European Roundtable of Industrialists

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European Roundtable of Industrialists (ERT)
Rechtsform
Tätigkeitsbereich
Gründungsdatum 07.04.1983
Hauptsitz Brüssel
Lobbybüro
Lobbybüro EU 18A Place des Carabiniers, 1030 Brussels
Webadresse http://www.ert.eu/

Der European Roundtable of Industrialists (ERT) (dt.: Europäischer Runder Tisch der Industriellen) ist eine einflussreiche Lobby-Gruppe, die sich aus leitenden Geschäftsführern und Vorständen von 50 der größten transnationalen Unternehmen der Europäischen Union zusammensetzt. Damit sind im ERT Konzerne mit europaweit insgesamt ca. 6,6 Millionen Angestellten und einem Gesamtumsatz von über 1 Billion Euro vertreten.[1] Nach eigenen Angaben war und ist das Kernthema des ERT die Sicherung, Vertiefung und Erhaltung des europäischen Binnenmarkts sowie der gesamteuropäischen Wettbewerbsfähigkeit.[2]

Kurzdarstellung und Geschichte

Der European Roundtable of Industrialists wurde am 6./7. April 1983 von 17 Geschäftsleuten und Industriellen in Paris gegründet. Pehr Gyllenhammar, damaliger Chef des Automobilkonzerns Volvo, war die treibende Kraft hinter der Initiative und nach deren Gründung der erste Vorsitzende. Offizielles Ziel der beteiligten Unternehmen war es die Regierungen der europäischen Nationalstaaten auf die "desolate Lage der europäischen Wirtschaft" aufmerksam zu machen. Die Mitglieder des ERT konstatierten der europäischen Wirtschaft eine mangelnde Dynamik, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und Japan. Der ERT gründete sich nach eigener Aussage, um der in den Verträgen von Rom in Aussicht gestellten Perspektive eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes neuen Antrieb zu geben.
Unter den Gründungsmitgliedern befanden sich weiterhin die Geschäftsführer bzw. Vorstandsvorsitzenden von u.a. Thyssen, Siemens, Fiat, Shell, Philips, Renault und Nestlé. Von Beginn an unterhielt der ERT dabei enge Kontakte zur Europäischen Kommission und zu einzelnen Kommissaren.[3]
Das übergeordnete Anliegen der ERT-Gründungsmitglieder war es nach eigener Aussage den "Wettbewerb und die Wettbewerbsfähigkeit auf gesamteuropäischer Ebene" zu fördern.[4]

Ehemalige Vorsitzende des ERT:

  • Leif Johansson (Ericsson, seit 2009)
  • Jorma Ollila (Nokia, von 2005 bis 2009)
  • Gerhard Cromme (ThyssenKrupp, von 2001 bis 2005)
  • Morris Tabaksblat (Reed Elsevier, von 1999 bis 2001)
  • Helmut Maucher (Nestlé, von 1996 bis 1999)
  • Jérôme Monod (Suez Lyonnaise des Eaux, von 1992 bis 1996)
  • Wisse Dekker (Philips, von 1988 bis 1992)
  • Pehr Gyllenhammar (Volvo, von 1983 bis 1988)

Organisationsstruktur und Personal

Den Vorsitz des ERT hat seit 2009 Leif Johansson vom Konzern Ericcson inne. Bis 2011 war Johansson Vorstandsvorsitzender beim Elekronikkonzern Philips.
Mitglied des ERT können nur Einzelpersonen werden, welche von einem bestehenden Mitglied dazu eingeladen werden.
Zwei Mal im Jahr treffen sich die Mitglieder des ERT persönlich zu sogenannten "Plenarsitzungen", auf welchen sowohl die inhaltlichen Schwerpunkte und Prioritäten des ERT festgelegt werden, als auch über die Einsetzung und Arbeit von "Arbeitsgruppen" beraten und entschieden wird.
Einige Arbeitsgruppen des ERT werden von Top-Managern großer Unternehmen, wie Siemens, Nestlé oder Lafarge, geleitet. In diesen werden Positionspapiere erarbeitet.
Der ERT unterhält ein Büro in Brüssel, welches von einem "Generalsekretär" geleitet wird.[5] Seit Juni 2012 ist Brian Ager, ein sehr erfahrener Lobbyist, Generalsekretär des ERT.[6]
Der Vorsitzende bildet zusammen mit seinen zwei Stellvertretern, seinem direkten Vorgänger und fünf gewählten Mitgliedern das sogenannte Steering Committee (dt.: Lenkungskomitee). Dieses überblickt und kontrolliert die Tätigkeiten des ERT und seiner Arbeitsgruppen und schlägt Inhalte für die Plenarsitzungen vor.[7]

