Lobbyismus
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Das Wort Lobbyimus kommt von Lobby – dem alten englischen Ausdruck für die Vorhalle des Parlaments. Dass Interessengruppen ihre Anliegen zu Gehör bringen und ihre Wünsche und Bedenken in die politische Entscheidungsfindung einbringen, ist ein legitimer Bestandteil von Demokratie. In seiner heutigen Ausprägung bringt der Lobbyismus jedoch die Demokratie in Bedrängnis.
Inhaltsverzeichnis
Lobbyismus – Was ist das und wer macht das?
Die Anzahl der Lobbyisten in Berlin ist unbekannt. Schätzungen gehen von etwa 5.000 aus. Allein auf der Verbändeliste des Deutschen Bundestages sind 2174 Verbände registriert, die regelmäßig zu Anhörungen eingeladen werden. Sie beinhaltet die verschiedenen Branchenverbände wie den Verband der Chemischen Industrie VCI oder den Verband der Automobilindustrie VDA, die Spitzenverbände der Wirtschaft wie den Bundesverband der Deutschen Industrie BDI oder den Zentralverband des Deutschen Handwerks ZDH, Gewerkschaften wie die IG Metall oder Nichtregierungsorganisationen wie z.B. auch LobbyControl.
Damit erfasst die Verbändeliste aber nur einen Teil der Lobbyisten. Immer mehr Großunternehmen eröffnen eigene Lobbybüros, um eigenständig Einfluss auf die Politik zu nehmen. Es gibt bereits über 100 solcher Unternehmensrepräsentanzen in Berlin. Ein weiterer Wachstumsbereich, der in der Liste des Bundestags ebenfalls nicht auftaucht, sind die zahlreichen Lobby-Agenturen, Beraterfirmen und in jüngerer Zeit zunehmend Anwaltskanzleien, die auch Lobbydienstleistungen anbieten. Diese übernehmen teilweise die politische Interessenvertretung für Unternehmen oder Verbände, die keine eigenen Büros in Berlin haben. Sie werden aber auch von großen Verbänden und Unternehmen zusätzlich mit einzelnen Lobbyaufgaben oder Öffentlichkeitskampagnen beauftragt. Bei ihnen kann man alles einkaufen: die Organisation von Lobbytreffen mit Politikerinnen; öffentliche Meinungsmache – auch zur Imageverbesserung bei Krisen; die laufende Beobachtung der politischen Prozesse und der Medien, um frühzeitig reagieren zu können; oder auch die Formulierung ganzer Gesetzesentwürfe, die dann in die Politik eingespeist werden.
Ein enges Verständnis von Lobbyismus beschreibt nur die direkte und zumeist abseits der Öffentlichkeit stattfindende Beeinflussung politischer Entscheidungsträger. In den letzten Jahren gewinnt eine weitere Dimension an Bedeutung: die indirekte Einflussnahme auf die Politik über die Beeinflussung der Öffentlichkeit. Unter dem Begriff „Public Relations“ oder – zusammengefasst mit klassischem Lobbyismus und juristischer Beratung – „Public Affairs“ bieten Agenturen ihre Dienstleistungen an, oder Unternehmen schaffen eigene Abteilungen, die sich dieser Form der politisch motivierten Imagepflege oder Meinungsmache widmen. Dazu kommen Stiftungen oder sogenannte Denkfabriken (Think Tanks), die – oftmals unter dem Deckmantel scheinbarer Neutralität oder auch einer gemeinnützigen Organisationsform – darauf abzielen, mit langfristigen Strategien Einstellungen der Bevölkerung und der politischen Eliten zu beeinflussen. Diese Strategien werden im Englischen bisweilen als „deep lobbying“ beschrieben. Sie zielen darauf ab, die Stimmung und Diskurse in der Gesellschaft generell zu beeinflussen, über einzelne Gesetzesverfahren hinaus. Dabei ist oft schwer zu erkennen, wer hinter scheinbar wissenschaftlichen Studien steht oder Stimmungskampagnen finanziert. Beispiele sind die Arbeitgeberkampagne Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder die massive finanzielle Unterstützung klimaskeptischer Denkfabriken durch den Ölkonzern ExxonMobil.
An wen richtet sich Lobbyismus?
