Ausschuss für Regulierungskontrolle

    • Keine Statusinformation

Der Ausschuss für Regulierungskontrolle (original: Regulatory Scrutiny Board) ist ein eigenständiges Gremium innerhalb der Europäischen Kommission, dem eine wirkmächtige Rolle bei der Überprüfung von Gesetzen zukommt. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle hat dabei zwei spezifische Funktionen: Zum einen soll er bereits bestehende EU-Gesetze daraufhin prüfen, ob sie noch „zweckdienlich“ sind. Zum Anderen soll er mögliche Folgen kommender Gesetze überprüfen. Immer wenn die Kommission plant, eine neue Richtlinie oder Bestimmung einzuführen, muss der Ausschuss für Regulierungskontrolle zunächst einen Folgenabschätzungsbericht der geplanten Regulierung billigen oder alternativ ein Veto einlegen. [1][2]

Grundsätzlich stehen Folgenabschätzungsberichte in der Kritik, da es oftmals einfacher ist, die wirtschaftlichen Folgen eines Gesetzes abzuschätzen, als jene für Umwelt und Gesellschaft. Daran anschließend berichtet Lia Polotzek, Leiterin Politische Planung beim BUND: „Wir beobachten schon lange, dass der Ausschuss für Regulierungskontrolle eine sehr starke Schlagseite dahin hat, neue Regulierungen unternehmensfreundlich auszugestalten“. [3]

Besonders deutlich wurde die Macht des Gremiums beim Kommissionsvorschlag zu einem Europäischen Lieferkettengesetz (CSDD).[4] Dort hatte der Ausschuss zweimal ein Negativgutachten ( = Veto) vorgelegt und somit den Gesetzgebungsprozess deutlich verzögert.





Einflussnahme und Lobbystrategien

Arbeit auf dem Gebiet der "besseren Rechtssetzung"

Laut dem Brüsseler Lobby-Watchdog Corporate Europe Observatory (CEO) steht der Ausdruck „Bessere Rechtssetzung“ für: "clevere PR für ein generell wirtschaftsfreundliches Verfahren, das Regulierung in „Belastungen“ umdeutet und danach strebt, einige dieser „Belastungen“ zu beseitigen und sicherzustellen, dass neue Regeln so ausfallen, dass sie möglichst keine Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit haben, da sie sonst Unternehmensprofite schmälern könnten."

In Texten aus Unternehmenslobbykreisen würden diese nach Auffassung von Corporate Europe Observatory immer wieder als "Grund und als Werkzeug" aufgeführt, um geplante Regulierungen abzuschwächen. ‘Stakeholder’ und ‘Konsultationen’ würden in den Prozessen der “Besseren Rechtssetzung” eine hervorgehobene Rolle einnehmen. Dies würde letztlich jedoch Wirtschaftsinteressen zugutekommen, da sie über die finanziellen und technischen Ressourcen verfügten, um solche Verfahren zu dominieren. [5]

Zahlen und Fakten

  • Die Mitglieder werden nicht gewählt, sondern ernannt
  • Es existieren keine etablierten Kontrollinstanzen, die die Mitglieder und ihr Handeln überprüfen und im Falle von Fehlverhalten zur Verantwortung ziehen können
  • Ihre Treffen finden geheim statt und es gibt keine Offenlegungspflichten über die besprochenen Inhalte
  • etwa 40 % der Gesetzesvorhaben, mit denen sich der Ausschuss für Regulierungskontrolle bisher befasst hat, haben mindestens ein Negativgutachten (=Veto) erhalten (Stand 2022)
  • Obwohl das Gremium zu Neutralität verpflichtet ist, waren (seit seiner Gründung 2015) 90% der 23 Treffen seiner Vorsitzenden mit Vertretern, die aus der Wirtschaft oder wirtschaftsnahen Think Tanks kamen
  • Der AfR soll Expertise aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Bereichen vereinen, jedoch hat der Großteil seiner Mitglieder einen Bildungshintergrund in Wirtschafts- oder Verwaltungswissenschaften [6]

Fallbeispiele und Kritik

2021: Europäisches Lieferkettengesetz

Der Ausschuss für Regulierungskontrolle (AfR) hatte dem Bericht „Inside Job“ von Corporate Europe Observatory (CEO) zufolge, eine Schlüsselrolle in der Verzögerung und Verwässerung des europäischen Vorhabens zur Schaffung verbindlicher unternehmerischer Sorgfaltspflichten in Lieferketten inne. Zweimal hatte der Ausschuss die Folgenabschätzung des Lieferkettengesetzes durch die Kommission in Frage gestellt und somit ein Fortschreiten des Gesetzgebungsprozesses blockiert.

