Karenzzeit Deutschland
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Karenzzeitregelungen in der Politk sollen den unmittelbaren Wechsel von Politiker:innen in Lobbytätigkeiten oder sonstige Berufe, die einen Interessenskonflikt zu ihrem ehemaligen Amt darstellen, unterbinden und regulieren so das Problem der Seitenwechsel (auch ‚Drehtür-Effekt‘). Forderungen von Lobbycontrol bezüglich der Ausgestaltung von Karenzzeitregelungen finden sich hier. Auf Bundesebene wurde 2015 eine Karenzzeitregelung für ehemalige Minister:innen und Staatssekretär:innen eingeführt. Auch in vielen Bundesländern gelten inzwischen solche Regeln, Informationen dazu finden sich hier.
Inhaltsverzeichnis
Entstehung
Immer wieder sorgten Seitenwechsel aus der Bundespolitik heraus in den vergangenen Jahren für Diskussionen um eine Karenzzeitregelung für ehemalige Regierungsmitglieder.[1] Prominente Beispiele hierfür sind die Wechsel des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder zu Gazprom 2006, des ehemaligen Staatsministers im Kanzleramt Eckart von Klaeden zu Daimler 2013[2], des ehemaligen Kanzleramtschefs Ronald Pofalla zur Deutschen Bahn[3][4] und des ehemaligen Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dirk Niebel zu Rheinmetall 2015.[5] Eine ausführliche Liste von Seitenwechseln in der deutschen Politik findet sich hier. Schlussendlich führte dies zur Festsetzung einer Karenzzeitregelung im Bundesministergesetz im Juli 2015.[6]
Karenzzeit für Minister:innen und Staatssekretär:innen
Für ehemalige Mitglieder der Bundesregierung gilt eine Anzeigepflicht für aufgenommene Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes bis 18 Monate nach dem Ausscheiden aus dem Amt. Die Tätigkeit kann im Regelfall bis zwölf Monate, in schweren Fällen bis 18 Monate nach Mandatsende von der Bundesregierung untersagt werden. Kriterien hierfür sind die thematische Nähe zum ehemaligen Ressort und ein zu befürchtender Vertrauensverlust in die Bundesregierung. In diesem Prozess wird die Regierung von einem beratenden Gremium unterstützt. Dieses Gremium wird zu Beginn jeder Wahlperiode vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung berufen. Mitglieder des Gremiums sollen „Funktionen an der Spitze staatlicher oder gesellschaftlicher Institutionen wahrgenommen haben oder über Erfahrungen in einem wichtigen politischen Amt verfügen“.[7]
Die Entscheidungen der Bundesregierung in Karenzzeitangelegenheiten werden im Bundesanzeiger veröffentlicht. Für eine Übersicht über alle derartige Entscheidungen empfiehlt sich der Suchbegriff "§6b des Bundesministergesetzes".
Beratendes Gremium
Zum März 2022 wurde das beratende Gremium wie folgt neu besetzt:[8]
- Norbert Lammert (CDU)
- Bundestagspräsident 2005-2017
- Vorsitzender Konrad-Adenauer-Stiftung
- Krista Sager (Wiederberufung, Bündnis 90/Die Grünen)
- Bundestagsfraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen 2002-2005
- Andreas Voßkuhle
- ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Ehemalige Mitglieder des Gremiums (2016-2022) sind:
- Theo Waigel (CSU)
- ehem. Bundesfinanzminister
- Michael Gerhardt
- ehem. Richter am Bundesverfassungsgericht
Karenzzeit für Beamt:innen
Für ehemalige Beamt:innen gilt eine Anzeigepflicht bei der letzten obersten Dienstbehörde von drei Jahren, wenn sie mit erreichen der Regelaltersgrenze in den Ruhestand treten. Bei einem früheren Ausscheiden aus dem Beamtendienst gilt eine Anzeigepflicht von fünf Jahren. Die letzte oberste Dienstbehörde soll Tätigkeiten untersagen, wenn zu befürchten ist, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Die Untersagung gilt im Regelfall im Zeitraum bis zum Ende der Anzeigepflicht, es sei denn dienstliche Interessen werden nur kurzfristiger beeinträchtigt.[9]