Die Vermittlung der eigenen Interessen gegenüber den Abgeordneten erfolgt zum Einen in öffentlichen Anhörungen, zu denen Vertreter von Interessengruppen eingeladen werden, um ihre Stellungnahmen abzugeben. Zusätzlich stehen Lobbyistinnen auch in direktem Kontakt zu Abgeordneten und insbesondere auch zu deren Mitarbeitern. Mit Einladungen zu Informationsveranstaltungen, Parlamentarischen Abenden, Empfängen oder einfach zum Mittagessen werden Kontakte geknüpft und gepflegt. Das Interesse ist dabei nicht nur einseitig: Es gehört zum zentralen Tätigkeitsbereich eines Abgeordneten, die verschiedenen Stimmen derer anzuhören, die von neuen Gesetzen betroffen sind. Leider kommen dabei häufig nicht alle und nicht in gleichem Maße zu Wort. Manchmal ist der Besuch beim Abgeordneten auch gar nicht nötig: Manche Funktionäre von Verbänden oder Aufsichtsräte von Unternehmen sitzen selber als Abgeordnete im Parlament, nicht selten auch gleich in den Ausschüssen, die ihren Neben-Arbeitgeber betreffen.
Noch wichtiger als der Kontakt zum Parlament ist jedoch ein guter Draht zur Regierung, also in Ministerien und Kanzleramt, um ein Gesetz bereits in seiner Entstehungsphase zu beeinflussen. Denn drei von vier Gesetzen werden in den Ministerien entworfen und gelangen erst in einer späteren Entscheidungsphase ins Parlament. Die großen Weichen sind dann meist schon gestellt. Auch hier sind die Anhörungen, zu denen die Ministerialbeamten betroffene Interessengruppen einladen, nur der offizielle Teil der Einflussnahme. Daher ist es für Lobbyisten wichtig, gute Kontakte zur Arbeitsebene der Ministerien, also zu Abteilungen und Referaten zu pflegen, wo mit dem ersten Entwurf die Grundlinien neuer Gesetze und Verordnungen gezogen werden. In besonders wichtigen Angelegenheiten – die richtigen Beziehungen vorausgesetzt – treffen sich Cheflobbyisten oder Konzernchefs mit den Staatssekretären, den Ministern oder auch einmal der Kanzlerin.
Neben Politikern und Beamten in den Ministerien ist mehr und mehr auch die Öffentlichkeit erklärter Adressat von Lobbyaktivitäten. Nicht immer geht es dabei um konkrete politische Entscheidungen – wie etwa die von massiven Lobbyaktivitäten der Atomindustrie begleitete Diskussion um die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken. Häufig zielen Lobbykampagnen, die sich an die Öffentlichkeit richten, eher auf eine Veränderung der „Stimmung“ in der Bevölkerung. Mit Slogans wie „Wir haben keine Wahl“ (INSM) oder „Mehr Mut zum Markt“ (Stiftung Marktwirtschaft) soll der Rückbau des Sozialstaates – der dann schönfärberisch „Umbau“ heißt – in den Köpfen der Menschen als unumgänglich und zu ihrem eigenen Wohl geschehend verankert werden.
Wie Lobbyisten arbeiten
Gut gepflegte persönliche Kontakte ein wichtiger Bestandteil von Lobbyareit. Mindestens ebenso bedeutend ist die gründliche Beobachtung politischer Prozesse, die Grundlage jeder Einflussnahme. Um rechtzeitig eingreifen zu können, ist es wichtig zu wissen, welche Themen in nächster Zeit auf der politischen Tagesordnung stehen werden. Daher gilt es, etwa Parteitagsdebatten intensiv auszuwerten, die (zukünftigen) Schlüsselpersonen zu identifizieren oder frühzeitig in den Besitz politischer Thesenpapiere zu gelangen. Ziel ist es, Probleme zu identifizieren und auszuräumen, bevor sie überhaupt auftauchen. Lobbyarbeit bedeutet nicht nur, die eigenen Interessen in sich anbahnenden Gesetzen oder Verordnungen unterzubringen, sondern auch ungeliebte Gesetzesvorschläge von vornherein zu verhindern. So informieren Unternehmen die Politik häufig im Vorfeld über möglicherweise strittige Pläne oder Investitionsentscheidungen, um politische „Querschüsse“ gegen das Unternehmen zu vermeiden.
Gute Informationen, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle eingebracht, helfen, sich als Ansprechpartner zu profilieren, um auch in den zukünftigen Prozess eingebunden zu werden. Positionspapiere und Stellungnahmen werden aufgefordert (zur Vorbereitung von Anhörungen) oder unaufgefordert bei Abgeordneten oder Ministerien eingereicht. Knapp und präzise gefasst, liefern sie den zeitknappen Politikern Argumente und Positionen. Um Ideen direkt in den Bundestag einzuspeisen, nutzen Lobbyistinnen gerne die Zusammenarbeit mit Oppositionsparteien. Diese können im Parlament Anfragen an die Bundesregierung stellen. Interessenvertreter, die nahestehende Abgeordnete oder deren Mitarbeiter für ihre Sache gewinnen, können oft selbst die Fragen entwerfen, die dann unter dem Namen des Abgeordneten ins Parlament getragen werden.
