Mario Draghi
Mario Draghi (* 3. September 1947, Rom), ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Volkswirt und Bankmanager.
Er gehört zu den zentralen Entscheidungsträgern in der Finanz- und Eurokrise. Mario Draghi war als Chef der Europäischen Zentralbank einer der mächtigsten Menschen weltweit und somit Ziel zahlreicher Lobbyaktivitäten. Sein Seitenwechsel ohne Karenzzeit von öffentlichen Mandaten bei Zentralbanken zu der Investmentbank Goldman Sachs International ist zu kritisieren. Als Mitglied der Group of Thirty, die als Lobbygruppe der Finanzindustrie gesehen werden kann, und gleichzeitig Präsident der EZB befand sich Draghi in einem Interessenskonflikt, über den sich 2012 die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) beim EU-Bürgerbeauftragten Nikiforos Diamandouros beschwerte. Die Nachfolgerin von Diamandiouros, O'Reilly, hat Draghi 2018 aufgefordert, seine Mitgliedschaft bis zum Ende seiner Amtszeit ruhen zu lassen, wozu dieser keinen Anlass sah.
Inhaltsverzeichnis
Karriere
- 02/2021- 07/2022 italienischer Ministerpräsident
- 11/2011-10/2019 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB)
- 01/2006-2011 Gouverneur der italienischen Zentralbank Banca d´Italia.
- 2002-2005 Stellv. Vorsitzender und Managing Director bei Goldman Sachs International[1]
- 1991-2001 Generaldirektor des italienischen Finanzministeriums
- 1984-1990 Exekutivdirektor der Weltbank
- 1975-1991 Professor für Wirtschaftswissenschaften
- Studium der Wirtschaftswissenschaften, Promotion am MIT
Verbindungen / Netzwerke
Seit 2006 ist Draghi Mitglied der Group of Thirty[2], einer weltweit höchst einflussreichen Gruppe von leitenden Bankiers, Top Zentralbänkern, Akademikern und politischen Persönlichkeiten. Draghi wird unter den aktuellen Mitgliedern im September 2024 als "Emeritus Member" geführt. Erklärtes Ziel der Gruppe ist die Einflussnahme auf Politik und privaten Bankensektor, welches sie speziell im Bereich der Bankenregulierung und -aufsicht erreicht. Ihre Positionen sind marktliberal und decken sich mit denen des privaten Bankensektors. Hier befindet sich Draghi in einem offensichtlichen Interessenkonflikt zwischen seinem Amt als Präsident der Europäischen Zentralbank und seinem Status als Mitglied dieser Lobbygruppe für liberale Finanzmarktpolitik.[3] Der Aufforderung der Europäischen Bürgerbeauftragen Emily O’Reilly, seine Mitgliedschaft bis zum Ende seiner Amtszeit ruhen zu lassen, ist Draghi nicht nachgekommen. [4]
Sein Seitenwechsel ohne Karenzzeit zwischen öffentlichen Mandaten in Zentralbanken und der Investmentbank Goldman Sachs International ist ebenfalls zu kritisieren. Er wurde vom Amtsträger in der italienischen Regierung zum Manager bei Goldman Sachs, einer privaten Bank, und dann - wieder ohne Unterbrechung - Präsident der italienischen Zentralbank.
Wirken
Der Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas
- 09/2024 Draghi legt der EU-Kommission einen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas vor (The future of European Competitiveness)
Von der Europäischen Kommission wird Draghi beauftragt , „einen Bericht über seine persönliche Vision zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu erstellen.“ [5]
Der Bericht wird laut BM für Wirtschaft und Klimaschutz „voraussichtlich maßgeblichen Einfluss auf die Politikgestaltung und Schwerpunktsetzung der neuen [EU-]Legislatur haben.“ [6]
Draghi identifiziert drei zentrale Handlungsfelder, um nachhaltiges Wachstum zu generieren:
- Innovationslücke schließen (Investitionen in Forschung und Innovation)
- Integrierter Plan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit (wettbewerbsfähige Energiepreise bei gleichzeitiger Chance auf Spitzenposition bei Zukunftstechnologien)
- Stärkung der Resilienz und Abbau von Abhängigkeiten (Lagerhaltung kritischer Rohstoffe und industrielle Partnerschaften bei Schlüsseltechnologien)
Im Bericht wird der ineffiziente Einsatz finanzieller Ressourcen sowie einen Mangel an Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten benannt. Außerdem müsste der Binnenmarkt vertieft werden. Dabei beläuft sich das „erforderliche zusätzliche Investitionsvolumen laut Schätzungen der EU-Kommission auf mindestens 750 Mrd. EUR p. a., was einer Steigerung des Investitionsanteils am EU-BIP um rund 5 Prozentpunkte entspricht“ [6] Eine Beschleunigung von Entscheidungsprozessen in der EU und eine Reduzierung der Bürokratie für Unternehmen wird als notwendig erachtet.
