Nebeneinkünfte von Abgeordneten
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Bundestagsabgeordnete können unbegrenzt Nebentätigkeiten aufnehmen und Nebeneinkünfte erzielen. Das wirft immer wieder die Frage nach möglichen Interessenkonflikten und der Unabhängigkeit der Abgeordneten auf. Tatsächlich hatten in letzten Legislaturperiode (2009-2013) 193 der 620 Bundestagsabgeordneten neben ihren Diäten zusätzliche Einkünfte, 126 geben einen Nebenverdienst in der Höchststufe 3 an, also über 7.000 Euro (Stand: Okt 2012).[1]
Die Angaben für den neuen Bundestag werden erst drei Monate nach der Konstituierung des Bundestages - also Ende Januar 2014 - veröffentlicht.
Seit dem 5. Juli 2007 können die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten in groben Stufen auf der Webseite des Bundestags eingesehen werden. Auslöser der 2005 verabschiedeten Transparenzregeln waren mehrere Skandale, die 2004 und 2005 publik wurden: Abgeordnete hatten hohe Summen von bekannten Wirtschaftsunternehmen wie RWE, Siemens oder VW erhalten – und konnten dafür weder glaubhaft Gegenleistungen nachweisen noch die jeweiligen Summen in ihrer Höhe rechtfertigen.
Die Regeln waren allerdings lückenhaft: die Stufenregelung endete z.B. bereits bei 7.000 Euro – ob ein Abgeordneter in einem Nebenjob 7.001 Euro oder 100.000 Euro verdiente, war nicht erkennbar. Nach der Debatte um den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wurde die Stufen erweitert. Auch Vorträge bei Redneragenturen sollen transparenter werden. Andere Transparenzlücken etwa für Anwälte bleiben bestehen.
Inhaltsverzeichnis
Die Problematik von Nebeneinkünften
Artikel 38 des Grundgesetzes legt fest, dass die Abgeordneten „Vertreter des ganzen Volkes“, „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“ und „nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Dies ist nicht so aufzufassen, dass Bundestagsabgeordnete einem objektiv bestimmbaren Gemeinwohl ihre eigene Meinung unterzuordnen hätten. Im Gegenteil sollen in der Anschauung des Grundgesetzes Entscheidungen im Sinne eines umfassenden Gemeinwohls gerade dadurch zustande kommen, dass im Bundestag verschiedene Meinungen und Interessen repräsentiert und in Einklang gebracht werden müssen.
Abgeordnete müssen also nicht neutral sein, und ein Eintreten für bestimmte Einzelinteressen ist durchaus legitim. Finanzielle Abhängigkeiten können allerdings das unabhängige Mandat und seine freie Ausübung gefährden. Wie die Richtergruppe Broß in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2007 betont, zielt das Nicht-Gebundensein an Aufträge und Weisungen auch auf die Unabhängigkeit von Interessengruppen, die mit finanziellen oder anderen Anreizen Sonderinteressen durchzusetzen versuchen. Nur unabhängig von solchen (zahlenden) Interessengruppen können Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes“ sein. Auch eine Berufstätigkeit bietet „vielfältige Möglichkeiten, politischen Einfluss durch ein Bundestagsmandat für die außerhalb des Mandats ausgeübte Berufstätigkeit gewinnbringend zu nutzen, und gerade von dieser Möglichkeit gehen besondere Gefahren für die Unabhängigkeit der Mandatsausübung“ aus.[2]
Mit den Transparenzregelungen sollen daher berufliche und sonstige Verpflichtungen der Abgeordneten neben dem Mandat sowie Einkünfte, die daraus erzielt werden, sichtbar gemacht werden. Wählerinnen und Wähler sollen sich ein Urteil über mögliche Interessenverflechtungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten bilden können.
Beispiele
- Peer Steinbrück (SPD, Ex-Finanzminister) ist vor allem wegen seiner zahlreichen Vorträge in der Kritik.
- Michael Glos (CSU, Ex-Wirtschaftsminister) ist heute Berater eines Finanzinvestors, Mitglied im Beirat der Lobbyagentur Consultum Communications und Aufsichtsrat bei zwei Banken.[3]
- Michael Fuchs, u.a. für den privaten Nachrichtendienst Hakluyt & Company
- Und viele mehr.
Die bestehenden Regeln
In der letzten Sitzung des Bundestags vor seiner Auflösung 2005 beschloss die rot-grüne Mehrheit gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP neue Regeln für Nebentätigkeiten von Abgeordneten. Sie wurden im Abgeordnetengesetz und in den Verhaltensregeln für Abgeordnete festgeschrieben. 2013 wurden die Transparenzregeln nachgebessert:
- Im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten steht die Wahrnehmung seines Mandates, Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art bleiben neben dem Mandat aber zulässig.
