Karenzzeiten
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Unter Karenzzeit (auch Abkühlphase oder „cooling off“ period) versteht man eine Sperrfrist, die nach dem Ausscheiden aus einem Amt den Wechsel in eine mit diesem in Konflikt stehende Position verhindert. Karenzzeiten in der Politik unterbinden den unmittelbaren Wechsel von Politikern oder Spitzenbeamten in Lobbytätigkeiten und regulieren so das Problem der Seitenwechsel (Drehtür-Effekt).
In verschiedenen Nationalstaaten wurden bereits Karenzzeit-Reglungen für Politiker auf nationaler Ebene eingeführt. Dies ist in Deutschland nicht der Fall, bisher gibt es lediglich verbindliche Karenzzeiten auf Länderebene, sowie für bestimmte öffentliche Berufsgruppen. So gelten für Beamte[1], Mitglieder der Bundeswehr[2] und Richtern[3] ihrem Amt bzw. Dienst Karenzzeiten, zumindest wenn sie auf ihre Versorgungsbezüge nicht verzichten wollen.
Inhaltsverzeichnis
Regelungen in Deutschland
Bis heute gibt es keine Karenzzeit auf bundespolitischer Ebene. Die jetzige Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt eine entsprechende gesetzliche Regulierung zu schaffen, die Formulierung dazu bleibt jedoch äußerst vage: „Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an. “ [4] Die Bundeskanzlerin hat sich im Sommer 2014 für die Einführung einer verbindlichen Karenzzeit ausgesprochen, nach den bisherigen Ankündigungen würde diese aber nur für ein Jahr geltend sein und sich ausschließlich auf direkte Interessenskonflikte beziehen. [5]
Forderung LobbyControl
LobbyControl tritt für eine verbindliche Karenzzeit auf bundesstaatlicher Ebene ein, geltend für KanzlerIn, MinisterInnen, StaatsministerInnen, parlamentarische und beamtete StaatssekretäreInnen sowie AbteilungsleiterInnen. Die Forderungen beinhalten fünf Eckpunkte, die über die bisherigen Entwürfe in der Politik hinausgehen: [6]
Für eine effektive Regulierung muss die Karenzzeit mindestens 3 Jahre gelten und ein Wechsel in jegliche Lobbytätigkeit innerhalb der Sperrfrist unterbinden. Darüber hinaus muss es Politikern verboten sein, schon in ihrer Amtszeit Verhandlungen über spätere Lobbytätigkeiten zu beginnen. Zuletzt ist es notwendig, die Karenzzeit gesetzlich bindend einzuführen und ihre Einhaltung durch ein unabhängiges Gremium überprüfen zu lassen. Es reicht weder aus, einen nicht bindenden Ehrenkodex zu verabschieden, noch die neuen Tätigkeiten lediglich zu melden und das Verbot auf Bereiche zu beschränken, die im früheren Zuständigkeitsbereich des ausscheidenden Politikers liegen. Eine Anzeigepflicht würde zwar möglicherweise zu größerer Transparenz führen, erlaubt aber im Kern die unveränderte Fortsetzung der bisherigen Praxis. Ein nur auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränktes Verbot würde das Ausmaß der Problematik verkennen. Denn es geht nicht nur um direkte Vorteilsgewährung während der politischen Amtszeit, die nach deren Ende mit einem lukrativen Job belohnt wird. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegierte Zugang zu Entscheidungsträgern und Insiderwissen, über die frisch ausgeschiedene MinisterInnen oder StaatssekretärInnen auch in Bereichen verfügen, in denen sie nicht unmittelbar tätig waren.
Daher kann nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung den Einfluss finanzstarker Interessengruppen und Unternehmen bremsen. Nach drei Jahren dürfte das Insiderwissen zumindest in Teilen veraltet, Kontakte abgekühlt und frühere Kollegen nicht mehr in den alten Positionen beschäftigt sein.
Parteipositionen
Vor der Bundestagswahl 2013 hatte LobbyControl die fünf Bundestags-Parteien gefragt, wie sie Lobbyismus transparent machen und kontrollieren wollen.[7] Zum Thema Karenzzeiten vertraten sie folgende Standpunkte:
CDU/CSU
Im Wahlkmapf hatten sich CDU und CSU gehen eine Einführung einer gesetzlichen Karenzzeit ausgespochen. Diese Position haben sie während der Koalitionsverhandlung aber nicht beibehalten und sich auf einen Kompromis eingelassen.
SPD
Während einer Karenzzeit von 18 Monaten sollen neue Jobs von Ex-Regierungsmitgliedern von einer Ethikkommission genehmigt werden. Vorbild ist der Kodex der EU-Kommission. Positiv ist, dass die SPD sich für eine Karenzzeit aussprach. Allerdings könnten Regierungsmitglieder auch in dieser Zeit neue Jobs annehmen, wenn die geplante Ethikkommission diese genehmigen würde. Die Wirksamkeit der Regelung hängt also davon ab, wie strikt diese Kommission die Fälle prüfen würde. Wenn die EU-Regelung übernommen würde, dürften ausscheidende Regierungsmitglieder in diesen 18 Monaten immerhin keine Lobbyarbeit betreiben, die ihren ehemaligen Zuständigkeitsbereich betrifft. Insgesamt wäre der SPD-Vorschlag eine Verbesserung des Status Quo – er bleibt aber hinter den LobbyControl-Forderungen zurück.
