Gesamtverband der deutschen versicherungswirtschaft
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. | |
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Rechtsform | eingetragener Verein |
Tätigkeitsbereich | Unternehmenslobbyismus |
Gründungsdatum | 1948 |
Hauptsitz | Berlin |
Lobbybüro | |
Lobbybüro EU | avenue de Corthenbergh 60, 1000 Brüssel |
Webadresse | www.gdv.de |
Der Gesamtverband deutscher Versicherungswirtschaft (GDV) ist der Dachverband der privaten Versicherungswirtschaft in Deutschland. In ihm organisieren sich rund 460 Versicherungsunternehmen, die zusammengenommen nach Angaben der GDV über einen Kapitalanlagebestand von ca. 1,9 Billionen Euro verfügen. Auf Bundesebene ist er mit 151-160 Lobbyist:innen und einem Lobbybudget von gut 15 Mio. € der ressourcenstärkste Lobbyakteur in Deutschland.[1][2] Er ist Mitglied des europäischen Dachverbands Insurance Europe.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Lobbystrategien und Einfluss
- 2 Compliance im GDV
- 3 Fallstudien und Kritik
- 3.1 2022: Ablehnung des Lieferkettengesetzes
- 3.2 2015: Ablehnung der Finanztransaktionssteuer
- 3.3 2015: Protest gegen Zahlungsverweigerung von Versicherungen
- 3.4 2014: Massive Öffentlichkeitsarbeit des GDV
- 3.5 2012-2014: Durchsetzung neuer Regelung der Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen
- 3.6 2002: Lobbying für die Riesterrente
- 3.7 1999: Drohkulisse gegen Rot-Grün
- 4 Kurzdarstellung und Geschichte
- 5 Organisationsstruktur und Personal
- 6 Mitgliedschaften (Auswahl)
- 7 Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus
- 8 Einzelnachweise
Lobbystrategien und Einfluss
Der GDV bündelt und vertritt die Positionen der deutschen Versicherungswirtschaft und ist Ansprechpartner gegenüber Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft. Im Rahmen der Interessenvertretung setzt sich der Verband für ordnungspolitische Rahmenbedingungen ein, die den Versicherern die optimale Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglichen.[3]
Lobbyausgaben und Personen
Im deutschen Lobbyregister gab der GDV an (Stand: 05.02.2024), 2022 ca. 15,4 Mio. Euro für Lobbytätigkeit auszugeben und zwishen 151 und 160 Lobbyist:innen zu beschäftigen.[4] Laut EU Transparenzregister lagen die Lobbyausgaben in Brüssel 2022 zwischen 2,75 und 2,99 Mio. Euro; beschäftigt werden 27 Personen (Vollzeitäquivalent: 11,8).[5]
Mit Lobbyismus beschäftigt sind:
- Götz Treber, Leiter des Kompetenzzentrums "Unternehmenssteuerung und Regulierung"
- Thiemo Hustedt, Leiter "Finanzregulierung"
- Lenka DeMauro, Leiterin des Europabüros (Head of European and International Affairs)
Veranstaltungen
Die Veranstaltungen sind hier abrufbar. Zu ihnen gehören die Reihen „GDV Parlamentarischer Abend“ und „GDV Insurance Summit“. Beispiele sind:
Parlamentarischer Abend vom 25.05.2023 mit den folgenden Rednern:
- Norbert Rollinger, GDV-Präsident
- Carsten Brodesser, Mitglied im Finanzausschuss, Berichterstatter für Versicherungswirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
- Markus Herbrand, Finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
- Stefan Schmidt, Mitglied im Finanzausschuss und Berichterstatter für Versicherungen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
- Michael Schrodi, Finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Quelle. [6]
Insurance Summit vom 20.03.2023 mit den folgenden Rednern:
- Norbert Rollinger, GDV-Präsident
- Julia Wiens, Exekutivdirektorin der BaFin für den Geschäftsbereich Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht
- Jörg Asmussen, GDV-Hauptgeschäftsführer
- Rolf Schmachtenberg, Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund KdöR
- Tilo Dresig, Vorstandsvorsitzender der Viridium Gruppe
- Anja Käfer-Rohrbach, Stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin
- Götz Treber, Leiter GDV-Kompetenzzentrum Unternehmenssteuerung und Regulierung
- Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin zur Europawahl 2024 und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, FDP-Bundestagsfraktion
Quelle: [7]
Der Think Tank MEA
Bis zum Jahr 2011 übernahm der GDV die Hälfte der finanziellen Grundlast des Munich Center for the Economics of Aging (MEA). Ganz im Sinne des GDV zieht MEA aus seinen Studien den Schluss, dass das staatliche Sozialversicherungssystem nicht mehr zukunftsfähig ist. Auch die gesetzliche Rentenversicherung sei veraltet und solle in zunehmenden Maße durch die private Altersvorsorge ersetzt werden.