Eine Auswertung von LobbyControl und Corporate Europe Observatory zeigt, dass von den 236 eingegangenen Beiträgen zur Studie 157 von Unternehmen und ihren Verbänden stammen. Das sind rund 65 Prozent der Beiträge. Insgesamt verschafften sich vor allem große Konzerne Einfluss, darunter Amazon, Google oder Deutsche Telekom. Ebenso sind große Unternehmerverbände vertreten, darunter der Europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope und der Verband der Europäischen Chemieindustrie (CEFIC).Bei der Ausarbeitung seiner Studie hat Draghi es demnach versäumt, angemessenen Input von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Gewerkschaften einzuholen. Bereits im Mai 2024 kritisierten zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offenen Brief den Mangel an Transparenz und fehlende Inklusivität bei der Erarbeitung der Studie. Inbesondere das intensive Eintreten für Deregulierung in Draghis Report spiegele den Einfluss der Unternehmenslobby wieder. Ökologische Krise und soziale Ungleichheit würden dagegen nicht angemessen berücksichtigt, so die Bewertung von Corporate Europe Observatory und LobbyControl. [7] Die Akteure sind dieselben, die auch an derAntwerp Declaration mitgearbeitet haben, die im Februar 2024 erarbeitet wurde. Siehe dazu auch European Round Table for Industry
Fallbeispiele
2013: Skandal um Bank Monte dei Paschi di Siena
Eine Wechselwirkung aus dem Amt bei der italienischen Zentralbank und Kontakten zu Privatbanken könnte bestehen. Anfang 2013 geriet Mario Draghi im Zuge der Skandale um die Bank Monte dei Paschi di Siena in die öffentliche Kritik.[8] Zwischen 2006 und 2009 tätigte die drittgrößte Bank Italiens ungehindert von der italienischen Zentralbank äußerst riskante Geschäfte, die sie 2013 beinahe in den Ruin trieben. Zur betreffenden Zeit war Draghi als Gouverneur der italienischen Zentralbank die Bankenaufsicht unterstellt. Ein Zentralbankkredit von 3,9 Milliarden Euro wurde zur Rettung der Monte dei Paschi ermöglicht. Die Öffentlichkeit und das italienische Parlament waren nur ungenügend informiert. Zins- und Schuldendienst gingen auf den italienischen Steuerzahler über.[9][10][11][12]
2012: Group of Thirty und EZB
Ende Juli 2012 hat die Nichtregierungsorganisation CEO Beschwerde gegen EZB-Präsident Mario Draghi beim Ombudsmann der EU eingereicht.[13] Es besteht für CEO ein Interessenkonflikt, da die Group of Thirty Merkmale einer Lobbyorganisation für Großbanken aufweist.[14] Mario Draghi würde durch seine Mitgliedschaft die notwendige Unabhängigkeit eines EZB-Präsidenten fehlen.[15] Am 04.02.2013 sah der EU-Bürgerbeauftragte Nikiforos Diamandouros keinen Interessenkonflikt in Draghis G30 Mitgliedschaft. CEO legte erneut Beschwerde bei der Europäischen Bürgerbeauftragen Emily O’Reilly ein, deren Untersuchung zu dem folgenden Schluss kam: Auch wenn es keinen Beleg dafür gebe, dass vertrauliche Informationen preisgegeben werden, erzeuge die Mitgliedschaft bei der G30 den Eindruck, dass die Unabhängigkeit der EZB kompromittiert und damit unnötig das Image und das vitale öffentliche Vertrauen in die EZB beschädigt werde.[4] Darum solle der Präsident bis zum Ende seiner Amtszeit seine Mitgliedschaft ruhen lassen. Die EZB erklärte daraufhin lapidar, sie teile die Einschätzung der Bürgerbeauftragten nicht.