Obgleich der Ausschuss für Regulierungskontrolle stets auf seine Unabhängigkeit verwies, stellten die Europaabgeordneten Lara Wolters, Heidi Hautala, Manon Aubry und Pascal Durand fest: „Aus den offengelegten Dokumenten geht hervor, dass der Ausschuss einer hartnäckigen und scheinbar koordinierten Lobbyarbeit ausgesetzt war, bei der fadenscheinige Behauptungen aufgestellt wurden, dass Elemente der Folgenabschätzung der Kommission gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit verstießen“.[7] Der Bericht von CEO zeigt zudem auf, dass große Wirtschaftsverbände aktiv versucht hatten, Einfluss auf die Entscheidung des AfR zu nehmen. Beispielsweise geht aus der internen Kommunikation des Dänischen Industrieverbands hervor, dass dieser plante: "Leute in der Kommission zu aktivieren, die auf dem Gebiet der ‚Besseren Rechtssetzung‘ arbeiten" um das Gesetz zu verhindern. [8] Laut dem Bericht von Corporate Europe Observatory traf sich darüber hinaus, im November 2020, die damalige AfR-Vorsitzende Veronica Gaffey mit dem französischen Unternehmenslobbyverband AFEP. Der AFEP war zuvor mit der spezifischen Bitte um ein Treffen zum Lieferketten-Dossier an Gaffey herangetreten. Der vorbereitende E-Mail-Verkehr deutet jedoch darauf hin, dass Gaffey stattdessen eine „allgemeine Präsentation zur Arbeit des Ausschusses bei den Gesetzgebungsverfahren der EU“ halten werde. Dies entsprach den Regeln des AfR, nach denen es keine Treffen zu spezifischen Gesetzesdossiers geben soll. Dennoch äußerte der AFEP später dem journalisitischen Medium Mediapart gegenüber, dass mehrere Teilnehmende während des Meetings das Dossier zur Sprache gebracht hätten. Neben dem AEFP waren auch der Dänische Industrieverband, Lobbyagenturen wie #SustainablePublicAffairs und BusinessEurope bemüht, dem Gremium ihre Vorstellungen nahe zu bringen. [9]

Nach Auffassung eines weiteren Reports der NGOs Misereor, Brot für die Welt und dem Global Policy Forum bestätige die spätere Reaktion von Wirtschaftsvertreter*innen diesen Verdacht. So lobte die stellvertretende Direktorin des Verbands der Dänischen Industrie, Kim Haggren, im Dezember 2021 die Entscheidung des Auschussses als Erfolg der eigenen Lobbyarbeit: „Es ist wirklich gut zu sehen, dass die harten Anstrengungen von uns und anderen, [den AfR] über die Regeln zu informieren und sie zu beeinflussen, jetzt offenbar Früchte tragen.“ Zu denken gibt zudem, wie der Ausschuss für Regulierungskontrolle versuchte, ein Gespräch mit dem französischen Wirtschaftsverband AFEP über das Thema der nachhaltigen Unternehmensführung zu verschleiern. Im ursprünglichen Eintrag über dieses Gespräch im EU-Transparenzregister vom 17. Januar 2022 wurde zehn Tage später das Thema nachträglich modifiziert.[10]


Organisationsstruktur und Personal

Arbeitsweise

(übernommen von der offiziellen Website der Europäischen Kommission)

Folgenabschätzungen

Die Stellungnahmen des Ausschusses zu Folgenabschätzungen können „positiv“, „positiv mit Vorbehalten“ oder „negativ“ ausfallen.

Damit eine von einer Folgenabschätzung begleitete Initiative der Kommission zur Annahme vorgelegt werden kann, muss sich der Ausschuss positiv oder positiv mit Vorbehalten dazu äußern. Fällt die Stellungnahme negativ aus, muss der Berichtsentwurf überarbeitet und dem Ausschuss erneut vorgelegt werden, bevor er weitergeleitet werden kann. Nach zwei negativen Stellungnahmen des Ausschusses kann nur der Vizepräsident für institutionelle Beziehungen und Vorausschau die Initiative dem Kollegium vorlegen, damit entschieden werden kann, ob sie weiterverfolgt wird oder nicht.

Folgenabschätzung und Stellungnahme des Ausschusses begleiten den Vorschlag für eine Initiative während des gesamten politischen Entscheidungsprozesses der Kommission.

Evaluierungen

Die Stellungnahmen des Ausschusses zu Evaluierungen können „positiv“, „positiv mit Vorbehalten“ oder „negativ“ ausfallen.

Eine negative Stellungnahme verhindert nicht den Abschluss von Eignungsprüfungen oder Evaluierungen und die Veröffentlichung der entsprechenden Berichte. Diese können dem Ausschuss jedoch auf freiwilliger Basis für eine zweite Stellungnahme vorgelegt werden. In beiden Fällen wird von der zuständigen Dienststelle erwartet, dass sie ihre Berichte überarbeitet und dabei die Empfehlungen des Ausschusses berücksichtigt.

Der Ausschuss prüft nicht alle Evaluierungen der Kommission. Jedes Jahr wird je nach Relevanz und politischen Prioritäten der Kommission eine Auswahl wichtiger Evaluierungen getroffen. Eignungsprüfungen werden dem Ausschuss immer zur Stellungnahme vorgelegt.