Der Direktor des MEA Axel Börsch-Supan[8], ehemaliger Berater des GDV, tritt auch als wissenschaftlicher Berater von Ministerien und politischen Institutionen auf. Nach Börsch-Supan solle die Änderung des bisherigen Rentensystems als "schlichte Notwendigkeit" vermittelt werden[9].
Das MEA war ursprünglich in Mannheim unter der Bezeichnung "Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel" aktiv. 2011 verlegte das Institut seinen Sitz nach München, benannte sich in Munich Center for the Economics of Aging um und wurde eine Abteilung des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik.
Compliance im GDV
Laut den Comliance-Regeln achtet der Verband strikt die Integrität parlamentarischer Prozesse und die freie Willensbildung und -betätigung in den Parlamenten. In keinem Fall dürften daher Vorteile – gleich welcher Art – an Mandatsträgerinnen oder Mandatsträger mit dem Ziel erfolgen, die freie politische Willensbildung zu beeinträchtigen. Zu beachten seien insofern auch die jeweils geltenden Verhaltenskodizes für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter auf EU-Ebene und in Deutschland. Einladungen erfolgten daher nur im Einklang mit den für die Rechtsstellung der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger maßgeblichen Vorschriften und im Rahmen der anerkannten parlamentarischen Gepflogenheiten. Insbesondere würden diese nicht zu Vorträgen im Rahmen ihrer Mandatstätigkeit eingeladen (vgl. § 43a AbgeordnetenG). Beraterverträge mit Amtsträgerinnen oder Amtsträgern seien dem Hauptgeschäftsführer vorab zur Zustimmung vorzulegen. Der Verband dürfe diese nur unter dem Vorbehalt anbieten, dass sie dienstrechtlich zulässig sind und die Amtsträgerin/der Amtsträger eventuell erforderliche Genehmigungen eingeholt hat. Die Vergütung müsse in einem angmessenen Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen.
