José Manuel Barroso

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José Manuel Durão Barroso (*23. März 1956 in Lissabon) ist ein ehemaliger Präsident der EU-Kommission und seit 2016 Lobbyist bei der US-Investmentbank Goldman Sachs. Sein Seitenwechsel löste europaweit Kritik aus und veranlasste die EU-Kommission dazu, ihren Verhaltenskodex zu verschärfen.

Kritik und Lobbyfälle

Wechsel zu Goldman Sachs

Im Juli 2016 gab die US-Investmentbank Goldman Sachs bekannt, dass Barroso eine Beratertätigkeit und die Funktion als "Präsident ohne Geschäftsbereich" bei Goldman Sachs International in London einnehmen wird.[1] Zwischen Barrosos Amt als Präsident der EU-Kommission und seiner Lobby-Tätigkeit lagen 20 Monate, damit hatte er die Karenzzeit für Kommissionspräsidenten formell eingehalten.

Die Investmentbank bescheinigte Barroso „tiefes Verständnis von Europa“ und bestritt den Vorwurf, er solle die Bank vor allem zu den Auswirkungen des Brexits beraten.[2] Der „Financial Times“ sagte Barroso in Bezug auf seine neue Tätigkeit, „er werde tun, was er könne, um negative Auswirkungen des britischen EU-Austritts zu verringern.“[3]

Kritik

Der Spiegel schrieb zu Barrosos Seitenwechsel: „[A]uf der einen Seite [wird Barroso] vor allem mit der EU-Kommission zu tun haben. Da kennt er jeden, der wichtig ist. Viele verdanken ihm den Job oder die Karriere. Und auf der anderen Seite spielen die Londoner Regierung und die Bank of England mit. Deren Boss ist seit drei Jahren der Kanadier Marc Carney […]. Zuvor hatte er unter anderem 13 Jahre bei Goldman Sachs gearbeitet, dort Karriere gemacht und seine finanzpolitischen Überzeugungen gefunden. Ein gutes Gesprächsklima dürfte also gewiss sein.“[4]

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) bezeichnete Barrosos Wechsel als "völlig inakzeptabel". [5] Der französische Europastaatssekretär Harlem Désir forderte Barrosos Verzicht auf den Posten[6]

Barrosos Nachfolger als EU-Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, kritisierte Barrosos Wechsel zu Goldman Sachs wegen deren Rolle in der Finanzkrise: "Goldman Sachs was one of the organisations that knowingly or unknowingly contributed to the enormous financial crisis we had between 2007 and 2009. So one does wonder about the particular bank he has ended up working for."[7]

Folgen

Im September 2016 gab der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als Reaktion auf die Kritik an Barrosos Seitenwechsel verschiedene Maßnahmen bekannt. Damit sollen weitere Interessenkonflikte vermieden werden[8]

Zum einen muss Barroso die EU-Kommission über die Inhalte seiner vertragsgemäßen Aufgaben bei Goldman Sachs informieren.

Zum anderen wird die EU-Kommission Barroso nach seinem Wechsel nicht, wie bisher, als ehemaligen Kommissionspräsidenten empfangen, sondern als Interessenvertreter. Damit müssen Kommissionsvertreter Treffen mit Barroso auf ihrer Website veröffentlichen.[9] Barroso ließ daraufhin verlauten, Junckers Reaktion auf seinen Seitenwechsel sei „diskriminierend“. In Bezug auf seine mögliche Lobby-Tätigkeit in Brüssel betonte er: „Ich bin nicht verpflichtet worden, um für Goldman Sachs Lobbyarbeit zu machen und beabsichtige dies nicht.“[10]

Juncker beauftragte außerdem das Ad Hoc Ethik-Komitee der EU-Kommission (Christiaan Timmermans, Dagmar Roth-Behrendt, Heinz Zourek), den Seitenwechsel trotz der formellen Einhaltung der Ethik-Regeln zu überprüfen. Das Ethik-Komitee konnte im Oktober 2016 keinen Verstoß gegen EU-Regeln erkennen.[11] Barroso hätte lediglich seine Entscheidung nicht so abgewogen „wie man es bei jemandem in seiner Position hätte erwarten dürfen.“[12]

Die Kritik an Barrosos Wechsel veranlasste die EU-Kommission außerdem dazu, ihren Verhaltenskodex zu verschärfen. Ehemalige EU-Kommissare sollen eine zweijährige Karenzzeit einhalten (zuvor 18 Monate), für den Kommissionspräsidenten sollen 3 Jahre Übergangszeit gelten.[13]

Neben Barroso gab es bereits zuvor Seitenwechsel zwischen hohen EU-Ämtern und Goldman Sachs. Unter anderem arbeiteten der ehemalige EU-Kommissar Mario Monti, der damalige Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi und der frühere EU-Kommissar Peter Sutherland für die US-Investmentbank.[14]