DIE LINKE
Während einer gesetzlichen Karenzzeit von 5 Jahren soll für MinisterInnen und StaatssekretärInnen kein Wechsel in große Unternehmen möglich sein, „für die die Zuständigkeit des betreffenden Bundesministeriums bestand“. Begrüßenswert ist auch hier, dass eine Karenzzeit für MinisterInnen und parlamentarische StaatssekretärInnen befürwortet wird. Allerdings hält LobbyControl es für nicht zielführend, die Karenzzeit auf Tätigkeiten in „großen Unternehmen“ zu begrenzen und auch nur dann anzuwenden, wenn das Unternehmen im Zuständigkeitsbereich des betreffenden Ministeriums anzusiedeln ist. Verbände oder Lobbyagenturen wären davon etwa nicht betroffen. Dort wäre Lobbyarbeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt weiterhin möglich. Auch bleibt unklar, wann genau ein Unternehmen unter die Zuständigkeit eines bestimmten Ministeriums fallen würde.
Bündnis 90/Die Grünen
Während einer Karenzzeit von 3 Jahren soll die Aufnahme neuer Tätigkeiten für MinisterInnen und StaatssekretärInnen genehmigungspflichtig werden. Bei „Interessenkollisionen“ müsste dann die Genehmigung versagt werden. Der Vorschlag der Grünen für eine Karenzzeit wäre eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo. Aber auch er bleibt hinter den LobbyControl-Forderungen zurück, da nur Lobbyarbeit „auf dem gleichen Feld“ untersagt werden würde. Zudem fällt auf, dass die jeweiligen Vorschläge im Wahlprogramm, in der Antwort auf unsere Fragen und in den Anträgen im Bundestag voneinander abweichen. Das macht die grüne Position zu einer Karenzzeit etwas unklar.
FDP
Die FDP schlug einen Verhaltenskodex vor. Danach soll innerhalb von zwei Jahren nach dem Ausscheiden eines Ministers / einer Ministerin oder Staatssekretärs / Staatssekretärin die Aufnahme einer neuen Tätigkeit untersagt werden können, wenn „eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen droht“. Positiv ist, dass die FDP eine Regelung für die Seitenwechsel von MinisternInnen und StaatssekretärInnen in Erwägung zieht. Allerdings ist der Vorschlag sehr weich und seine Wirksamkeit fraglich.
Länderebene
Auf Länderebene gibt es schon Vorstöße zu einer breiteren Lobbyregulierung: Es sei beispielhaft auf die sogenannten Lobbyregister in Brandenburg und Rheinland-Pfalz verwiesen. In Nordrhein-Westfalen verpflichtet ein sogenanntes Korruptionsbekämpfungsgesetz ehemalige Regierungsmitglieder dazu, ihre Nachfolgetätigkeit anzuzeigen. Außerdem gilt für sie, analog zu den Landesbeamten, eine fünfjährige Karenzzeit, wenn die neue Tätigkeit ihren dienstlichen Pflichten entgegensteht. [8] In Hamburg wurde 2014 ein gemeinsamer Gesetzesentwurf von SPD, CDU, Grünen und Linken für die Einführung einer zweijährigen Karenzzeit vorgelegt. <ref> Karenzzeit in Hamburg Lobbypedia-Artikel
Weiterführende Informationen
- Themenportal Seitenwechsel
- Wichtige Seitenwechsel im Überblick
- Fünf Eckpunkte für eine Karenzzeit Artikel lobbycontrol.de vom 10.07.2014
Einzelnachweise
- ↑ Bundesbeamtengesetz (BBG), § 105, abgerufen am 10.12.2013
- ↑ Soldatengesetz (SG), § 20a, abgerufen am 10.12.2013
- ↑ Deutsches Richtergesetz (DRig), § 46, abgerufen am 10.12.2013
- ↑ Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD Internetauftritt der CDU, abgerufen am 30.09.2014
- ↑ Ein Jahr Wartezeit für Seitenwechsler www.tagesschau.de vom 02.07.2014, aberufen am 30.09.2014
- ↑ Fünf Eckpunkte für eine Karenzzeit www.lobbycontrol.de vom 10.07.2014, abgerufen am 30.09.2014
- ↑ Wahlprüfsteine 2013 - Wie wollen die Parteien Lobbyismus kontrollieren?, LobbyControl Website, abgerufen am 22.11.2013
- ↑ Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in Nordrhein-Westfalen (Korruptionsbekämpfungesetz - KorruptionsG), § 19, abgerufen am 10.12.2013