Kritik
LobbyControl
LobbyControl kritisierte bereits 2015, noch während des Gesetzgebungsverfahrens, einige Aspekte der vorliegenden Gesetzentwürfe, die letztendlich so in das verabschiedete Gesetz einflossen. Die Forderungen von LobbyControl sind:[10][11]
- Eine explizite Untersagung von Lobbytätigkeiten in der Karenzzeit
- Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen das Gesetz in Form von Bußgeldern oder dem Streichen von Versorgungsansprüchen
- Eine längere Karenzzeit von bis zu drei Jahren
- Ein Verbot von Vertragsabschlüssen mit zukünftigen Arbeitgebern während der Amtszeit
- Die Möglichkeit für das beratende Gremium auf eigene Initiative aktiv zu werden. Dies wäre insbesondere hinsichtlich der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten sinnvoll
- Eine Evaluation des Gesetzes hinsichtlich seiner Wirksamkeit
Eine Bewertung der Wirkung des Karenzzeitgesetzes durch LobbyControl im Zeitraum bis 2021 findet sich im Lobbyreport 2021
EU-Kommission
In ihrem Bericht zur Rechtsstaatlichkeit kritisierte die EU-Kommission 2022 die deutschen Regelungen zu Karenzzeiten als „fragmentiert und uneinheitlich“. Konkret forderte sie Deutschland dazu auf, die Entscheidungen bei Beamt:innen transparenter zu machen, Karenzzeiten für Bundesminister:innen und parlamentarische Staatssekretär:innen im Bund zu verlängern, und grundsätzlich Regeln zu vereinheitlichen.[12]
GRECO
GRECO, eine Untergruppe des Europarats zur Korruptionsbekämpfung, veröffentlichte im Dezember 2020 einen Evaluierungsbericht zu Deutschland. Darin fordert GRECO eine Verlängerung der Karenzzeit für Minister:innen und Staatssekretär:innen und mehr Transparenz und Einheitlichkeit bei den Entschiedungen über Karenzzeiten für Staatssekretär:innen und Abteilungsleiter:innen. Darüber hinaus moniert GRECO, dass keine Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen Regeln zur Karenzzeit vorgesehen sind. Mit Blick auf das Gremium wird kritisiert, dass dieses mehrheitlich aus ehemaligen Spitzenpolitiker:innen besteht, was nach Ansicht von GRECO das Vertrauen in das Gremium beschädigen kann. Weiterhin wird das Fehlen eines Durchsetzungsmechanismus’ für Entscheidungen des Gremiums bemängelt, auch wenn die Regierung bisher allen Empfehlungen des Gremiums Folge geleistet hat.[13]
Aktuelle Informationen aus der Welt des Lobbyismus
Einzelnachweise
- ↑ Ein Wechsel mit ungutem Beigeschmack, fr.de vom 30.09.2014, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Staatsanwaltschaft leitet Verfahren gegen Klaeden ein, spiegel.de vom 03.11.2013, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Koalition verschleppt Lex Pofalla, spiegel.de vom 18.06.2014, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Auch Unionspolitiker fordern strengere Wechselfristen, spiegel.de vom 06.01.2014, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Niebel blamiert die Politik, spiegel.de vom 02.07.2014, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Gesetz zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre, dip.bundestag.de, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ BMinG, gesetze-im-internet.de, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Neues Team prüft Seitenwechsel, lobbycontrol.de vom 12.04.2022, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ §105 BBG, gesetze-im-internet.de, abgerufen am 28.02.2023
- ↑ Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes, lobbycontrol.de, abgerufen am 02.03.2023
- ↑ Bundestag beschließt überfällige Karenzzeit für Regierungsmitglieder, lobbycontrol.de vom 03.07.2015, abgerufen am 02.03.2023
- ↑ Rule of Law Report, eur-lex.europa.eu, abgerufen am 02.03.2023
- ↑ Evaluierungsbericht Deutschland, rm.coe.int, abgerufen am 02.03.2023