Mit ihrer Arbeit stehen Lobbyisten nur ungern im Rampenlicht. Damit bleibt oft unklar, wer für wen die Strippen zieht. Die Bürgerinnen können nicht nachvollziehen, wie Einfluss auf die Politik genommen wird und wer mit welchen Mitteln oft gegen ihre Belange arbeitet.
Irreführende Lobbyarbeit und Greenwashing
Wenn der Verband der Chemischen Industrie eine Stellungnahme abgibt, ist allen klar, dass es hier um die Wahrung der Interessen der Chemieindustrie geht. Immer wieder werden jedoch Kampagnen von Agenturen oder Organisationen durchgeführt, ohne dass für die Öffentlichkeit ersichtlich ist, wer – finanziell und mit welchen Interessen – dahinter steckt. Auch das „Greenwashing“ des eigenen Images dient nicht der Information, sondern der Irreführung der Öffentlichkeit.
Interessenkonflikte
Abgeordnete können neben ihrem Mandat weiteren Tätigkeiten nachgehen. Das wird zu einem Problem, wenn unklar ist, in wessen Namen sie im Bundestag arbeiten und sprechen – im Namen ihrer Wählerinnen und Wähler oder im Interesse ihrer Nebenjob-Arbeitgeber.
Auf verschiedenen Wegen haben insbesondere finanzstarke Interessengruppen besonderen Zugang zur Arena der politischen Entscheidungsfindung. Politiker, die von ihrem politischen Amt in eine Lobbytätigkeit wechseln, nehmen die Kontakte zu ihren Ex-Politikerkollegen und ihr Insider-Wissen mit in ihren neuen Job. Die „externen Mitarbeiter“ in den Ministerien sind in großer Überzahl aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, während soziale- und Umweltinteressen buchstäblich vor der Tür bleiben. Auch viele Kommissionen, in denen politische Entscheidungen unter Mitwirkung von externen „Experten“ vorbereitet werden, sind in dieser Weise einseitig besetzt.
Ungleiche Ressourcen und Zugängen
In Fällen von Korruption oder eindeutig manipulativen Methoden wird schnell und aus allen politischen Lagern deutliche Kritik laut. Auch Forderungen nach mehr Transparenz sind schnell formuliert – werden dann aber selten oder nur unzureichend umgesetzt. Umfassende Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse und der Arbeit der Lobbyisten wäre ein wichtiger Schritt, um Einflussnahme sichtbar zu machen und die Irreführung der Öffentlichkeit und der Entscheidungsträgerinnen zu erschweren.
Zugleich kann sich die Kritik des heutigen Lobbyismus’ nicht nur auf die „Werkzeugkiste“ der Lobbyisten beschränken und sich in der Forderung nach mehr Transparenz erschöpfen. Sie muss auch aufgreifen, dass unterschiedliche gesellschaftliche Interessen ungleiche Ressourcen und ungleiche Zugänge zu Politik und Medien haben. Ebenso, dass sich die Strukturen staatlicher Politik verändern und vielfach informeller und elitärer werden. Angesichts dieser Entwicklungen ist das viel beschworene Ideal einer pluralistischen Interessenaushandlung, bei der am Ende das beste Argument zählt, ein realitätsfernes Zerrbild.
Mehr Transparenz kann deshalb nur ein erster Schritt sein. Ein zweiter Ansatz wären Schranken für besonders problematische Lobby-Instrumente und Phänomene wie fliegende Seitenwechsel von Politikern, die besonders finanzstarken Interessengruppen nutzen. Darüber hinaus braucht Demokratie die breite Teilhabe vieler Bürgerinnen als Gegengewicht zu einseitigen Einflussnahmen.
Entwicklung und Charakteristika
Der Kontext, in dem Lobbying stattfindet, formt den Charakter und die Methoden, aber auch die Einflusschancen von Lobbyarbeit. Viele sprechen von einem Wandel der politischen Kultur seit dem Wechsel von der „Bonner Republik“ zur „Berliner Republik“. Es sind aber verschiedene Entwicklungen der jüngeren Zeit, die Art und Umfang heutiger Politikbeeinflussung prägen.