Fallstudien und Kritik
2022: Ablehnung des Lieferkettengesetzes
Der Gesamtverband deutscher Versicherungswirtschaft (GDV) hatte sich gegen ein weitreichendes europäische Lieferkettengesetzes eingesetzt. Die Idee von Lieferkettengesetzen ist es, Unternehmen dazu verpflichten, ihren Sorgfaltspflichten in der globalen Produktion nachzukommen. Dazu gehört insbesondere die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards. Der GDV hatte sich jedoch gegen einen umfassenden Gesetzesentwurf positioniert und gefordert die Reichweite des geplanten Gesetzesentwurfs zu begrenzen, jegliche Umweltstandards und insbesondere die zivilrechtliche Haftung, aus dem Gesetz zu streichen.[10] Schäden an der Natur würden so gänzlich aus dem Verantwortungsbereich der Unternehmen fallen. Zudem wäre das Gesetz ohne die zivilrechtliche Haftung "wirkungslos", wie u.a. die Initiative Lieferkettengesetz kritisierte. [11]
2015: Ablehnung der Finanztransaktionssteuer
Der GDV, zusammen mit weiteren führenden Wirtschaftsverbände Deutschlands, hat die europäischen Finanzminister in einer gemeinsamen Pressemitteilung aufgefordert, das Projekt zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer aufzugeben.[12]
2015: Protest gegen Zahlungsverweigerung von Versicherungen
Der Spiegel berichtete im Juni 2015 in seiner Titelstory „Verunsichert“, dass deutsche Versicherungsunternehmen in vielen Fällen ihre Zahlungen an Geschädigte zurückhielten oder verzögerten.[13] „Wenn Versicherte in Not geraten, tun Konzerne mitunter alles, um nicht zahlen zu müssen“ schreiben die Autoren. Sie führen eine Reihe Beispiele an, in denen Geschädigten Versicherungsbetrug vorgeworfen wurde und sie erst nach vielen Jahren vor Gericht ihre Versicherungsleistung einklagen konnten oder es zu einem außergerichtlichen Vergleich kam. Bei den offiziellen Beschwerdestellen, dem Ombudsmann für Versicherungen und der BaFin, beklagten sich im Jahr 2014 rund 30.000 Versicherte – so viele wie noch nie. Rund ein Drittel der Klagen werden allerdings zurückgewiesen. Der Ombudsmann erhält sein Gehalt von der Versicherungswirtschaft.[14]
Das Bundesjustizministerium habe sich der Sache im Jahr 2012 angenommen und befragte mit Verweis auf die Beschwerden die Justizverwaltungen der Länder, ob Gesetzesänderungen erforderlich seien. Laut Spiegel soll daraufhin beispielsweise das Oberlandesgericht München geschrieben haben, dass sich in einem Fall die Versicherung „vorwerfen lassen muss, die Schadensregulierung nur zögerlich betrieben zu haben“; das Oberlandesgericht soll von „ein[em] gegen Treu und Glauben verstoßende[m] Zermürbungsversuch“ der Unternehmen gesprochen haben, Versicherungen würden „oft kompromisslos kämpfen“.[15]
Das Bundesjustizministerium befragte daraufhin auch Versicherungen und Verbraucherorganisationen nach einer möglichen Zunahme von verzögertem Regulierungsverhalten der Versicherer. Der Bund der Versicherten (BdV) meldete zurück: „Eindeutig ist jedoch eine solche Tendenz bei den uns vorliegenden Fällen festzustellen“ [16]. Der BdV forderte deswegen eine Beweislastumkehr, eine Beschleunigung des Begutachtungsprozesses, die Unabhängkeit der Gutachter und eine außergerichtliche bundesweite Ombudsmannstelle mit weitreichenden Kompetenzen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) dagegen versicherte dem Bundesjustizministerium, dass die Versicherer eine „hochprofessionelle Schaden- und Leistungsfallbearbeitung“[17] gewährleisten und dass gesetzliche Änderungen nicht erforderlich seien. Auf Anfrage von LobbyControl teilte das Bundesjustizministerium mit, dass es auf Basis der Anhörung von Landesjustizverwaltungen und verschiedenen Interessensverbänden - unter anderem auch dem GDV - keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regulierung sieht.
