Lobbyismus in der EU

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In der Europäischen Union haben zahlreiche Gesetze mit zentraler Bedeutung für Gesellschaft und Umwelt ihren Ursprung – wie die Sicherheit von Nahrungsmitteln, die Bekämpfung des Klimawandels oder die Regulierung der Finanzmärkte.

Betroffen sind von diesen Gesetzen auch zahlreiche Großindustrien. Großunternehmen haben daraus längst Schlüsse für ihre Lobbyarbeit gezogen und sind mit ihren Lobbyniederlassungen und Wirtschaftsverbänden in Brüssel präsent. Organisationen der Zivilgesellschaft haben ihre Präsenz in den vergangenen Jahren zwar ebenfalls steigern können – verglichen mit den Ressourcen europäischer und internationaler Großunternehmen bleiben ihre Einflussmöglichkeiten aber eher gering.

Nimmt man aufgrund der Daten im EU-Transparenzregister eine konservative Schätzung vor, kommt man zu einer Zahl von mehr als 30.000 LobbyistInnen, die in Brüssel arbeiten. Ein Großteil von ihnen ist im Auftrag von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden tätig.

Das gemeinsame Transparenzregister von EU-Kommission und EU-Parlament zählte im Juli 2018 11814 Lobbyorganisationen.[1]

Brüssel gilt heute nicht nur als die Hauptstadt der Europäischen Union. Sondern nach Washington auch als zweitgrößte Anlaufstelle für Lobbyisten. Eine enorme Fülle an politischem Einfluss der Unternehmen ist zu beobachten. Die extrem hohe Präsenz und die großen Ressourcen, die für die Lobbyarbeit eingesetzt werden, sind dafür ein Grund. Daneben gibt es allerdings zahlreiche weitere.

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Einflussnahme auf die Europäische Kommission

Die EU-Kommission ist die einzige Institution in der EU mit Gesetzgebungskompetenz. Bei ihr nehmen also Richtlinien und Verordnungen normalerweise ihren Ausgang. Daher ist sie der erste Anlaufpunkt für Lobbyakteure.

Privilegierter Zugang zur EU-Kommission

Transparenz-Initiativen beobachten vor allem die privilegierten Zugänge kritisch, die Vertreter und Lobbyisten der Großunternehmen und der Wirtschaftsverbände zur Kommission genießen. Spätestens seit der Gründung des Europäischen Binnenmarkts spielt der Gedanke der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Raums eine zentrale Rolle in der Politik der europäischen Institutionen.

Über Jahre hinweg und durch zahlreiche Lobbykampagnen ist es einflussreichen Lobbygruppen wie dem European Roundtable of Industrialists (ERT), aber auch dem Arbeitgeber-Dachverband Businesseurope und globalen Konzernen gelungen, diesen Wettbewerbsgedanken prioritär in Strategien (Lissabon-Strategie, Europa 2020) und Vertragsanhängen[2] zu verankern. Die Europäische Kommission pflegt schon dadurch einen sehr engen Austausch mit den großen Wirtschaftsverbänden und den Eliten der europäischen Konzerne. Es ist völlig normal, dass die großen Verbände zu politischen Vorhaben in ihrem Bereich als erste informiert werden, und die Kommissare gehen regelmäßig zu Veranstaltungen und Vorträgen der Unternehmen und Verbände, um zu sprechen und zuzuhören.[3]

Wer nicht von Haus aus mit mindestens einem Kommissar oder seinem Generaldirektor einen engen Austausch pflegt, kann sich über das Anheuern einer Lobbyagentur oder die Anstellung eines Seitenwechslers Zugang verschaffen.

Zugang über Expertengruppen

Einen weiteren privilegierten Zugang haben Unternehmen und Wirtschaftsverbände über die Expertengruppen der EU-Kommission. Die Kommission, als bürokratisches Monster verschrien, hat selber bei weitem nicht ausreichend Experten für all ihre speziellen Gesetzesanliegen. Mit etwa 30.000 Mitarbeitern hat sie weit weniger Personal als beispielsweise die Stadt Hamburg. Zur Lösung dieses Problems setzt sie so genannte Expertengruppen ein, um Expertise für ein bestimmtes Vorhaben zu erhalten. Es gibt etwa 1.000 davon bei der Europäischen Kommission. Sie haben großen Einfluss auf die Formulierung von Vorschriften und Richtlinien. Daher ist es so relevant, wie sie besetzt sind. Hier können Lobbyakteure zum frühesten Zeitpunkt Pflöcke einschlagen, die so leicht nicht wieder umzuwerfen sind. Die Unternehmen und Wirtschaftsverbände, gut ausgestattet mit Personal, geben ihre Expertise gerne. Denn sie wissen, dass man neue Gesetze am effektivsten beeinflusst, bevor sie entstehen.

Einflussnahme auf das Europäische Parlament

Das Europäische Parlament hat seit dem Vertrag von Lissabon sehr viel an Macht hinzugewonnen, in den allermeisten Bereichen entscheidet es jetzt mit. Es kann Vorschläge der EU-Kommission genehmigen, ändern und in manchen Fällen sogar blockieren. Dadurch ist es zu einem wichtigen Adressaten für LobbyistInnen geworden.

