, die Unternehmensinteressen ins Europäische Parlament bringen.

Seitenwechsler

  • Die finnische Europaabgeordnete Piia-Noora Kauppi hatte bis 2008 den Vorsitz der Intergroup "Finanzdienstleistungen " ("European Parliamentary Financial Services Forum" (EPFSF) inne, bis sie 2008, direkt im Anschluss an ihr Ausscheiden aus dem Europäischen Parlament, als Bankenlobbyistin für die "Federation of Finnish Financial Services" tätig wurde.
  • Seit Oktober 2011 arbeitet die ehemalige SPD-Europaabgeordnete Erika Mann für Facebook im 2011 eröffneten Brüsseler Büro des Konzerns als Lobbyistin.[12] Bis 2009 war Mann als EU-Abgeordnete u.a. Mitglied der Intergroup "European Internet Foundation". Manns ehemalige Assistentin, Eva-Maria Kirschsieper, arbeitet heutzutage als Lobbyistin für Facebook in Berlin.

Verbindungen

  • Die beiden nichtregistrierten Intergroups European Internet Foundation und Transatlantic Policy Network wurden maßgeblich durch Peter Linton, einen Cheflobbyisten der großen PR- und Lobbyagentur Burson-Marsteller initiiert.[13]
  • Eine weitere nicht beim Europäischen Parlament registrierte Intergroup heißt "Knowledge4Innovation" (dt.: Wissen für Innovation) und wurde von der Lobbyagentur Strauss & Partners gegründet. Strauss & Partners leitet nach eigenen Angaben seitdem diese Intergroup über unternehmenseigene Büros und ist für das Programm der Intergroup sowie die Organisation der Events und Aktivitäten verantwortlich.[14]
  • Die ebenfalls nicht registrierte Intergroup "European Parliamentary Financial Services Forum" (dt.: Europäisches parlamentarisches Finanzdienstleister Forum) wurde durch die Lobbyagentur Houston Associates gegründet und eine zeitlang geführt, bevor die Führung an den einflussreichen Europäischen Bankenverband übergeben wurde.[15]

Fallstudien und Kritik

  • Im Jahr 2011 schrieb der britische EU-Abgeordnete Martin Callanan eine offizielle parlamentarische Stellungnahme als Reaktion auf den Antrag der Europäischen Kommission hingehend der Energieeffizienzstandards von Automobilen, in welcher er geringere Auflagen für die Industrie empfahl. Seine Empfehlungen entsprachen exakt denen des Verbandes Europäischer Automobilhersteller, von dem viele Mitgliedsunternehmen Vertreter in der Intergroup "Forum für Automobil und Gesellschaft" zu sitzen haben.[16]
  • Der englische Abgeordnete des Europäischen Parlaments Giles Chichester ist Präsident der Intergroup "Europäisches Energieforum" ("European Energy Forum" (EEF)), welche von zahlreichen Energie- und Ölkonzernen finanziert wird. In dieser Position ließ sich Chichester, zusammen mit anderen in der Intergroup aktiven EU-Abgeordneten, auf eine Exkursion in die Barentssee durch den norwegischen Ölkonzern Statoil einladen - diese wurde von Statoil finanziert. Statoil bezweckte mit dieser Fahrt den Abgeordneten die Sicherheit und Unbedenklichkeit von Ölbohrinseln in empfindlichen Ökosystemen zu demonstrieren. Weiterhin ließ sich Chichester durch den Atomenergiekonzern Areva eine Reise nach Valencia, inklusive des Besuchs einer Etappe des "America's Cup", bezahlen.[17]
  • 2005 haben Abgeordnete des Europäischen Parlaments, welche auch Mitglieder der Intergroup "European Financial Services Forum" waren, Änderungsanträge eingebracht um die damals in Vorbereitung befindliche "Dritte Geldwäsche-Richtlinie" zu verwässern. Die eingebrachten Änderungsvorschläge waren beinahe identisch mit von einer Handelsbankengruppe in Umlauf gebrachte Entwürfe. Jene Handelsbankengruppe stellte viele Mitglieder in der genannten Intergroup.[18]
  • Der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok war dafür verantwortlich, dass 2004 in einen Entwurf des Europäischen Parlaments hinsichtlich der zu erreichenden Ziele auf einem damals anstehenden EU-USA-Gipfel, die Hauptforderungen der Intergroup "Transatlantic Policy Network" eins zu eins eingegangen sind. Brok war zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender der Intergroup.[19]