2014: Massive Öffentlichkeitsarbeit des GDV
Der GDV stand mehrmals im Fokus der öffentlichen Kritik. Insbesondere die Belohnung von Mitarbeitern der Versicherungsunternehmen Wüstenrot, Ergo und Munich Re durch Bordell-Besuche in Budapest und anderswo geriet in die Schlagzeilen [18] Der Skandal belastete nach eigenen Angaben das Image der GDV[19]. Als Reaktion sah sich der GDV 2014 genötigt, massiv in seine Öffentlichkeitsarbeit zu investieren. In einer internen Präsentation heißt es: „Immer häufiger bestimmen Medien und Verbraucherverbände unsere Agenda.“ und „Wir wollen raus aus der Defensive und Freiräume schaffen – für ein aktives Themenmanagement und ‚gute‘ Geschichten aus unserer Branche“. [20]. Auf Anfrage von LobbyControl teilte der GDV mit, dass er seine Kommunikationsabteilung von 18 auf 26 Personen aufstockte und mehrere ehemalige Journalisten anwarb . Eine ganze Etage im Berliner Büro wurde zu diesem Zweck mit Millionenaufwand umgebaut. Dort gibt es jetzt einen Newsroom wie in modernen Medienredaktionen und eine Abteilung „Content“ für Inhalte, die man den Medien anbietet. Der GDV sagte gegenüber Lobbycontrol, er wolle mit den eigenen Informationen wahrgenommen werden und zugleich den Medien gegenüber fair sein. Wenn Redaktionen GDV-Informationen übernähmen, läge das in deren Verantwortung. In Medienkreisen wurde debattiert, dass ein Ausbau der Kommunikationsabteilungen bei Verbänden wie dem GDV bei gleichzeitigem Personalabbau der Medien eine kritische Berichterstattung erschweren dürfte. Der Mainzer Journalismus-Professor Volker Wolff befürchtet beispielsweise, dass die Berichterstattung, die Unternehmen und Verbände selbst liefern, für die Öffentlichkeit nur schwer einzuschätzen ist. Es mangele an unabhängigen Journalisten, die prüfen, was richtig oder falsch ist und welche Behauptungen eventuell geschönt sind[21][22].
2012-2014: Durchsetzung neuer Regelung der Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen
In den letzten Jahren nach der Finanzkrise mussten die Versicherungen mit den niedrigen Zinsen u.a. für Staatsanleihen kämpfen. Sie versuchen deshalb, günstigere Rahmenbedingungen für sich durchzusetzen, unter anderem bei den Lebensversicherungen. Dafür sollte Ende 2012 das Begleitgesetz zum europäischen Zahlungsraum SEPA um eine Neuregelung für Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen ergänzt werden, obwohl sie mit SEPA gar nichts zu tun hatte. Das Gesetz sah vor, dass die Beteiligung der Versicherten an den sog. Bewertungsreserven der Versicherungsunternehmen gekürzt und ihnen ein weiterer Teil der Überschüsse vorenthalten werden darf. Das beträfe alle Kunden von Lebensversicherungen, Rürup- und Riester-Renten, betrieblichen Direktversicherungen sowie ähnlichen Betriebsrenten und hätte laut Spiegel Online erhebliche Einbußen von bis zu zehn Prozent der Auszahlungssumme zur Folge[23].
Der Gesetzesentwurf wurde von CDU/CSU und FDP eingebracht. Die Zeitschrift ÖKO-TEST berichtete, dass ganze Passagen eins zu eins von einer Stellungnahme übernommen wurden, die der GDV im September 2011 veröffentlicht hat. Wie ÖKO-TEST nachweist, gehen die Forderungen auf einen fünf-Punkte-Wunschkatalog zurück, den die Branche schon seit Jahren an die Aufsichtsbehörden herantrage. Der Entwurf stieß auf starke Kritik bei Verbraucherschützern und Opposition. Sogar ein CDU-Bundesparteitag stellte sich auf Betreiben einer Basisinitiative gegen die Vorschläge des CDU-geführten Finanzministeriums.[24]
Der Bundesrat stoppte den Gesetzentwurf im Dezember 2012. Die entsprechenden Passagen wurden aus dem SEPA-Begleitgesetz gestrichen und der GDV musste eine überraschende und ungewohnte Niederlage einstecken.[25] Der CDU-Fraktionsvize Michael Meister und der finanzpolitische Sprecher der FDP, Volker Wissing, erklärten Anfang Februar 2013, die angestrebte Regelung würde nicht weiter verfolgt. Die Pläne seien so gut wie gescheitert.[26], [27]