Verbindungen

  • Der European Roundtable of Industrialists unterhält seit seiner Gründung enge Beziehungen zur EU-Kommission.[8]
  • Nach eigenen Angaben arbeitet der ERT von jeher eng mit dem europäischen Arbeitgeberverband BusinessEurope zusammen.
  • Weiterhin wird mit Lobbyinstitutionen kooperiert bei denen sich die Mitgliedschaften überlappen: EU-Russia Industrialists' Round Table (IRT), European Policy Centre (EPC), Transatlantic Business Dialogue (TABD), World Business Council for Sustainable Development (WBCSD), JAYE - European Climate Foundation, Atomium Culture. [9]
  • Ferner gründete der European Roundtable of Industrialists über die Zeit mehrere Institute und Initiativen, um Inhalte gezielt und themenspezifisch platzieren zu können. So wurde 1994 das European Centre for Infrastructure Studies (ECIS) (dt.: Europäisches Zentrum für Infrastrukturstudien) gegründet, welches seinen Sitz in Rotterdam hatte, jedoch drei Jahre später wieder aufgelöst wurde. Weiterhin gründete der ERT das European Centre for Infrastructure Studies sowie die Association for the Monetary Union of Europe (dt.: Die Vereinigung für die europäische Währungsunion)[10]

Finanzen

Der ERT wird ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge der Konzerne bzw. Einzelmitglieder finanziert. Im Transparenzregister der EU gibt der ERT an im Jahr 2011 700000-800000 € für direkten Lobbyismus in den Institutionen der Europäischen Union ausgegeben zu haben.
In diesen Zahlen sind allerdings weder die Ausgaben der Mitglieder und Mitgliedsunternehmen eingerechnet, welche anfielen um an den Veranstaltungen des ERT teilzunehmen, noch die separaten jährlichen Ausgaben der einzelnen Konzerne für ihre eigenen Lobbyaktivitäten. Ebensowenig sind die Lobbyausgaben der zahlreichen ERT-Ableger und nahestehenden Organisationen enthalten.[11]

Lobbystrategien und Einfluss

Nach eigenen Angaben versucht der European Roundtable of Industrialists insbesondere über Studien, Positionspapiere und Vieraugengespräche auf politische Entscheidungsträger der nationalen bzw. europäischen Ebene Einfluss zu nehmen. Auf europäischer Ebene werden gezielt Mitglieder der Europäischen Kommission, des Europäischen Rats, des Rats der Europäischen Union (Ministerrat) sowie Abgeordnete des Europäischen Parlaments vom ERT adressiert. Auch auf den nationalen Ebenen der verschiedenen Staaten versuchen die ERT-Mitglieder direkten Einfluss auf Regierungsmitlgieder und Parlamentarier zu nehmen, und versorgen Medien und Meinungsmacher sowie potentielle Interessenverbündete mit vorgefertigten Informationen.[12] Der ERT rühmt sich selbst damit, "hervorragende Analysen und intelligente Argumente" zu liefern.[13]

Der ERT selbst verfügt über keine beim EU-Parlament akkreditierten Mitarbeiter, welche zu diesem zugangsberechtigt sind (Stand: August 2012).[14] Der ERT nimmt vielmehr über die Gründung von themenfokussierten "Instituten" und "Initiativen" Einfluss auf politische Entscheidungsträger, Prozesse und allem voran Inhalte. Diese werden entweder durch den ERT selbst gegründet oder indirekt durch dessen Mitgliedsunternehmen. Es gehört zur Strategie des ERT und seiner Schwesterorganisationen jährlich eine Vielzahl an Publikationen in Form von Studien, Positionspapieren und Handlungsempfehlungen zu veröffentlichen um somit nicht nur Druck auf Akteure auszuüben, sondern auch Inhalte gezielt zu beeinflussen.