Kontakte zur Tabakindustrie

2014 wurde bekannt, dass Mitarbeiter Barrosos enge Kontakte zur Zigarettenindustrie pflegten. Der Spiegel berichtete von mindestens 14 heimlichen Kontakten zwischen Kommissionsmitarbeitern und Lobbyisten der Tabakinindustrie, wie beispielsweise dem Marlboro-Hersteller Philip Morris (PMI). Dabei soll der Konzern dem Generalsekretariat Barrosos auch „wissenschaftliche Untersuchungen“ zur Verfügung gestellt haben.[15]

Zu der Gruppe von EU-Mitarbeitern unter Barroso gehörten auch Henning Klaus und sein Assistent Guillaume Morel, die sich am 20. Dezember 2011 mit Peter Wörmann und Bodo Mehrlein vom Bundesverband der Zigarrenindustrie (BdZ) und Marcel Crijnen vom Europäischen Verband der Zigarrenhersteller (ECMA) getroffen hatten. Nach Einschätzung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) stellen solche nicht öffentlich bekannt gemachten Treffen einen Verstoß gegen die Transparenz-Richtlinien der WHO dar.[16][17]

Barroso und Catherine Day, die ehemalige Leiterin des Generalsekretariats der Europäischen Kommission und eine nahe Vertraute Barrosos, waren außerdem in die Affäre um John Dalli verwickelt. Ihre Rollen darin sind allerdings umstritten.

Der Spiegel schreibt, Barrosos Drängen auf den Rücktritt des EU-Gesundheitskommissars Dalli offenbare eine „Rigorosität, die in seltsamem Widerspruch zu den vielfältigen Kontakten seiner eigenen Mannschaft mit der Zigarettenindustrie steht."[18][19]

In der Folge der Affäre scheiterte John Dalli beim Europäischen Gerichtshof mit einer Klage gegen die EU-Kommission. Dallis Argumentation, Barroso habe ihn nach Publikwerden des Korruptionsversuchs aus dem Amt gedrängt, folgte der EuGH nicht.[20] Barroso selbst hatte dazu vor dem EuGH ausgesagt.[21]

Freihandelsabkommen

Barroso setzte sich als Kommissionspräsident für den Abschluss umstrittener Freihandelsabkommen ein.[22][23] In Barrosos Amtszeit fallen der Beginn der TTIP-Verhandlungen sowie die Aufnahme der Verhandlungen zu CETA und TISA. Zusammen mit US-Präsident Barack Obama, dem Präsidenten des Europäischen Rats Herman Van Rompuy und dem britischen Premierminister David Cameron, verkündete er im Juni 2013 während des G20-Gifpels den Start der TTIP-Verhandlungen.[24]

2014 unterzeichnete Barroso als Vertreter der EU-Kommission zusammen mit Van Rompuy und dem kanadischen Premierminister Stephen Harper die Erklärung zum Ende der fünfjährigen CETA-Verhandlungen.[25]

Mitgliedschaften

Als ehemaliger Kommissionspräsident muss Barroso die EU-Kommission über Aktivitäten und Mitgliedschaften in Organisationen informieren, die er nach seiner Amtszeit ausübt. Die angegebenen Tätigkeiten wurden von der Kommission auf die Konformität mit dem Verhaltenskodex geprüft, und genehmigt. Barroso gibt an, die Tätigkeiten unentgeltlich auszuüben. [26]

Unter Anderem gibt er folgende Aktivitäten an:

Weitere Lobby-Kontakte

  • 2014 nahm Barroso als Redner am BusinessEurope Day teil, der Unternehmen und politische Entscheidungsträger zusammenbringen soll. Organisiert wird dieser von Businesseurope, dem europäischen Dachverband der Arbeitgeber, und einem der einflussreichsten Lobby-Akteure in Brüssel.[29]
  • 2009 trat Barroso als Gastredner bei einem Event des European Parliamentary Financial Services Forum auf. Das Forum besteht aus EU-Parlamentariern und Vertretern der europäischen Finanzwirtschaft.[30]
  • 2004 verbrachte Barroso mit seiner Familie eine Woche kostenlosen Urlaub auf der Yacht des griechischen Schifffahrt-Unternehmers und Bankmanagers Spiros Latsis. Kurz danach wurde in Brüssel die Verschärfung von Umweltvorschriften für griechische Schiffe verhindert. Weil er in diese Entscheidung persönlich involviert war, musste Barroso sich einem Misstrauensantrag im EU-Parlament stellen. Dieses überstand er jedoch mit der Begründung, zum Zeitpunkt des Urlaubs noch nicht Kommissionspräsident gewesen zu sein. [31]