Alle Folgenabschätzungen und die zugehörigen Stellungnahmen des Ausschusses werden online veröffentlicht, sobald die Kommission den entsprechenden Vorschlag verabschiedet hat. Berichte über Evaluierungen und Eignungsprüfungen sowie die zugehörigen Stellungnahmen des Ausschusses werden ebenfalls online veröffentlicht.[11]

Personal

Dem Ausschuss gehören 7 Mitglieder an:

  • ein Vorsitzender – Generaldirektor einer Kommissionsdienststelle
  • drei hochrangige Kommissionsbeamte
  • drei externe Sachverständige

Alle Mitglieder sind in Vollzeit für den Ausschuss tätig und nehmen keine andere politische Verantwortung wahr. Ihr dreijähriges Mandat kann unter außergewöhnlichen Umständen um höchstens ein Jahr verlängert werden

  • Mitglieder (Stand 2022)[12]
    • Vorsitz: Rytis Martikonis
    • James Morrison
    • Dorota Denning
    • Michael Gremminger
    • Philippe Mengal

Geschichte

Die Entstehungsgeschichte des Ausschusses für Regulierungskontrolle gründet in einer größeren Entwicklung der Liberalisierungspolitik der Europäischen Union und den dazugehörigen Deregulierungsbestrebungen.

In den 1980er und 1990er Jahren war vor allem die Tabaklobby ein prominenter Befürworter der Schaffung sogenannter Folgenabschätzungsberichte von Gesetzen. Dieser Befürwortung lag v.a. der Gedanke zugrunde, dass die finanziellen Kosten, die durch eine neue Regulierung für Unternehmen entstehen, einfacher zu messen sind, also die möglichen Effekte der Nicht-Regulierung für Mensch und Umwelt. 1990 wurde dieses Konzept der Kosten-Nutzen- Rechnung vom industriefinanzierten Think Tank European Policy Centre (EPC) weiter gefördert und fand so über den 1997 beschlossenen Vertrag von Amsterdam Einzug in die Europäische Rechtspraxis. 2011 wurde diese Praxis auf das Drängen des European Round Table of Industrialists einen Schritt weiter in Richtung Institutionalisierung geschoben. Zugleich leitete von 2007-14 der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber eine Arbeitsgruppe zum Thema der "Besseren Regulierung", die aus 15 Mitgliedern bestand, deren Großteil direkt aus der Industrie kamen oder enge Verbindungen dorthin pflegten. Durch diese und weitere Bestrebungen wurde das Narrativ der "besseren Regulierung" in der EU Stück für Stück verstetigt. [13]

Seit 2015 findet die Überprüfung von Gesetzen durch den Ausschuss für Regulierungskontrolle in einem institutionalisierten Format statt. [14]

Weiterführende Informationen

Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus

https://www.lobbycontrol.de/newsletter-lobbypedia/https://twitter.com/lobbycontrolhttps://www.facebook.com/lobbycontrolhttps://www.instagram.com/lobbycontrolVernetzen

Einzelnachweise

  1. Ausschuss für Regulierungskontrolle ec.europa.eu
  2. Inside Job, S.20 bund.net, juni 2022
  3. NGO-Report: Wie EU Lobbyisten ein Gesetz verwässern abdenblatt.de vom 08.06.2022, abgerufen am 01.11.2022
  4. Corporate sustainability due diligence ec.europa.eu
  5. Für ein tieferes Verständnis der "besseren Rechtsetzung" und ihrer Ursprünge findet sich hier ein Hintergrundartikel: Corporate Europe Observatory. 'Better Regulation': corporate-friendly deregulation in disguise. Aktualisiert 17. Februar 2020. https://corporateeurope.org/en/better-regulation-corporate-friendly-deregulation-disguise
  6. Inside Job corporateeurope.org vom 08.06.2022, abgerufen am 03.11.2022
  7. EPs Wolters, Hautala, Aubry and Durand: “The Regulatory Scrutiny Board still has questions to answer on Due Diligence delay" responsiblebusinessconduct.eu vom 21.01.2022, abgerufen am 03.11.2022
  8. Inside Job, S 18 corporateeurope.org, vom 08.06.2022
  9. Inside Job, corporateeurope.org, vom 08.06.2022
  10. Deutsche Wirtschaftslobby gegen wirksames EU-Lieferkettengesetz S. 4, misereor.de, von Februar 2022
  11. Ausschuss für Regulierungskontrolle ec.europa.eu, abgerufen am 04.11.2022
  12. Members of the Regulatory Scrutiny Board ec.europa.eu, abgerufen 04.11.2022
  13. 'Better Regulation': corporate-friendly deregulation in disguisecorporateeurope.org vom 18.02.2020, abgerufen am 03.11.2022
  14. Ausschuss für Regulierungskontrolle ec.europa.eu, abgerufen am 04.11.2022

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