- Nebentätigkeiten müssen dem Bundestagspräsidium angezeigt und mit den Einkünften ab 1.000 Euro in pauschalierter Form veröffentlicht werden. Diese Veröffentlichung erfolgt in zehn Stufen bis 250.000 Euro (siehe Tabelle. Bis zur Bundestagswahl 2013 waren es nur drei: Stufe 1 = 1.000–3.500 Euro, Stufe 2 = 3.501–7.000 Euro, Stufe 3 = über 7.000 Euro). Alle Angaben werden im Amtlichen Handbuch und auf den Internetseiten des Deutschen Bundestages veröffentlicht. Die Angaben für die neugewählten Abgeordneten werden erst drei Monate nach der Konstitutierung des Bundestages veröffentlicht.
- Für Vorträge gelten seit 2013 neue Regeln. Danach soll bei Vorträgen künftig auch die Veranstaltung und der Name und Sitz des Veranstalters genannt werden, falls er nicht mit dem Vertragspartner übereinstimmt (betrifft das Problem von Redneragenturen, siehe unten mehr).
- Bei Verstößen kann das Bundestagspräsidium Geldstrafen (Ordnungsgelder) verhängen.
- Abgeordnete dürfen außer Spenden keine Zuweisungen ohne entsprechende Gegenleistungen entgegennehmen.
Die neue Stufenregelung in tabellarischer Übersicht
Stufe | Nebeneinkünfte |
1 | 1000-3.500 € |
2 | bis 7.000 € |
3 | bis 15.000 € |
4 | bis 30.000 € |
5 | bis 50.000 € |
6 | bis 75.000 € |
7 | bis 100.000 € |
8 | bis 150.000 € |
9 | bis 250.000 € |
10 | über 250.000 € |
Eine genauere Darstellung auf der Webseite des Bundestages. Zu der Vorgeschichte der (ersten) Regeln und den Defiziten siehe auch: Nina Katzemich/ Ulrich Müller: Nebentätigkeiten der Bundestagsabgeordneten: Transparenz ungenügend. 2009. LobbyControl-Studie zur Umsetzung der neuen Transparenzregeln (pdf).
Defizite und Nachbesserungsbedarf
- Es gibt weiterhin keine Offenlegung der Nebeneinkünfte auf Euro und Cent. Die zehn Stufen sind zwar eine Verbesserung gegenüber den bisherigen drei Stufen. Aber gerade zwischen 7.000 und 30.000 Euro fallen die Stufen relativ groß aus. Über 250.000 Euro gibt es weiter keine echte Transparenz.
- Für Anwälte und Unternehmensberater schaffen die Regeln in ihrer jetzigen Form und Umsetzung kaum Transparenz. Dabei sind gerade in diesen beiden Berufen Interessenkonflikte mit der Tätigkeit als Abgeordnete/r möglich.
- Die Regeln wurden in den Ausführungsbestimmungen durch die Bundestagsverwaltung unter Bundestagspräsident Norbert Lammert verwässert. Gerade bei Anwälten schöpft Lammert den vorhandenen Spielraum, zumindest Branchenangaben der einzelnen Kunden zu verlangen, nicht aus.
- Die Bundestagsverwaltung verweigert jegliche Auskunft darüber, ob und wie sie die Angaben der Abgeordneten – zumindest stichprobenhaft – prüft. Nach Einschätzung von LobbyControl zeigen die fehlenden Angaben zahlreicher Abgeordneter, dass offensichtlich keinerlei Kontrollen stattfinden. Bei einer Untersuchung 2009 hat LobbyControl in den Angaben der Abgeordneten häufig Lücken gefunden. Zahlreiche Abgeordnete gaben Positionen in Präsidien, Kuratorien oder Beiräten von Interessengruppen nicht an.
- Bekannt gewordene Verstöße gegen die Veröffentlichungspflichten ziehen kaum Sanktionen nach sich.