Karriere

  • seit 2016: Berater und "Präsident ohne Geschäftsbereich" bei Goldman Sachs
  • 2004 - 2014: Präsident der EU-Kommission (zwei Amtszeiten)
  • 2002 - 2004: Ministerpräsident Portugal
  • seit 1985: Abgeordneter portugiesisches Parlament
  • seit 1980: Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Portugals (PSD)

Quelle: Europäische Kommission[32]

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Einzelnachweise

  1. Pressemitteilung 8. Juli 2016 Internetauftritt Goldman Sachs, abgerufen am 01.12.2016
  2. Barroso heuert bei Goldman Sachs an Spiegel Online am 08.07.2016, abgerufen am 30.11.2016
  3. Alles zum Wohl des Geldes Spiegel Online am 13.07.2016, abgerufen am 30.11.2016
  4. Alles zum Wohl des Geldes Spiegel Online am 13.07.2016, abgerufen am 30.11.2016
  5. Schulz nennt Barrosos Wechsel inakzeptabel FAZ.net am 27.09.2016, abgerufen am 01.12.2016
  6. Frankreich kritisiert Barroso Handelsblatt am 13.07.2016, abgerufen am 01.12.2016
  7. Juncker questions Barroso's decision to join Goldman Sachs The Guardian am 15.09.2016, abgerufen am 01.12.2016
  8. EU verlängert Übergangsfrist für Kommissionsmitglieder Handelsblatt am 23.11.2016, abgerufen am 01.12.2016
  9. Juncker stuft Barroso zum simplen Lobbyisten ab Spiegel Online am 12.09.2016, abgerufen am 30.11.2016
  10. Barroso fühlt sich von Juncker diskriminiert Zeit Online am 13.09.2016, abgerufen am 30.10.2016
  11. Mitteilung des Ad Hoc Ethik-Komitees ec.europa.eu am 26.10.2016, abgerufen am 30.11.2016
  12. Barrosos Wechsel zu Goldman Sachs nicht regelwidrig Spiegel Online am 31.10.2016, abgerufen am 30.11.2016
  13. EU verschärft Verhaltensregeln für Ex-Kommissare Spiegel Online am 24.11.2016, abgerufen am 30.11.2016
  14. Alles zum Wohl des Geldes Spiegel Online am 13.07.2016, abgerufen am 30.11.2016
  15. Saubermänner auf Abwegen Spiegel Online am 21.07.2014, abgerufen am 02.12.2016
  16. Transparenz EU-Skandal: Geheimtreffen von Barroso-Mitarbeitern mit der Tabak-Lobby, Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 17.12.2012, abgerufen am 16.06.2016
  17. Mail-Verkehr Bodo Mehrlein an Guilllaume Morel, offizielles EU-Dokument vom 18.11.2011, abgerufen am 16.06.2016
  18. Saubermänner auf Abwegen Spiegel Online am 21.07.2014, abgerufen am 30.11.2016
  19. Wer hat John Dalli verraten? Spiegel Online am 26.02.2016, abgerufen am 30.10.2016
  20. Dalli scheitert mit Klage gegen vermeintliche Amtsenthebung LegalTribune Online am 12.05.2015, abgerufen am 02.12.2016
  21. Saubermänner auf Abwegen Spiegel Online am 21.07.2014, abgerufen am 02.12.2016
  22. Barroso: CETA kommt sicher heise online am 27.09.2014, abgerufen am 02.12.2016
  23. José Manuel Barroso on TTIP mandate: "Where there is a will, there is a way" Youtube-Kanal der Europäischen Kommission
  24. Pressemitteilung am 17.Juni 2013 europa.eu, abgerufen am 01.12.2016
  25. Pressemitteilung der Europäischen Kommission am 26,09.2014 europa.eu, abgerufen am 01.12.2016
  26. Briefwechsel Barrosos mit der EU-Kommission, Ende 2014 veröffentlicht von CorporateEurope.org, abgerufen am 02.12.2016
  27. Steering Committee Offizielle Website der Bilderberg Konferenz, abgerufen am 24.07.2023
  28. Bilderberg Meetings Offizielle Website der Bilderberg Konferenz, abgerufen am 24.07.2023
  29. Redner BusinessEuropeDay 2014 businesseuropeday.eu, abgerufen am 02.12.2016
  30. Networking Cocktail Invitation epfsf.org, abgerufen am 02.12.2016
  31. Der reiche Grieche vom Genfersee Tagesanzeiger am 02.06.2012, abgerufen am 02.12.2016
  32. Lebenslauf José Manuel Barroso Europäische Kommission, abgerufen am 30.11.2016

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