Draghi und griechische Zinstausch (Swap) - Geschäfte mit Goldman Sachs
Die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs hat Griechenland bei sogenannten Zinstausch (Swap)-Geschäften beraten, die vermutlich dazu dienten, griechische Defizitzahlen zu verschleiern und somit den griechischen Euro-Beitritt zu ermöglichen. [16]
Das Geschäft wurde bereits 2001 eingeleitet, jedoch teilweise noch währende Draghis Amtszeit als Vizepräsident von Goldman Sachs in Europa (2002 – 2005) abgewickelt. Draghi war in seiner Funktion zwar für den Unternehmensbereich der Investmentbank verantwortlich, kannte sich aber aus vorheriger Zeit als Generaldirektor im italienischen Finanzdirektorium durchaus mit Swap-Geschäften aus. Das italienischen Finanzministerium nutze ebenfalls Swap-Geschäfte im Schuldenmanagement, so dass der Verdacht nahe liegt, dass Draghi für die Geschäfte zu Rate gezogen wurde bzw. informiert war.
Die Frage, inwiefern die amerikanische Investmentbank Griechenland geholfen hat Schulden zu verschleiern, hat die Europäische Zentralbank (EZB) in zwei internen Berichten untersucht. Diese Berichte sind allerdings nie veröffentlicht worden. Der Europäische Gerichtshof hatte 2012 eine Klage des Nachrichtensenders Bloomberg zurückgewiesen, mit der Begründung, dass eine Veröffentlichung „den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik der Union und Griechenlands“[17] beeinträchtigen würde.
Draghi selbst hätte als Präsident der EZB die Möglichkeit, die Berichte zu veröffentlichen und Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Doch bis jetzt wurden weder Anstalten gemacht, die Berichte zu veröffentlichen, noch wurde sich zu dem Thema öffentlich geäußert.[18]
Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus
Einzelnachweise
- ↑ http://www.ecb.int/ecb/orga/decisions/html/cvdraghi.de.html Seite von Mario Draghi bei der EZB
- ↑ https://group30.org/members offizielle Mitgliedsliste
- ↑ http://www.occupy.com/article/global-power-project-group-thirty-and-its-methods-financial-governance#sthash.mvgYQ8DO.dpuf
- ↑ 4,0 4,1 Die gefährliche Nähe der EZB zur Finanzindustrie, tagesspiegel.de vom 25.04.2018, abgerufen am 26.04.2018
- ↑ eu-competitiveness-looking-aheadcommission.europa.eu, abgerufen am 14.10.2024
- ↑ 6,0 6,1 draghi-bericht www.bmwk.de. abgerufen am 14.10.2024
- ↑ draghi-studie-einseitige-einflussnahme www.lobbycontrol.de vom 19.09.2024, abgerufen am 15.10.2024
- ↑ Bericht des Magazins Der Spiegel
- ↑ http://www.manager-magazin.de/unternehmen/banken/a-882465.html
- ↑ http://www.n-tv.de/wirtschaft/Gericht-laedt-Notenbanker-vor-article10051436.html kritischer hierzu N-TV
- ↑ http://www.reuters.com/article/2013/01/26/us-montepaschi-cenbank-idUSBRE90P09I20130126
- ↑ http://www.reuters.com/article/2015/02/25/bankofitaly-montedeipaschi-idUSL5N0VX3FZ20150225
- ↑ http://www.tagesschau.de/wirtschaft/groupofthirty102.html ARD-Tagesschau: EU-Bürgerbeauftragter führt Untersuchung gegen EZB-Chef: "Group of Thirty" - für Draghi ein Interessenskonflikt?
- ↑ http://corporateeurope.org/news/draghi-faces-formal-complaint-over-conflicts-interest
- ↑ http://corporateeurope.org/sites/default/files/attachments/ombudsman_complaint_ecb.pdf
- ↑ Goldman Sachs - Ein vergessener Deal erregt die Gemüter, Tagesspiegel, 16. Februar 2015, zuletzt besucht am 26.3.2015
- ↑ Pressemitteilung Nr. 156/12, Gericht der Europäischen Union, 29. November 2012, zuletzt besucht am 26.3.2015
- ↑ Griechenlands teure Vergangenheit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. März 2015