Die expliziten Ziele des ERT sind: Vertiefung und Sicherstellung des europäischen Binnenmarkts, ein kontinentales Verkehrsinfrastrukturnetz und leistungsfähige Bildungssysteme, die Reform der Rentensysteme, die Liberalisierung der Versorgungswirtschaft und ein flexibler Arbeitsmarkt.[15] Weiterhin will der ERT die Abschaffung von Reglementierungen bzw. deren Vereinheitlichung auf europäischer Ebene erreichen.

Nach eigenen Angaben war der ERT maßgeblich an der Initiierung des Eurotunnels, des europaweiten Fern- und Schnellzugschienennetzes, sowie der Erweiterung des transskandinavischen Straßen- und Schienennetzes sowie dessen Verbindung mit dem Norden Deutschlands beteiligt.[16]

Fallstudien und Kritik

  • Der ERT fordert in einem im Januar 2012 erschienen Positionspapier, zum "Wohle der Wettbewerbsfähigkeit" europäischer Konzerne sämtliche staatlichen Regulierungen und Auflagen für privatwirtschaftliche Unternehmen, welche sich im Implementierungs- bzw. politischen Entscheidungsprozess auf EU-Ebene befinden und keinen erwiesenermaßen positiven Effekt auf das wirtschaftliche Wachstum haben, sofort außer Kraft zu setzen. Weiterhin sollen alle bereits existierenden staatlichen Regulierungen hinsichtlich ihrer "wachstumshemmenden" Auswirkungen untersucht werden. Wobei am Ende jene gestrichen werden müssten, die nicht im Sinne freien Wirtschaftswachstums stehen und deren Wegfall keine "grundlegenden Schutzmechanismen" berühren. Weiterhin fordert der ERT die Einsetzung eines "unabhängigen Überprüfungsmechanismus", d.h. einer Kommission, welche jedes gesetzliche Vorhaben, welches für europäische Unternehmen verbindlich werden soll, im Vorhinein bezüglich der Nützlichkeit hinsichtlich wirtschaftlichen Wachstums untersucht sowie die für die Unternehmen daraus resultierenden Kosten kalkuliert. Eine Bewertung gesetzlicher Initiative müsste nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Wachstumsförderlichkeit erfolgen und eine Garantie enthalten, dass all jene politischen Vorhaben gestoppt werden, welche nicht im Interesse des Wirtschaftswachstums stehen.[17] [18]
  • Die "Lissabon-Strategie"[19] der EU ist ein im Jahr 2000 beschlossenes gemeinsames Programm der europäischen Staats- und Regierungschefs, mit dem Ziel die EU bis 2010 zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen. Damit übernahm die EU direkt die lange zuvor erklärten Ziele des ERT und übernahm auch im Detail Forderungen des ERT, indem in der "Lissabon-Strategie" gefordert wurde "die Liberalisierung in Bereichen wie Gas, Strom, Postdienste und Beförderung zu beschleunigen". Baron Daniel Janssen, damaliger Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns Solvay, nannte diesen neuen Weg der EU eine "doppelte Revolution": "reducing the power of the state and of the public sector in general through privatisation and deregulation" und "transferring many of the nation-states' powers to a more modern and internationally minded structure at European level."[20]
    Der Nachfolger der "Lissabon-Strategie", die sogenannte Strategie "Europa 2020"[21], ist eine Neuauflage der Ziele aus dem Jahr 2000. Im März 2010 von der Europäischen Kommission vorgeschlagen, wurde diese im Juli des selben Jahres vom Rat der Europäischen Union - dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten - angenommen. Der ERT veröffentlichte im Februar des selben Jahres ein Positionspapier mit dem Namen "ERT's Vision for a competitive Europe in 2025"[22], in welchem langfristige Ziele und Prioritäten genannt und konkrete politische Handlungsvorschläge gemacht wurden. Im Strategiepapier der Europäischen Kommission, "Europa 2020", werden eben diese politischen Ziele und politischen Handlungen auch aufgeführt und vorgeschlagen, u.a. die Flexibilität des Arbeitsmarkts sowie Reformen die Sozialsysteme betreffend.[23]
  • Corporate Europe Observatory (CEO) kritisiert den großen Einfluss, den der ERT auf die Arbeit der sogenannten "Delors-Kommissionen" genommen hatte. Diese waren die ersten europäischen Kommissionen, unter dem EG-Präsidenten Jacques Delors. Von 1985-1994 erarbeiteten insgesamt drei Delors-Kommissionen die Grundlagen zur Schaffung des europäischen Binnenmarkts und der Währungsunion. In diesem Prozess nahm der ERT essenziellen Einfluss und konnte politische Inhalte entscheidend mitprägen. Weiterhin wurde über die einzelnen Mitgliedskonzerne Druck auf die nationalen Regierungen ausgeübt, um den europäischen Einigungsprozess zu beschleunigen. CEO kritisiert, dass der Einfluss des ERT auf Kosten einer angemessenen Regulierung und Bändigung der Marktkräfte, sowie zu Lasten eines "sozialen Europas" gegangen ist.[24]