Aber der GDV verfolgte das Ziel weiter und es kam 2014 mit dem Lebensversicherungsreformgesetz zu einem neuen Anlauf. Um etwaigen Protesten vorzubeugen, verlangte die Bundesregierung auch Zugeständnisse von den Versicherungen. Die alte Forderung von Verbraucherschützern, die Provisionen für Versicherungsabschlüssen offenzulegen, sollte ebenfalls in das geplante Gesetz aufgenommen werden. Doch dieser Vorschlag wurde im letzten Moment auf Druck der Versicherungs-Lobby wieder gekippt. [28] Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz kritisierte das Gesetzesvorhaben umfassend. Es bestünden Zweifel, ob der Gesetzentwurf dem Interessenausgleich zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten, deren Verträge in Kürze ausliefen, gerecht werde. Außerdem hält der Ausschuss die Dringlichkeit der geplanten Maßnahmen nicht für erwiesen. Der Ausschuss bemängelte drittens, dass ein Dialog mit Verbraucherorganisationen und den Interessenverbänden der Versicherten im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens nicht stattgefunden habe. Viertens wurde eine verkürzte Beratungsfrist für das Lebensversicherungsreformgesetz festgesetzt, die eine sachgerechte Prüfung des Gesetzentwurfs nicht ermöglicht habe. [29] Die Länder hatten zugesagt, auf die ihnen verfassungsrechtlich zustehende Beratungsfrist von sechs Wochen zu verzichten und den Gesetzentwurf im sogenannten ersten Durchgang bereits am 13. Juni 2014 zu behandeln[30].
Die weitreichende Reform der Lebensversicherung wurde schließlich im Juni vom Bundestag verabschiedetet. Die Abstimmung fand wenige Stunden vor dem Viertelfinalspiel Frankreich gegen Deutschland mitten während der Fußball-Weltmeisterschaft statt[31]. Am Ende konnte die Versicherungslobby ihre zentralen Ziele durchsetzen[32].
2002: Lobbying für die Riesterrente
Laut einer Studie von Bürgerbewegung Finanzwende wurde der GDV bei der Entwurfsphase der Rentenreform der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2002 aktiv eingebunden. Es wird darauf hingewiesen, dass die Riester-Rente als Bruch mit der paritätisch finanzierten Rente anzusehen ist: Während die Arbeitgeber:innen seitdem nur noch ihren gesetzlichen Beitragssatz zahlen müssten, kompensierten allein die Beschäftigten das niedrigere Rentenniveau mit zusätzlichen privaten Vorsorge-Produkten. Davon würden vor allem die Anbieter:innen von Versicherungen, Bank- und Fonds-Sparplänen profitieren – Akteure, für die der GDV hauptsächlich lobbyiert.[33]
1999: Drohkulisse gegen Rot-Grün
Im Februar 1999 revoltierte die Versicherungswirtschaft unter Leitung der GDV gegen die Steuerreformpläne der neuen rot-grünen Bundesregierung. Hans Schreiber, das damalige Präsidiumsmitglied des GDV, drohte angesichts der rot-grünen Steuerpläne damit, dass die Versicherungsunternehmen der GDV mit ihrem Anlagekapital im Wert von 1,39 Billionen € keine Bundesanleihen mehr kaufen könnten. Die Allianz warnte, man könne Geschäftsteile ins Ausland verlagern. Eine GDV-Sprecherin verstärkte den Druck in den Medien und sagte damals, die Ankündigungen von Allianz und Mannheimer seien keine Einzelreaktionen.
Als Oskar Lafontaine im März 1999 seinen Posten als Finanzminister aufgab, jubelte Hans Schreiber: Der "Tag nach Oskar" sei "einer der schönsten Tage meines beruflichen Lebens". Gut ein Jahr später boxte Bundeskanzler Gerhard Schröder die - deutlich veränderte - Steuerreform durch den Bundesrat. Der Steuersatz von Kapitalgesellschaften sank auf 25%. Außerdem wurden Gewinne beim Verkauf von Unternehmensbeteiligungen von der Besteuerung befreit.[34]
Kurzdarstellung und Geschichte
Der Gesamtverband deutscher Versicherungswirtschaft wurde 1948 in Köln gegründet. 1996 schloss sich der GDV mit dem Verband der Schadensversicherer und mit dem Verband der Lebensversicherer zum neuen Gesamtverband deutscher Versicherungswirtschaft zusammen. Der Sitz des GDV wurde 1998 von Köln nach Berlin verlegt.