Weitere Kritikpunkte:

  • Obwohl Intergroups "keine Organe des Parlaments" sind aus diesem Grund "nicht in dessen Namen sprechen" können und dürfen, werden derlei Regeln insbesondere durch inoffizielle Intergroups vorsätzlich unterwandert. Beispielsweise geschieht dies, indem gerade nicht-registrierte und keinerlei Kontrolle durch das EU-Parlament unterliegenden Intergroups in ihren Namen die Worte "European Parlament" führen - wodurch der Eindruck von einer offiziellen Institution der Europäischen Union geweckt wird, dies jedoch in keiner Weise der Fall ist.
    Beispiele dafür sind u.a. folgende nicht-registrierte Intergroups:
    "The European Parliamentary Financial Services Forum", "The European Parliament Ceramics Forum", "The Forum in the European Parliament for Construction", "The Knowledge 4 Information Forum of the European Parliament", oder "Land Use and Food Policy Intergroup"
  • Nichtregierungsorganisationen, andere zivilgesellschaftliche Interessengruppen und Gewerkschaften sind in den meisten Fällen aus den Intergroups ausgeschlossen und dürfen nur in den seltensten Fällen an einzelnen Veranstaltungen teilnehmen. Dies trifft insbesondere auf die inoffiziellen und oft rein durch Mitgliedskonzerne und -verbände finanzierten Intergroups zu. Dies ist beispielsweise gängige Praxis im "European Energy Forum" und dem "Rail Forum Europe".[20]

Weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Regelung über die Bildung interfraktioneller Arbeitsgruppen, europarl.europa.eu, abgerufen am 02.08.2012
  2. KONFERENZ DER PRÄSIDENTEN - PROTOKOLL der Sitzung vom 11. November 1999, europarl.europa.eu, abgerufen am 02.08.2012
  3. [1], europarl.europa.de Das Parlament, abgerufen am 02.08.2012
  4. Lobbying under Radar, corporateeurope.org vom 24.05.2011, abgerufen am 16.08.2012
  5. Conflicts of Interests in the EU, corporateeurope.org vom 25.06.2008, abgerufen am 08.08.2012
  6. Intergroups im Europäischen Parlament, europa-digital.de vom 30.01.2006, abgerufen am 02.08.2012
  7. Interfraktionelle Arbeitsgruppen, europarl.europa.eu Das Parlament, abgerufen am 08.08.2012
  8. Lobbying under Radar, corporateeurope.org vom 24.05.2011, abgerufen am 16.08.2012
  9. Erklärung der finanziellen Interessen, europarl.europa.eu vom 30.05.2012, abgerufen am 08.08.2012
  10. European Internet Foundation, eifonline.org, About Us/Mission, abgerufen am 08.08.2012
  11. Introduction Homepage von FOCOPE, abgerufen am 16.08.2012
  12. Facebook ernennt Datenschutzbeauftragte, Zeit Online vom 14.09.2011, abgerufen am 08.08.2012
  13. Burson-Marsteller Website Senior Consultants/profile, abgerufen am 16.08.2012
  14. Knowledge4Innovation, Strauss & Partners Homepage, abgerufen am 16.08.2012
  15. Lobbying under Radar, corporateeurope.org vom 24.05.2011, abgerufen am 16.08.2012
  16. Lobbying under Radar, corporateeurope.org vom 24.05.2011, abgerufen am 16.08.2012
  17. Conflicts of Interests in the EU, corporateeurope.org vom 25.06.2008, abgerufen am 08.08.2012
  18. Lobbying under Radar, corporateeurope.org vom 24.05.2011, abgerufen am 16.08.2012
  19. EU-US free trade talks ahead?, Artikel auf corporateeurope.org von 2004, abgerufen am 16.08.2012
  20. Lobbying under Radar, corporateeurope.org vom 24.05.2011, abgerufen am 17.08.2012

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