Einflussnahmen über Expertise

Lobbyagenturen, Rechtsanwaltskanzleien usw. helfen den Abgeordneten gerne, die Komplexitäten von Richtlinien und die Bedürfnisse ihrer Auftraggeber zu verstehen. Dabei ist die Darstellung natürlich geprägt von den eigenen Interessen. Viele Lobbyakteure sehen es als Service, Änderungsvorschläge direkt in Form eines Änderungsantrags einzureichen – ein Service, den Nichtregierungsorganisationen in dieser Masse nicht bieten können. Bei stark umstrittenen Richtlinien kann es durchaus 1.000 bis 1.500 Änderungsanträge geben.[4]

Einflussnahme über Intergroups

Zahlreiche Abgeordnete im Europäischen Parlament lassen sich allerdings ganz bewusst für die Interessen der Industrie einspannen.[5] Ein typisches Format der Zusammenarbeit sind so genannte Intergroups, interfraktionelle Arbeitsgruppen, von denen es etwa 60-80 im Europäischen Parlament geben dürfte. Viele von ihnen sind eigentlich Lobbyplattformen.[6] Abgeordnete verschiedener Fraktionen treffen sich hier mit Vertretern von Unternehmen zu Arbeitsfrühstücken, Businesslunches, Cocktailabenden. Häufig gibt es fachliche Vorträge. Derartige Aktivitäten, aber auch die normalen Veranstaltungen werden durch die Unternehmen, die Mitglieder sind, finanziert.

Einzelne Abgeordnete und Nebentätigkeiten

Nicht wenige Abgeordnete im Europäischen Parlament gehen neben ihrem Mandat einer weiteren Tätigkeit nach. Unter den deutschen Abgeordneten sind dies ca. 25%.(Quelle ?) Nicht bei allen entsteht dadurch sofort ein Interessenkonflikt. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass Abgeordnete bestimmte Interessen besonders vertreten. Es ist auch grundsätzlich nicht problematisch, seine Landwirtschaft oder die Arztpraxis, die Tätigkeit, in der man zuvor gearbeitet hat, weiterzuführen, sofern sich dies mit der Tätigkeit als Abgeordnete/-r zeitlich vereinbaren lässt. Fragen werfen alle Tätigkeiten auf, durch die Geld oder andere Leistungen eines Akteurs mit einem klaren Interesse an EU-Politik (Unternehmen, Verbände etc.) an den oder die Abgeordnete fließen.

Fragwürdige Methoden der Einflussnahme

Zusätzlich zu den ungleichen Machtverhältnissen und den privilegierten Zugängen sind es vor allem die großen Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die sich das Beauftragen professioneller Lobbyagenturen leisten können: Diese stellen nicht nur ihre gut gefüllten Adressbücher zur Verfügung – darunter zahlreiche ehemalige Kommissar/-innen und hohe Kommissionsbeamte sowie ehemalige Abgeordnete und deren Personal. Sie verfügen auch über die besten „Spin Doctors“ und gut gefüllte Trickkisten mit Lobbystrategien, die oft jenseits der Grenzen ethisch korrekter Lobbyarbeit liegen.

PR-Agenturen wie unter anderem Burson-Marsteller oder Fleishman-Hillard helfen gerne, wenn es zum Beispiel darum geht, handfeste Industrieinteressen in das Mäntelchen von Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft oder wenigstens eines Teils von ihr zu kleiden. Da werden zum Beispiel so genannte „Front Groups“ gegründet – unter anderem in Form wissenschaftlich klingender Initiativen wie das Bromine Science and Environment Forum. In Wahrheit wird hier die Lobbyarbeit gegen das Verbot bromierter Flammschutzmittel von Burson Marsteller koordiniert und von den vier weltgrößten Herstellern von bromierten Flammschutzmitteln bezahlt. Die Öffentlichkeit sieht zunächst nicht, wessen Interessen dahinterstecken. Auch das Vortäuschen von Bürgerinitiativen ist eine immer wieder angewendete Strategie.[7] [8]

Auch die Arbeit zahlreicher Denkfabriken ist zu hinterfragen. So erhielt die Brüsseler Denkfabrik Center for the New Europe 2003 und 2004 insgesamt 120.000$ für seine „Aufklärungsbemühungen“ zur Erderwärmung durch den Ölgiganten Exxon Mobil. [9]


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Einzelnachweise

  1. EU-Transparenzregister, abgerufen am 16.07.2018.
  2. EU-Vertrag von Amsterdam, Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“, Abs. 9. Demnach muss die EU-Kommission, bevor sie neue Rechtsvorschriften erlässt, „umfassende Anhörungen durchführen“ und zudem dafür Sorge tragen, dass „die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand (…) der Wirtschaft und der Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen“.
  3. ALTER-EU: Bursting the Brussels Bubble - The Battle to expose corporate lobbying at the heart of the EU, Brussels, 2010
  4. zum Beispiel bei der Richtlinie REACH, vgl.: Adamek, Sascha; Otto: Kim: Der gekaufte Staat: S.
  5. Spinwatch: Too Close for comfort, Spinwatch, UK, Juli 2008, abgerufen am 12.12.2012
  6. Lobbying under the radar, www.corporateeurope.org vom 24.5.2011, abgerufen am 12.12.12
  7. Astroturf: Eine neue Lobbystrategie in Deutschland, Anna Irmisch, Seite 23, 2011 Verlag für Sozialwissenschaften
  8. Campaign for Creativity erhält Worst-EU-Lobby-Award,www.lobbycontrol.de vom 16.12.05, abgerufen am 10.12.12
  9. Centre for the New Europe,www.soucewatch.org abgerufen am 10.12.12

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