2006 erhielt die GDV den Negativpreis BigBrotherAward von dem Verein Digitalcourage. Laut Digitalcourage e.V. bekam der Verband den Preis wegen unrechtmäßigem Austausch von Daten sowie deren Speicherung.[35]
Organisationsstruktur und Personal
Mitgliedsunternehmen
Zum GDV gehörten im Februar 2024 rund 460 Mitgliedsunternehmen. Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist im GDV organisiert. Unter den Mitgliedern finden sich Versicherer wie beispielsweise:
Allianz AG | ARAG | AXA | DEVK |
ERGO | HDI | HUK-Coburg | Munich Re |
R+V Versicherung | Signal Iduna | Württembergische | Zurich Group |
(Stand: Februar 2024)[36]
Präsidium
Die Mitglieder des Präsidiums sind hier abrufbar
Hauptgeschäftsführer
- Jörg Asmussen, Geschäftsführendes Mitglied des Präsidiums des GDV (frühere Positionen: Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Head of M & A for Europe beider Investmentbank Lazard)
- Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG), Stellv. Vorsitzender des Aufsichtsrats
- BaFin, Mitglied im Aufsichtsrat, Verwaltungsrat und Beirat
- Deutsche Versicherungsakademie, Mitglied des Beirats
- Versicherungsombudsmann-Verein, Mitglied des Vorstands und Beirats
- Grüner Wirtschaftsdialog, Mitglied des Beirats
- International Center for Insurance Regulation (ICIR), Mitglied des Beirats
- Anja Käfer-Rohrbach, Stellv. Hauptgeschäftsführerin, Leiterin des Kompetenzentrums "Risikoschutz für Gesellschaft und Wirtschaft", Mitglied der Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen
Mitgliedschaften (Auswahl)
Der GDV ist Mitglied in den folgenden Organisationen:
- Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft
- Institut der deutschen Wirtschaft
- Stiftung Ordnungspolitik
- Verein für europäische Binnenschifffahrt und Waasserstraßen
- Verein für Socialpolitik
- Verein zur Förderung der Versicherungswirtschaft in Berlin
- Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft
- International Union of Marine Insurance
- Gesellschaft für Versicherung und -gestaltung
- Adlerkreis
- Stifterverband für die deutsche Wissenschaft
- Insurance Europe
- Wirtschaftsforum der SPD
- Wirtschaftsrat der CDU
- Wirtschaftsforum der FDP
- Wirtschaftsvereinigung der Grünen
- Wirtschaftsbeirat Bayern
Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus
Einzelnachweise
- ↑ Lobbyregister, siehe: Jährliche finanzielle Aufwendungen im Bereich der Interessenvertretung.