Europäisierung und Globalisierung
In den letzten Jahrzehnten wurden politische Zuständigkeiten von der nationalen Ebene weg auf internationale Ebenen verschoben. Staats- und Regierungschefs sowie Ressortminister der G8-Staaten als informelles globales Führungsgremium verständigen sich auf grundsätzliche Linien der Politik bei globalen Fragestellungen; die Welthandelsorganisation prägt globale Wirtschaftsbeziehungen; die Gremien und Institutionen der EU haben inzwischen bei einer Vielzahl von politischen Verhandlungen und Entscheidungen ein Wörtchen mitzureden. Die Entscheidungsstrukturen sind somit komplexer und undurchsichtiger geworden und haben eine größere Distanz zu den Bürgerinnen.
Verbände, Unternehmen und Lobby-Dienstleister versuchen, sich mit ihren Lobbystrukturen und -methoden diesen Entwicklungen anzupassen. Viele Verbände und Unternehmen haben inzwischen eine Repräsentanz in Brüssel. Global agierende und vernetzte Lobbyagenturen und Kanzleien bieten ihre Dienste an; auch die kleinen Agenturen bemühen sich um eine stärkere Vernetzung und internationale Partner. Politik wird nicht mehr nur vor der eigenen Haustür beeinflusst, sondern falls erforderlich, auch am anderen Ende der Welt. Diese Entwicklung hat den Einfluss finanzstarker und international agierender Unternehmen gestärkt, während die Vertretung anderer stärker national ausgerichteter Interessen schwieriger geworden ist. Für die normalen Bürgerinnen wird es komplizierter, sich in diese mehrstufigen Politikprozesse einzubringen.
Auch die Entgrenzung der Märkte hat die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Kapitalseite verschoben. Produktionsstandorte werden verlegt, Gewinne steuersparend zwischen Tochtergesellschaften verschoben und Aktienkurse besser umsorgt als die eigenen Angestellten. Die „Standortfrage“ ist zu einem gewichtigen Argument geworden, egal ob es um die Geschwindigkeit der Ausbildung, die Höhe der Besteuerung oder um Umweltstandards geht.
Privatisierung von Politik
Private Interessen bekommen im Zuge der Privatisierung und Internationalisierung staatlicher Aufgaben zunehmend direkten Zugriff auf vormals politische Entscheidungsräume. Dies gilt nicht nur für die (Teil-)Privatisierung von staatlichen Unternehmen wie Bahn, Post und öffentlichen Gütern wie etwa Bildung oder der gesetzlichen Gesundheits- und Rentenvorsorge. Auch politische Entscheidungen selbst werden häufiger in private Hände gelegt: Kommissionen wie etwa die Hartz- oder die Rürup-Kommission werden eingesetzt und mit Wissenschaftlern und zu Experten ernannten Interessenvertretern besetzt, die oft nicht neutral und nicht nur dem Erkenntnisgewinn verpflichtet sind. Ihnen wird häufig aufgrund spezifischer Expertise eine scheinbar außerhalb der politischen Auseinandersetzung stehende Objektivität zugeschrieben. Faktisch strukturieren die Auswahl und die Zusammensetzung von solchen Expertengruppen und Kommissionen politische Entscheidungen vor. Einmal erzielte Ergebnisse werden dem Parlament häufig nur noch als Gesamtpaket vorgelegt und können als solches verabschiedet oder abgelehnt werden, nicht aber eigenständig und anders entwickelt werden.
Auch der Bereich der Politikberatung durch private Beraterfirmen oder Unternehmensberatungen ist auf Wachstumskurs. Diese beschränken sich längst nicht mehr auf fachspezifische Ratschläge zu technischen oder wissenschaftlichen Detailfragen, sondern entwickeln ganze Politikkonzepte oder organisieren politische Abstimmungsprozesse. So arbeitete die große Unternehmensberatung Roland Berger erst in der Hartz-Kommission mit und sollte anschließend von der Bundesanstalt für Arbeit zu Rate gezogen werden, wie die Hartz-Konzepte in der Praxis umzusetzen seien. Die Bertelsmann-Tochter Arvato ist in Würzburg in die Gemeinde-Verwaltung eingestiegen und macht den Bürger zum Kunden. Auch in den Bundesministerien arbeiten so genannte „externe Mitarbeiter“ aus der Privatwirtschaft mit. Immer wieder konnten sie dabei an Gesetzen mitwirken, die ihre eigenen Unternehmen betreffen. Solche Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen verkleinern den demokratischen Raum. So gibt es immer weniger Bereiche, in denen die demokratische Willensbildung und der Einfluss von politischen Mehrheiten zählen.