Aktuelle politische Debatte
Seit längerer Zeit wird immer wieder über eine Reform der Transparenzregeln diskutiert. Dabei sind es nach Einschätzung von LobbyControl vor allem Union und FDP, die sich gegen striktere Regeln wehren. Im April 2011 schlug die Rechtstellungskommission des Bundestages eine Neuregelung vor, die Nebeneinkünfte von Abgeordneten über 10.000 Euro pro Jahr besser sichtbar macht. Dieser Verbesserung stand aber eine skandalöse neue Transparenzlücke gegenüber: Einkünfte unter 10.000 Euro sollten überhaupt nicht mehr bekannt gegeben werden, auch wenn sie in der Summe aus verschiedenen Aufträgen erhebliche Beträge ausmachen und durchaus eine finanzielle Abhängigkeit von einer bestimmten Branche bedeuten könnten.[4] Diese Regelung wurde nach Protesten von LobbyControl, Transparency International, Campact und Mehr Demokratie zurückgezogen. Die Politiker sprachen damals von einem Formulierungsfehler oder Missverständnis, das man korrigieren wolle.[5]
Im Juni 2012 waren die Transparenzregeln für Nebeneinkünfte erneut Thema im Bundestag. Eine Entscheidung fiel allerdings nicht, das Thema wurde vertagt. Nach Angaben aus Oppositionskreisen sperrte sich vor allem die FDP gegen strengere Vorschriften.[6]
Steinbrück-Debatte führt zu Fortschritten
Erst Steinbrücks Kanzlerkandidatur brachte Bewegung in die Sache. Union und FDP kamen unter Druck, weil sie von Steinbrück Transparenz einforderten, aber selbst jahrelang eine Neuregelung blockiert hatten. Angesichts des steigenden öffentlichen Drucks beschloss die Rechtsstellungskommission im Bundestag im Oktober mit schwarz-gelber Mehrheit eine verbesserte Regelung: Nebeneinkünfte sollen in 10 Stufen bis 250.000 Euro offengelegt werden. Bisher gab es nur 3 Stufen: die dritte Stufe galt für alle Einkünfte über 7.000 Euro. Die Oppositionsparteien hatten sich unserer Forderung nach einer Offenlegung auf „Euro und Cent“ angeschlossen, wurden aber überstimmt. Dennoch sind die erweiterten Stufen ein wichtiger Meilenstein.[7]
Am 14.03.13 wurde die Regelung endgültig im Bundestagsplenum beschlossen. Aber so, dass sie erst nach der Bundestagswahl 2013 in Kraft trat. Nebeneinkünfte unter 1.000€ werden weiterhin nicht zu veröffentlichen sein.[8]
Zusätzlich zu den erweiterten Nebeneinkünfte-Stufen erließ der Bundestagspräsident im Juni 2013 neue Ausführungsbestimmungen. Diese enthalten eine neue Regel für Vortragstätigkeiten. Danach soll bei Vorträgen künftig auch die Veranstaltung und der Name und Sitz des Veranstalters genannt werden, falls er nicht mit dem Vertragspartner übereinstimmt.[9] Dies löst das Transparenzproblem, das Abgeordnete bei Vorträgen häufig über Redneragenturen gebucht werden. In diesen Fällen tauchte die Redneragentur (= der Vertragspartner) in den Angaben des Abgeordneten auf. Der wahre Auftraggeber aber, der die Redneragentur bezahlte, blieb bisher unbekannt.
Lücken bleiben
Zu den Schwächen der neuen Regelung gehört, dass die Transparenzlücke bei Anwälten und Unternehmensberatern mit Bundestagsmandat bestehen bleibt. Weiterhin gibt es keine Regel, die direkte Lobbytätigkeiten von Abgeordneten für Dritte verbietet.
Weiterführende Informationen
- LobbyControl: Lobbyreport 2013. Die Lobbyismus-Debatte 2009-2013: Eine Bilanz der schwarz-gelben Regierungszeit. Juni 2013.
- Nina Katzemich/ Ulrich Müller: Nebentätigkeiten der Bundestagsabgeordneten: Transparenz ungenügend. 2009. LobbyControl-Studie zur Umsetzung der neuen Transparenzregeln (pdf).
Einzelnachweise
- ↑ Abgeordnete verdienten mindestens 22,5 Mio. nebenher – jetzt alle Einkünfte offenlegen!, Abgeordnetenwatch-Blog vom 4.10.2012, abgerufen am 8.10.2012
- ↑ pressemitteilungen/bvg07-073.html Bundesverfassungsgericht: Klage der Abgeordneten gegen Offenlegung von Einkünften erfolglos, PM 73/2007 vom 04.07.2007, abgerufen am 8.10.2012
- ↑ Biografie von Michael Glos, Bundestagswebseite, abgerufen am 8.10.2012
- ↑ Drastische Transparenzlücken bei Neuregelung von Nebeneinkünften, LobbyControl-Blog vom 15.04.2011, abgerufen am 08.10.2012
- ↑ Unser Erfolg: Verschleierung von Nebeneinkünften vorerst vom Tisch!, LobbyControl-Blog vom 12.05.2011 mit Zitaten und Quellen, abgerufen am 08.10.2012
- ↑ FDP blockiert Transparenz bei Nebeneinkünften, Focus Online vom 14.06.2012, abgerufen am 08.10.2012
- ↑ Nebeneinkünfte: Fortschritt mit Lücken, LobbyControl-Blog vom 25.10.2012, abgerufen am 16.01.2013
- ↑ Abgeordnete müssen Extra-Einnahmen detaillierter aufschlüsseln, Süddeutsche Zeitung vom 15.03.2013, abgerufen am 15.03.2013
- ↑ § 2 Abs. 1, Satz der Ausführungsbestimmungen Zu finden in der Textsammlung "Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages", S. 18.