Weiterführende Informationen

  • The Brussels Business, Trailer auf youtube.com zum Dokumentarfilm von Fritz Moser über den Einfluss von Konzernen und Lobbyisten im europäischen Einigungsprozess, Erscheinungsjahr 2012


Vorlage:Spenden

Einzelnachweise

  1. Message from the new Secretary General, Brian Ager, ert.com, abgerufen am 21.08.2012
  2. About ERT - Milestones, www.ert.eu, abgerufen am 15.08.2012
  3. About ERT - Origins, www.ert.eu, abgerufen am 15.08.2012
  4. Publication: ERT Highlights, ERT structure, S. 9, Stand: 2010, abgerufen am: 15.08.2012
  5. Publication: ERT Highlights, ERT structure, S. 10, Stand: 2010, abgerufen am: 15.08.2012
  6. Message from the new Secretary General, Brian Ager, ert.com, abgerufen am 21.08.2012
  7. About ERT - ERT Structure, ert.com, abgerufen am 21.08.2012
  8. Corporate Europe Observatory 2000: Europe Inc. Regional & Global Restructuring & the Rise of Corporate Power, Writing the Script: The European Roundtable of Industrialists, S. 22ff., abgerufen am 20.08.2012
  9. Transparenzregister der EU, Eintrag des ERT vom 11.06.2012, abgerufen am 21.08.2012
  10. Corporate Europe Observatory 2000: Europe Inc. Regional & Global Restructuring & the Rise of Corporate Power, Writing the Script: The European Roundtable of Industrialists, S. 19, abgerufen am 20.08.2012
  11. Transparenzregister der EU, Eintrag des ERT vom 21.06.2012, abgerufen am 21.08.2012
  12. Publication: ERT Highlights, ERT communications, S. 11, Stand: 2010, abgerufen am: 15.08.2012
  13. Publication: ERT Highlights, ERT Milestones, S. 13, Stand: 2010, abgerufen am: 15.08.2012
  14. Transparenzregister der EU, Eintrag des ERT vom 21.06.2012, abgerufen am 21.08.2012
  15. Publication: ERT Highlights, ERT Milestones, S. 11, Stand: 2010, abgerufen am: 15.08.2012
  16. About ERT - Milestones, www.ert.eu, abgerufen am 15.08.2012
  17. Creating growth in Europe, ERT Statement vom 12.01.2012, abgerufen am 20.08.2012
  18. The Roundtable goes for full conquest, corporateeurope.org Artikel vom 13.07.2012, abgerufen am 20.08.2012
  19. Europäischer Rat, 23. und 24. März 2000, Lissabon, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, I.5., Website des Europäischen Parlaments, europarl.europa.eu, abgerufen am 22.08.2012
  20. The Pace of Economic Change in Europe, in: Tokyo 2000, The Annual Meeting of the Trilateral Commission, S. 77ff., abgerufen am 22.08.2012
  21. Europe 2020, Website der Europäischen Kommission, abgerufen am 22.08.2012
  22. ERT%u2019s Vision for a competitive Europe in 2025, ERT Website - Publications vom Februar 2010, abgerufen am 22.08.2012
  23. Europe%u2019s 2020 strategy: big business as usual, corporateeurope.org, Artikel von März 2010, abgerufen am 22.08.2012
  24. Europe Inc. in crisis - the EU's alliance with big business is a dead-end, corporateeurope.eu, Artikel vom 16.04.2012, abgerufen am 22.08.2012

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