- ↑ Pia Eberhardt: Die Macht der Finanzlobby, Finanzwende, Januar 2024, finanzwende.de, abgerufen am 20.01.2024
- ↑ Eintrag EU Transparenzregister, ec.europa.eu, abgerufen am 11.02.2024
- ↑ Registereintrag GDV, lobbyregister.bundestag.de, abgerufen am 11.02.2024
- ↑ Eintrag EU Transparenzregister, ec.europa.eu, abgerufen am 11.02.2024
- ↑ GDV Parlamentarischer Abend, gdv.de, abgerufen am 11.02.2024
- ↑ GDV Insurance Summit, gdv.de, abgerufen am 11.02.2024
- ↑ Curriculum Vitae, mpisoc.mpg.de, abgerufen am 16.02.2021
- ↑ Börsch-Supan, Axel (2000): Perspektiven der privaten Vorsorge; in: Erika Metzger (Hrsg.): Zukunft der Alterssicherung, Düsseldorf, S.45-59
- ↑ GDV-Positionspapier, gdv.devom 15.07.2022, abgerufen am 16.12.2022
- ↑ Faktencheck: Initiative Lieferkettengesetz widerlegt irreführende Behauptungen von Wirtschaftsverbänden zur Unternehmenshaftung – Lieferkettengesetz ohne Haftung wirkungslos lieferkettengesetz.de vom 02.09.2020, abgerufen am 07.11.2022
- ↑ Verbände: Finanztransaktionssteuer stoppen! Pressemitteilung der DIHK vom 08.12.2015, abgerufen am 18.12.2015
- ↑ Versichert und Verraten. Was Allianz , R+V und Co. alles tun, um nichts leisten zu müssen, Der Spiegel, Nr. 30 vom 18.07.2015, S. 5
- ↑ Versichert und Verraten. Was Allianz , R+V und Co. alles tun, um nichts leisten zu müssen, Der Spiegel, Nr. 30 vom 18.07.2015, S. 13
- ↑ Versichert und Verraten. Was Allianz , R+V und Co. alles tun, um nichts leisten zu müssen, Der Spiegel, Nr. 30 vom 18.07.2015, S. 12
- ↑ Schadensregulierung bzw. Leistung durch Versicherer Kritik (verzögerte Leistung) Stellungnahme des Bundes der Versicherten e.V. am 27.06.2013, abgerufen am 21.07.2015
- ↑ Versichert und Verraten. Was Allianz , R+V und Co. alles tun, um nichts leisten zu müssen, Der Spiegel, Nr. 30 vom 18.07.2015, S. 12
- ↑ Wüstenrot-Affäre: 200.000-Euro-Bordelltrip für die Verkaufskanonen Berliner Morgenpost am 12.12.2011, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Skandal-Serie: Aigner rüffelt Versicherungskonzern Ergo handelsblatt.de vom24.06.2011, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ NEUAUFSTELLUNG GDV-KOMMUNIKATION. PROJEKT „FREIRÄUME“. Information für GDV-Mitglieder GDV vom 27.08.2014, S. 1f., liegt LobbyControl vor
- ↑ Versicherer drängen in die Zeitungsbranche, sueddeutsche.de vom 22.10.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Versicherungsverband über Harald Martensteins Rückzug: „Seine freie Entscheidung“ newsroom.de vom 08.10.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Neues Gesetz: Warum sich eine Lebensversicherung kaum noch lohnt spiegel.de vom 04.07.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ CDU-Parteitag 4/5.12.2012, Beschluss C 89 CDU vom 5.12.2012, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Lebensversicherungen: Enteignung vertagt Spiegel.de vom 30.01.2013, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ PM: Abzocke bei den Bewertungsreserven ÖKO-TEST vom 19.02.2013, abgerufen am 20.02.2013
- ↑ Lebensversicherungen: Beeinflusste Lobby Gesetz zu Bewertungsreserven? Die Welt vom 20.02.2013, abgerufen am 20.02.2013
- ↑ Provisionen: „Das ist eine Farce“ Handelsblatt vom 02.07.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Informationen zur Bundesratssitzung am 13.06.2014 Baden-Württemberg.de vom 12.06.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Sachsen bemängelt überhastete Reform des Lebensversicherungsrechtes sachsen.de vom 13.06.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Neues Gesetz: Warum sich eine Lebensversicherung kaum noch lohnt spiegel.de vom 04.07.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Lebensversicherungen bald weniger wert tagessschau.de vom 04.06.2014, abgerufen am 20.07.2015
- ↑ Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes. Finanzwende Recherche 2022, S.61 ff.
- ↑ LobbyControl: LobbyPlanet Berlin Köln 2008, S. 107)
- ↑ bigbrotherawards.de Preisträger 2006, abgerufen am 09.05.2017
- ↑ GDV-Website "Mitglieder" abgerufen am 10.02.2024